Das Schöne im Schlimmen
Albert Ostermaiers Gedichte voll Hingabe
Albert Ostermaier, einst Jungstar der Lyrik, ist inzwischen über 50, und er kann immer noch wunderbar über die Liebe schreiben – vielleicht nicht mehr so wild, nicht mehr im Nebeneinander von Kuss und Faustschlag, von Besitz und Abstoßung, aber immer noch leidenschaftlich. In seinem neuen Gedichtband „Über die Lippen“, mit dem er in Verstiteln und alphabetischer Anordnung dem Sprachwissenschaftler Roland Barthes folgt, spannt er in 26 Themen und Texten von A bis Z den großen Bogen der Liebe zwischen Mann und Frau. Und man sieht schon an manchen Überschriften – „abhängigkeit“, „eifersucht“, „zugrundegehen“–, dass es sich dabei nicht immer um die reine Freude handelt.
Dabei lässt Ostermaier jedoch auch im Schlimmen noch das Schöne wachsen, wenn der Eifersüchtige die
Hände der Geliebten noch als „zwillinge“sehen kann „und ich der luftzug zwischen euch“. Ja, das Älterwerden macht offenbar auch etwas milder. Doch es bleiben die Hingabe und die berührenden Worte. Ostermeier bleibt bei seinem „Trick“, interpunktionslos zu schreiben, ohne Großbuchstaben und ohne die Zeilensetzung an den Sinn anzupassen. Und das ist gut, denn so muss man langsam, oft auch laut, lesen und sich die Worte auf der Zunge zergehen lassen. Und diese Worte lösen in ihrer Verknappung und Genauigkeit viele eindrückliche Bilder aus, sogar am bitteren Ende, wenn er gehen muss und zu grunde geht.