Dreizehntes Kapitel
Gespräche zwischen zwei Menschen, die etwas Entscheidendes miteinander auszumachen haben, nehmen selten den Verlauf, den sich die Beteiligten vorher einbilden oder zurechtlegen, am wenigsten dort, wo sie sich zu einer sogenannten Abrechnung zuspitzen. Sophia von Andergast hegte jedenfalls ganz bestimmte Erwartungen von der Begegnung mit ihrem geschiedenen Mann, daß die Unterredung dann etwas anders ausfiel, als sie sich’s in ihrer leidenschaftlichen Erregung vorgestellt hatte, lag einfach daran, daß der Mann, mit dem sie sich Aug in Auge befand, nicht mehr derselbe war wie der, den sie gekannt. Die Ungeduld, mit der sie ins Haus der Generalin kam, war so selbsttätig treibend, daß sie die alte Dame fassungslos anschaute, als diese ihr mitteilte, der Oberstaatsanwalt sei verreist, und sie habe nicht erfahren können, wann er zurückkehre. Erst am folgenden Mittag erfuhr man durch eine telephonische Erkundigung im Amt, daß er gegen Abend wieder in der Stadt sein werde. Sophia hatte die Nacht schlaflos verbracht, um vier Uhr morgens hatte sie das Bett verlassen und war in den Garten gegangen. Als sie die Generalin um acht Uhr zum Frühstück rufen ließ, suchte man überall im Hause nach ihr und fand sie schließlich eingenickt auf einer Bank im Pavillon, die Arme über der Seitenlehne, das Gesicht zwischen den Ellbogen. Mit Mühe war sie zu bewegen, eine Tasse Tee zu sich zu nehmen, für die Vorwürfe der Generalin, die bei dieser Gelegenheit in eine etwas krampfhafte Redseligkeit verfiel, hatte sie nur ihr verbindliches Allerweltslächeln. Überhaupt vermißte die Generalin an ihr die Offenheit und Herzlichkeit, auf die sie Anspruch zu haben glaubte, sie mußte sich anfangs viel Zwang antun und sich beständig vorsagen: Sie ist nicht bloß eine unglückliche Frau, sie ist auch die Mutter von meinem Etzel, ich habe sie nicht zu mir eingeladen, weil ich vergnügte Tage mit ihr verbringen wollte, sondern weil endlich was geschehen soll, von Vergnügen kann weit und breit keine Rede sein. Sie hatte aber neben ihrer sonstigen Urbanität auch ihren eigensinnigen, kleinen Egoismus und wünschte, obschon ganz bescheiden und trotz aller Sorgengemeinschaft, daß man ihr ein wenig den Hof mache. Allein Sophia ging über ihre gleichmäßige Artigkeit nicht hinaus, das ärgerte die Generalin, und mit Fleiß trug sie alles zusammen, was ihr an der Ankömmlingin mißfiel, eine gewisse Wortkargheit und Zurückhaltung, Festigkeit und Bestimmtheit des Auftretens und nicht zuletzt die Akkuratesse ihrer äußeren Erscheinung, schon in ihrem Morgenanzug sah sie wie aus dem Ei geschält aus. Die Generalin räsonierte innerlich: Sie pflegt sich ja gar nicht übel, das paßt entschieden nicht zu solchem Leid und Kummer; als ob Leid und Kummer nur durch Schlamperei beglaubigt werden könnten. Doch mehr aus Naivität denn aus Kleinlichkeit bemäkelte die Generalin diese Dinge, sie hatte sich wahrscheinlich die rührende Figur einer Mère prodigue ausgedacht, einer gebeugten Niobe, statt dessen hatte sie mit einer Dame von nicht leicht zu durchdringendem Wesen zu tun, einer Frau von eigentümlich geschlossenem Geist, schweigsam, schmiegsam, kühl, deren Züge eine überraschende Jugendlichkeit bewahrt hatten, man konnte sie höchstens für zweiunddreißig halten, während die Generalin ausrechnete, daß sie das achtunddreißigste Jahr bereits hinter sich haben mußte. Aber die abschätzigen Urteile waren nur Blasen im Kopf der Generalin, zugrunde lag Tieferes, lag Eifersucht. Daß Sophia so unerwartet jung aussah, so bestechende Manieren, so tadellose Zähne noch, eine so schlanke Gestalt besaß, daß ihr also aller Voraussicht nach Etzels Herz jubelnd zufliegen würde, wie sie ihren Etzel kannte, das zwickte sie und bereitete ihr ungute Stunden.
Sie hatte sich eigentlich vorgenommen, so wenig wie möglich von Etzel zu erzählen, einstweilen wenigstens. Auch dieser Vorsatz beruhte auf der erwähnten Eifersuchtsregung, obschon sie sich selber glauben machen wollte, es geschehe, um Sophia zu schonen und nicht unnütz zu quälen.