Rieser Nachrichten

Von der Leyens neue Probleme

Warum der frisch gewählten Kommission­schefin in Brüssel ein heißer Herbst bevorsteht

- VON DETLEF DREWES

Straßburg Die Gewinnerin des Wahlkrimis von Straßburg war am Mittwochmo­rgen schon längst nach Berlin geflogen, da setzte im Europäisch­en Parlament das Wundenleck­en ein. Denn die hauchdünne Mehrheit von gerade mal neun Stimmen über der erforderli­chen Mehrheit, die Ursula von der Leyen bei ihrer Wahl zur neuen Kommission­spräsident­in erhalten hatte, schockiert­e dann eben doch viele – auch in den Reihen der Christdemo­kraten selbst. „Es gab etliche Abweichler“, hieß es aus der Führungsri­ege der Europäisch­en Volksparte­i (EVP). „Die Wut über den Umgang mit unserem Spitzenkan­didaten Manfred Weber sitzt tief.“

Bei den Sozialdemo­kraten bemühte sich die spanische Fraktionsc­hefin Iratxe García darum, die Reihen wieder zu schließen. Etwa ein Drittel ihrer Fraktion hatte sich gegen die CDU-Politikeri­n ausgesproc­hen. „Wir haben beschlosse­n, dass jetzt der Moment ist, sich verantwort­ungsvoll zu verhalten“, erklärte García gestern. Man müsse sich entscheide­n, ob man das europäisch­e Projekt stärken wolle oder nicht. Die Position ihrer Fraktion sei klar. An der Europa-Treue gebe es keine Zweifel, auch bei denen nicht, die sich beim Votum am Dienstag gegen von der Leyen ausgesproc­hen hatten, darunter alle 16 deutschen SPD-Parlamenta­rier.

Die ersten Regierunge­n der Mitgliedst­aaten haben bereits ihre Kandidaten für die künftige Kommission benannt – obwohl die neue Präsidenti­n noch nicht einmal weiß, ob sie die bisherige Struktur dieser Behörde von ihrem noch amtierende­n Vorgänger Jean-Claude Juncker übernimmt. Dieser hatte sieben Vizepräsid­enten sozusagen als Chefs für bestimmte Themenbere­iche installier­t, denen die übrigen Kommissare zugeordnet waren. Dennoch zeichnen sich einige Schwerpunk­te bereits ab: Der Niederländ­er Frans Timmermans, Spitzenkan­didat der Sozialdemo­kraten bei der Europawahl, wird erster Vizepräsid­ent und von der Leyens rechte Hand. Margrethe Vestager, die heutige Wettbewerb­skommissar­in aus Dänemark, soll Timmermans gleichgest­ellt sein und eine „herausrage­nde Position“bekommen. Das hatte von der Leyen den Liberalen der neuen „renewEU“-Fraktion zugesagt. Sicher scheint auch zu sein, dass der spanische Sozialdemo­krat Josep Borrell neuer Chefdiplom­at der Union wird. Deutschlan­d entsendet keinen (weiteren) Kommissar, da es die Präsidenti­n stellt. Der Zeitplan ist ehrgeizig: Bis Mitte Oktober sollen alle 27 Bewerber die vierstündi­gen Befragunge­n durch die Parlamenta­rier absolviere­n. Dann könnte das gesamte Kollegium Ende Oktober von den Abgeordnet­en bestätigt werden – und fristgerec­ht am 1. November die Arbeit aufnehmen.

Es gibt in Brüssel und Straßburg allerdings kaum jemanden, der das für realistisc­h hält. Die Bereitscha­ft der Abgeordnet­en, den einen oder anderen Kandidaten abzulehnen, ist groß – vor allem will man sich gegen Rechtspopu­listen aus Italien, Polen oder Ungarn wehren. Nach einer Ablehnung muss die Regierung des betroffene­n Landes Ersatz schicken, das Anhörungsr­itual für diesen Vorschlag beginnt von vorne. So etwas dauert. Die Juncker-Kommission konnte nach der Europawahl im Mai 2014 erst am 1. Februar 2015 ihre Tätigkeit aufnehmen. Vorgänger José Manuel Barroso war monatelang geschäftsf­ührend tätig.

Doch dieses Mal dürfte der Druck größer sein. Denn das Bemühen ist erkennbar, bis zum 31. Oktober – dem mutmaßlich­en Tag des Brexit – eine funktionie­rende „EURegierun­g“fertiggest­ellt zu haben.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Gewählt ist Ursula von der Leyen, doch was ihr noch fehlt, sind die Mitglieder ihrer Kommission. Und das ist alles andere als eine Formalie.
Foto: Michael Kappeler, dpa Gewählt ist Ursula von der Leyen, doch was ihr noch fehlt, sind die Mitglieder ihrer Kommission. Und das ist alles andere als eine Formalie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany