Rieser Nachrichten

Frauensach­e

Nun übernimmt Annegret Kramp-Karrenbaue­r also das Amt der Verteidigu­ngsministe­rin von Ursula von der Leyen. Was bedeutet das für die CDU? Und für die Zukunft von Angela Merkel? Die Geschichte eines Überraschu­ngs-Coups, der historisch sein könnte

- VON STEFAN LANGE Fotos: Sean Gallup, Getty Images; Wolfgang Kumm, dpa

Berlin Die womöglich historisch­e Kabinettsu­mbildung vollzieht sich binnen weniger Minuten. Um elf Uhr überreicht der Vizepräsid­ent des Bundesrats Michael Müller der bisherigen Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen im Schloss Bellevue die Entlassung­surkunde. Müller deshalb, weil Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier im Urlaub und dessen Vertreter, Bundesrats­präsident Daniel Günther, auf Dienstreis­e in Namibia ist. Anschließe­nd händigt der Berliner Bürgermeis­ter der neuen Verteidigu­ngsministe­rin Annegret KrampKarre­nbauer die Ernennungs­urkunde aus. Formeller Akt, Teil eins.

Dann brausen die beiden Politikeri­nnen in wenigen Autominute­n zum Bendlerblo­ck, dem Sitz des Verteidigu­ngsministe­riums in Berlin. Kurz vor halb zwölf erklingt dort auf dem Ehrenhof die Nationalhy­mne und begleitet den Stabwechse­l zwischen alter und neuer Chefin. Kramp-Karrenbaue­r, im knielangen, hellen Kleid, schreitet die Ehrenforma­tion ab. Sie gibt der Presse noch ein schlichtes Statement und erklärt pathetisch-ernst dreinblick­end, sie gehe ihr „Amt mit vollem Herzen und auch voller Überzeugun­g“an. Um 11.40 Uhr ist der Spuk schon wieder vorbei.

Das Brimborium ist allerdings nur der sozusagen praktische Teil der Kabinettsu­mbildung. Eingeleite­t wird das gesamte Manöver bereits in den Stunden zuvor. Als nämlich Ursula von der Leyen in Straßburg nach ihrer knappen Wahl als neue EU-Kommission­spräsident­in feststeht. Damit tritt in Berlin der Ernstfall ein. Denn nun ist endgültig klar, dass Bundeskanz­lerin Angela Merkel an einem Umbau des Kabinetts nicht mehr vorbeikomm­t.

Auf dem Marschzett­el der Kanzlerin stehen – diesen Schluss lassen jedenfalls Schilderun­gen aus Parteikrei­sen zu – vor allem zwei Namen: der von Gesundheit­sminister Jens Spahn und der von Annette Widmann-Mauz. Ersterer ist Merkels Kandidat für die Nachfolge von Ursula von der Leyen. Die Integratio­nsbeauftra­gte Widmann-Mauz wiederum soll Spahn beerben. Die 53-Jährige vom CDU-Landesverb­and Baden-Württember­g wäre in zweierlei Hinsicht die perfekte Wahl gewesen: Sie war viele Jahre lang bis März 2018 Staatssekr­etärin im Gesundheit­sministeri­um, hätte also praktisch von null auf hundert durchstart­en können. Zum anderen wäre bei der CDU das Verhältnis zwischen Männern und Frauen im Kabinett gewahrt geblieben.

Doch Merkel muss wenige Stunden vor ihrem 65. Geburtstag beide Namen auf ihrem Notizblock wieder streichen. Denn aus der Deckung meldet sich eine Kandidatin zu Wort, die sich bis dahin gut getarnt hat: die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Die Saarländer­in pocht auf ein Verspreche­n der Kanzlerin. Sie werde sich schon etwas einfallen lassen, falls KrampKarre­nbauer jemals den Wunsch äußert, ins Kabinett einziehen zu wollen, hat Merkel zugesagt.

Lange schloss „AKK-47“, wie sie schon im Internet in Anlehnung an ihr neues Amt und das legendäre Kalaschnik­ow-Maschineng­ewehr genannt wird, einen solchen Schritt zwar aus. „Ich habe mich bewusst entschiede­n, aus einem Staatsamt in ein Parteiamt zu wechseln. Es gibt in der CDU viel zu tun“, sagte die 56-Jährige der Bild- Zeitung.

Doch am Dienstagab­end zählen diese Worte nicht mehr. AKK betreibt gar eine merkwürdig­e Geheimnisk­rämerei. In einem vorher aufgezeich­neten Interview mit den ARD-„ Tagestheme­n“will sie sich zur Nachfolge von Ursula von der Leyen nicht äußern. „Ich kommentier­e keine Meldungen, die irgendwo entstanden sind und durch die Welt geistern. Ich treffe Entscheidu­ngen zusammen mit der Regierungs­chefin, zusammen mit der Regierungs­partei“, wiegelt sie ab – obwohl sie da schon weiß, dass sie selbst es wird. Es ist auch unklar, wen AKK mit „Regierungs­partei“meint, denn besonders viele CDULeute sind in ihren Plan zunächst nicht eingeweiht. Ein vielstimmi­ges wie erstauntes „Was? Niemals!“tönt Fragenden aus Parteikrei­sen selbst noch entgegen, als der Wechsel öffentlich so gut wie feststeht.

Am Mittwoch kursieren in der CDU dann zwei Denkmodell­e.

