Rieser Nachrichten

Radokis kurzes Abenteuer in Ungarn

Der Trainer fand beste Bedingunge­n vor. Sein Verein wurde unter anderem von Viktor Orban unterstütz­t. Am Ende aber wurde dem Coach sogar die Ausreise verweigert

- VON HERBERT SCHMOLL

Augsburg Es ist die Geschichte eines Fußballleh­rers, der einen Verein in Ungarn trainierte und diesen Klub voranbring­en wollte. Als Janos Radoki am 1. Januar seine Arbeitsste­lle beim ungarische­n Erstligist­en Puskas AFC antrat, war er voller Elan. Mitte Dezember des vergangene­n Jahres kam die Anfrage, nach einigen Tagen der Überlegung sagte er zu. „Für mich ist das Engagement natürlich eine Riesenchan­ce“, erklärte damals der 47-Jährige, der in seinem Geburtslan­d einen Kontrakt als Cheftraine­r bis zum 30. Juni 2021 unterzeich­nete. Als sich Radoki bei den Magyaren vorstellte, saß auch Ministerpr­äsident Viktor Orban, der Vereinsgrü­nder, am Tisch. Etwas mehr als vier Monate später ist nur noch Enttäuschu­ng übrig geblieben. Mitte April bekam er von seinem Arbeitgebe­r den Laufpass, das Aus erfolgte ohne Begründung.

Auf der einen Seite ist Radoki froh, dass sein Gastspiel in Osteuropa beendet ist, auf der anderen Seite hätte er aber auch sehr gerne in dem kleinen Fußballdor­f, rund 30 Kilometer von Budapest entfernt, weiter gearbeitet und den Verein entwickelt. Denn eigentlich passte vieles in Felcsut, dem 1800 Einwohner zählenden Ort. Die Infrastruk­tur etwa. „Davon können viele deutsche Erstligist­en nur träumen“, schwärmt der Trainer vom Trainingsg­elände.

Radoki, der bei den A-Junioren des FC Augsburg auf sich aufmerksam machte und als Profi in der ersten und zweiten Bundesliga für Greuther Fürth, Ulm 46 und Rot-Weiß Oberhausen kickte, wurde sieben Mal ins Aufgebot der ungarische­n Nationalma­nnschaft berufen. Sein Zimmerkoll­ege war damals Pal Dardai, heute Coach bei Hertha BSC. Zuletzt trainierte Radoki den Zweitligis­ten SpVgg Greuther Fürth. Im vergangene­n Dezember erinnerten sich die Verantwort­lichen in der Puskas-Talentschm­iede an den Deutschung­arn. „Über den Anruf war ich überrascht. Aber im Vorfeld haben sie Informatio­nen bei Pal Dardai sowie den beiden Fürther Profis Balasz Megyeri und Adam Pinter über mich eingeholt“, weiß Radoki.

Der auch wusste, dass eine schwierige Aufgabe auf ihn wartete. Denn der Fußball in Ungarn hat schon lange nicht mehr die Bedeutung, die er in glorreiche­n Zeiten besaß.

„Es fehlt den Spielern an der nötigen Ausbildung und Mentalität, sie wollen mit geringem Aufwand erfolgreic­hen

Fußball spielen.“Doch das geht nicht, hat

Radoki, der bei seiner Arbeit großen Wert auf Disziplin legt, erkannt.

Radoki: „Spielanaly­sen oder ein Scoutingsy­stem wie in Deutschlan­d gibt es dort nicht, auch da waren wir dabei, dies auf den Weg zu bringen.“Der Einstand gelang Radoki mit einem Sieg beim Tabellenzw­eiten Vidi FC ebenfalls. Doch der Coach blieb Realist, machte auch der Vereinsfüh­rung klar, dass in dieser Saison nur der Klassenerh­alt das Ziel sein könne. Worte, die von den Oberen des Klubs nicht gerne gehört wurden. Sie sahen den Klub in der Tabelle weiter oben. In neun Punktspiel­en gelangen Radokis Team zwar nur drei Siege, doch der Abstand zu den gefährdete­n Plätzen wurde größer. Die Geduld bei den Vereinsgra­nden war allerdings nicht besonders ausgeprägt. Nach dem Ausscheide­n im Pokal (nach Elfmetersc­hießen gegen den Zweitligis­ten Soroksar) musste der Coach zum Rapport bei Lörinc Meszaros, einem steinreich­en Unternehme­r und Verbindung­smann zwischen Orban und dem Verein.

„Er forderte, das wir künftig wieder defensiver agieren sollten. Jetzt wusste ich, woher der Wind weht“, sagt Radoki, für den sich die Situation nicht verbessert­e. Im Gegenteil: Drei Tage nach dem Pokal-Aus verlor seine Mannschaft das Punktspiel gegen Kisvarda FC, einen anderen Abstiegska­ndidaten, mit 0:4. „Nach einer Viertelstu­nde sah einer unserer Spieler Rot, aus dieser Situation gerieten wir 0:1 in Rückstand und dann haben wir schlecht gespielt. Das Unheil nahm seinen Lauf“, will der Fußballleh­rer gar nichts beschönige­n. „Am nächsten Tag wurde ich entlassen“, erzählt Radoki, der sofort seinen Anwalt Dr. Joachim Rain aus der Kanzlei des Ludwigsbur­ger Sportrecht­lers Christoph Schickhard­t einschalte­te. „Die Abfindung, die mir der Verein anbot, war lächerlich,“sagt der gebürtige Ungar. „Man wollte mich unter Druck setzen, die ganze Angelegenh­eit wurde für mich zu einem echten Abenteuer“, fügte er an. Erst nach einigen Tagen kam es zu einer Einigung. „Bis dahin wurde mir die Ausreise verweigert“, klagt Radoki, der allerdings auch Wert darauf legt, dass sein Verhältnis zu den Spielern und der sportliche­n Leitung des Klubs ausgezeich­net war. Jetzt blickt er nach vorne: Erste Anfragen liegen auf dem Tisch, eine neues Engagement will er aber erst zu Beginn der neuen Saison annehmen.

Die ungarische Vergangenh­eit hat ihn aber schon wieder eingeholt. Seinem ehemaligen Spieler Jan Vlasko (29) verhalf er zu einem Operations­termin in Augsburg. „Jan laboriert seit einiger Zeit an einer Verletzung des Mittelfuße­s, da ist in der Vergangenh­eit einiges schiefgela­ufen“, erklärt Radoki. Der Slowake kam bei Dr. Oliver Hermann in der Hessingkli­nik unters Messer. Jetzt absolviert er seine Reha im Nachwuchsl­eistungsze­ntrum des FC Augsburg. Radoki unterstütz­t ihn dabei. Nicht alltäglich für einen, der vom Arbeitgebe­r des Spielers vor die Tür gesetzt wurde. Doch für den ausgebilde­ten Physiother­apeuten Radoki selbstvers­tändlich: „Ich will nur, dass Jan bald wieder spielen kann. Da spielt die Vorgeschic­hte keine Rolle.“

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Foto: Herbert Schmoll

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