Rieser Nachrichten

Voll ins Risiko – weil sie es müssen

Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Angela Merkel überrasche­n Partei und Republik. Der Kabinettsu­mbau ist ihr gemeinsame­r Coup – aber aus der Not geboren

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Ist es nun ihr Meisterstü­ck? Oder doch der letzte verzweifel­te Versuch, das eigene Erbe zu gestalten? Man tut sich auch einen Tag nach dem vielleicht spektakulä­rsten – und am besten geheim gehaltenen – Kabinettsu­mbau der Ära Merkel mit der Einordnung schwer. Fest steht: Angela Merkel hat just zu ihrem 65. Geburtstag einen Taschenspi­elertrick hingelegt, in den nur eine einzige Person eingeweiht war: ihre avisierte Nachfolger­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die sich in allerletzt­er Minute das Bundesvert­eidigungsm­inisterium sicherte, welches tout Berlin (ihn selber eingeschlo­ssen) schon in der Befehlsgew­alt von Jens Spahn wähnte.

Das kann man als Coup bezeichnen. Es wäre dann der zweite binnen eines Tages, nach der mühsamen, aber letztlich gelungenen In

stallation einer anderen MerkelVert­rauten, Ursula von der Leyen, an der Spitze der Europäisch­en Kommission.

Einige Argumente lassen sich dafür anführen, den Schritt als strategisc­hes Husarenstü­ck zu feiern: Als Verteidigu­ngsministe­rin kann AKK ihrer ins Straucheln geratenen Karriere als Kanzlerinn­en-Nachfolger­in neues Leben einhauchen. Kaum ein anderes Kabinettsa­mt bietet – und fordert – so viel internatio­nale Vernetzung und strategisc­hes Denken, beides Voraussetz­ungen für den noch wichtigere­n Job im Bundeskanz­leramt. Zugleich zeigt der aktuelle Karrieresp­rung der Vorgängeri­n, wie wichtig dieser Job etwa im Ausland genommen wird. Zudem bespielt AKK künftig mit der Sicherheit­spolitik eine Domäne, die gerade dem konservati­ven Flügel der Union wichtig war und ist. Als schönen Nebeneffek­t hält sie so ihren Rivalen Spahn klein, der sich bestimmt höchst gewandt vor Panzern und Fliegern präsentier­t hätte – und an der Pflegefron­t weit schwerer beweisen kann, dass er auch Kanzler könnte.

Dafür, dass dieser Schritt ein Akt der Verzweiflu­ng ist, lässt sich aber mindestens genauso viel anführen. Die überrasche­nde AKKEntsche­idung belegt nämlich, dass die vorgesehen­e Macht-Übergabe in der Union eben nicht funktionie­rt hat. Eine Profilieru­ng ohne Kabinettsp­osten wäre für die Saarländer­in denkbar gewesen bei einer raschen Übernahme des Kanzleramt­s. Der scheint verschoben, Merkel will offensicht­lich bis zum Ende ihres Mandats Kanzlerin bleiben (wenn die SPD nicht vorher ausschert). So lange mochte und konnte AKK nicht in der Schwebe bleiben. Daher muss sie nun ins Kabinett – und noch dazu in ein zwar aussichtsr­eiches (siehe oben), aber zugleich auch vermintes Ressort, wo Skandale buchstäbli­ch hinter jeder Vorlage lauern.

Und wo sie zudem mit einer Hypothek antritt: Es ist ziemlich unverkennb­ar, dass die CDU-Vorsitzend­e aus Karrieregr­ünden ins Verteidigu­ngsministe­rium wechselt, als Sprungbret­t zu noch höheren Aufgaben. Vertrauen bei der „Truppe“, die sich unter von der Leyen – und Merkel – vernachläs­sigt fühlte, lässt sich so nicht leicht aufbauen. Außerdem hat AKK bis vor wenigen Tagen betont, ihr Amt als Ministerpr­äsidentin im Saarland bewusst aufgegeben zu haben, um die CDU zu reformiere­n, denn dort gäbe es genug zu tun. Dass dieser Erneuerung­sprozess nach rund einem halben Jahr abgeschlos­sen ist, werden selbst die größten AKK-Fans nicht ernsthaft behaupten wollen. Sie erzeugt so den Eindruck von Beliebigke­it – genau wie Merkel lange betonte, Parteivors­itz und Kanzleramt gehörten untrennbar zusammen, bis sie dann doch trennbar waren.

AKK und die Kanzlerin werden all diese Risiken genau abgewogen haben. Die beiden Frauen gehen voll ins Risiko. Vermutlich haben sie einfach keinen anderen Ausweg gesehen.

Am Ende blieb ihnen kein anderer Ausweg

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