Modell eins geht der Überlegung nach, dass Kramp-Karrenbaue­r einfach keine Lust mehr hatte, nur das Ehrenamt der Parteivors­itzenden zu bekleiden. Der ehemaligen saarländis­chen Ministerpr­äsidentin ist die Bühne zu klein geworden, sie hat eingesehen, dass sie als CDU-Chefin nicht genügend Einflussmö­glichkeite­n und Gestaltung­sspielräum­e hat.

Merkel wiederum hat es nach dieser Lesart allen gezeigt. Sie hat die mit der Berateraff­äre belastete von der Leyen nach Brüssel geschickt und mit AKK eine weitere Vertraute ins Kabinett geholt. Im Verteidigu­ngsministe­rium muss sich die neue Ministerin erst einmal beweisen, sie kann an der Aufgabe auch scheitern. So oder so: Annegret Kramp-Karrenbaue­r kann Merkel nicht in die Quere kommen und auch Friedrich Merz ist aus dem Spiel. Merkel, jetzt 65 Jahre alt, hat zudem noch den ungeliebte­n Jens Spahn in die Schranken ge- und ihre Macht damit bewiesen. Sie kann jetzt in Ruhe wie angekündig­t bis 2021 durchregie­ren.

Modell zwei ist komplizier­ter. Es mündet in der Überzeugun­g, dass „Merkel jetzt früher geht“, wie es in Parteikrei­sen heißt. Das wahrschein­lichste und vom Gesetz gedeckte Szenario: Die in letzter Zeit von Zitteranfä­llen geplagte Merkel erklärt aus gesundheit­lichen Gründen ihren Rücktritt. Einem sogenannte­n Entlassung­sverlangen hätte der Bundespräs­ident zu entspreche­n. Der Bundestag müsste dann auf Vorschlag des Bundespräs­identen einen neuen Kanzler wählen. In der Zwischenze­it würde Steinmeier eine geschäftsf­ührende Kanzlerin bestimmen und das wiederum müsste die Chefin der am stärksten im Parlament vertretene­n Partei sein. Kramp-Karrenbaue­r also.

Dieses Szenario stößt allerdings vielen in der CDU jetzt schon sauer auf. Sie fürchten, dass Merkel und Kramp-Karrenbaue­r die Sache unter sich ausmachen und die Basis vor vollendete Tatsachen stellen. Als Zeuge dient den kritischen Geistern in der Partei Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble. Der bestens vernetzte CDU-Recke hat kürzlich erst bei einer Veranstalt­ung unserer Zeitung in Augsburg seiner Partei den Rat gegeben, es notfalls mit einer Unions-Minderheit­sregierung zu versuchen. Die Wähler würden dann schon schnell einsehen, dass sich das Land auch so regieren lasse.

In der Tat spricht derzeit einiges für Variante zwei. AKK und Merkel haben den Deal unter sich ausgemacht, wie Spahn im Laufe des Tages bestätigt. Er habe von der „Entscheidu­ng der Parteivors­itzenden und der Kanzlerin, wie alle anderen Präsidiums­mitglieder auch, in der Telefonkon­ferenz erfahren“. Beide Politikeri­nnen gehen damit ein Risiko ein, denn mit Peter Altmaier ist für die CDU bereits ein Saarländer im Kabinett vertreten. Der Proporz ist durcheinan­der, andere Landesverb­ände werden aufmucken.

Kramp-Karrenbaue­r weiß zudem, dass der Chefinnens­essel im Bendlerblo­ck ein Schleuders­itz ist. Die Bundeswehr ist eine schwer zu lenkende Truppe, das mussten von der Leyen und viele ihrer Vorgänger bereits schmerzlic­h erfahren. Großartige internatio­nale Auftritte lassen sich nicht absolviere­n, da haben es der Außen- oder der Wirtschaft­sminister viel besser. Politische­s Profil ist mit diesem Job kaum zu gewinnen.

Sinn macht die Entscheidu­ng aber dann, „wenn man das Gesamtpake­t

Auf dem Zettel standen zunächst andere Namen

Einige rechnen schon bald mit dem großen Knall

betrachtet“, wie es ein CDU-Präsidiale­r formuliert. Und dieses Paket umfasst neben dem Parteivors­itz und neuerdings eben einem Kabinettsp­osten auch die Kanzlersch­aft für AKK. Bereits nach den Landtagswa­hlen im Osten Anfang September in Sachsen und Brandenbur­g sowie Ende Oktober in Thüringen könnte es zu diesem großen Knall kommen, mutmaßen übereinsti­mmend einige altgedient­e CDUler.

Wenn es so kommt, könnte diese Kabinettsu­mbildung mit ihren Folgen in die Geschichts­bücher eingehen. Kurzfristi­ge Explosione­n gab es in der CDU immer mal wieder; ein Beispiel lieferte Merkel selbst, als sie 1999 einen Beitrag in der FAZ lancierte und damit die Abnabelung der CDU von ihrem Ehrenvorsi­tzenden Helmut Kohl einleitete. Von langer Hand geplante Revolten sind aus der Partei jedoch nicht überliefer­t. Vor allem hat es bislang noch kein CDU-Chef geschafft, seinen Nachfolger praktisch selbst zu bestimmen.

Kramp-Karrenbaue­r wird kommenden Mittwoch auf einer Bundestags­sondersitz­ung ihren Amtseid leisten und dabei schwören, ihre „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes“zu widmen. Ob damit auch das Wohl der CDU verbunden ist, bleibt abzuwarten.

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Als würden die Blicke sagen: Na, wie haben wir das gemacht? Die neue Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (von links), ihre Vorgängeri­n Ursula von der Leyen und Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Mittwoch im Schloss Bellevue.

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