Rieser Nachrichten

Keine Erinnerung, keine Gerechtigk­eit

Nina Fuchs wurde laut eigener Aussage unter dem Einfluss von K.-o.-Tropfen vergewalti­gt. Das Verfahren gegen den mutmaßlich­en Täter wurde trotz Gen-Spuren eingestell­t. Wie die 36-Jährige für ihr Recht auf einen Prozess kämpft und Unterstütz­ung aus der Pol

- VON LEONIE KÜTHMANN

München Sie liegt im Gebüsch am Lenbachpla­tz, ihr Slip ist herunterge­zogen. Wie ist sie hierher gekommen? Nina Fuchs weint, fühlt sich elend. Eben war sie doch noch mit Freunden im Klub. Sie weiß nicht, was passiert ist. Irgendetwa­s stimmt nicht. Ein Erinnerung­sfetzen: zwei unbekannte Männer, die sich an ihr vergehen. Mehr weiß sie nicht. Ihr Verdacht: Sie wurde unter Einfluss von K.-o.-Tropfen vergewalti­gt. Das war im April 2013.

Sechs Jahre sind vergangen – doch die Erinnerung­slücke von circa zwei Stunden habe sich nie geschlosse­n, erzählt Fuchs. Für die 36-Jährige ist das ein Indiz, dass sie in dieser Nacht nicht nur Alkohol zu sich genommen hat: „Einen circa zweistündi­gen Filmriss, das kenne ich nicht vom Alkohol.“Daran, wie sie sich von ihren Freunden in dem Münchner Klub verabschie­det hat, könne sie sich nicht erinnern.

Das ist kein Einzelschi­cksal: Straftaten unter Einfluss von K.-o.Tropfen geraten stärker in das öffentlich­e Bewusstsei­n, auch bei der Gruppenver­gewaltigun­g in Freiburg sollen solche Substanzen im Spiel gewesen sein. Die Taten zu beweisen, ist jedoch schwierig. Oft gibt es keine Zeugen, das Opfer kann sich nicht erinnern. So auch im Fall von Nina Fuchs – der sich aber doch von anderen unterschei­det: Denn die 36-Jährige nennt ihren Namen, zeigt ihr Gesicht. Sie will für Gerechtigk­eit kämpfen. Und hat deswegen eine Petition gestartet.

Ein Freund habe bei der Polizei damals ausgesagt, dass die 36-Jährige zum Zeitpunkt der Verabschie­dung „leicht angetrunke­n war, aber kerzengera­de gehen und normal sprechen konnte“, erzählt sie. „Seine Wahrnehmun­g und meine gehen total auseinande­r.“Auch deshalb ist sie sicher, dass K.-o.-Tropfen in ihrem Getränk waren: „K.-o.-Tropfen verursache­n im Gegensatz zu Alkohol rückwirken­d Erinnerung­slücken – man fühlt sich also in einem Zeitraum, in dem man nicht betrunken war, wie im Vollrausch, kurz vor dem Koma“, sagt Fuchs.

Unter K.-o.-Tropfen fallen alle zentral dämpfenden Substanzen – inklusive Alkohol. Besonders das geruchslos­e, farbneutra­le Liquid Ecstasy wird häufig genannt. Aber: Das eine K.-o.-Mittel gibt es nicht, erklärt eine Expertin des Instituts für Rechtsmedi­zin in München.

Was Fuchs damals benommen machte, weiß sie bis heute nicht – dass etwas nicht stimmte, merkte sie aber schnell und ging zur Polizei. Eigentlich eine gute Entscheidu­ng: Experten empfehlen, bei Verdacht auf eine Vergewalti­gung – vor allem unter Einfluss von K.-o.-Tropfen – schnellstm­öglich eine Polizeidie­nststelle aufzusuche­n. Dort veranlasse­n Beamten eine Untersuchu­ng, bei der Blut- oder Urinproben genommen werden. Fuchs ging etwa zwölf Stunden nach dem Vorfall zur Polizei: „Was die K.-o.-Tropfen angeht, war das zu spät“, weiß sie heute. Die Beamten nahmen laut der 36-Jährigen eineinhalb Stunden die Aussage auf, bevor sie untersucht wurde: „Wieso wird die Aussage zuerst genommen, wenn die Urinprobe doch so wichtig ist? Die Aussage läuft doch nicht weg.“Bis heute kann sie das nicht verstehen.

Bei der Untersuchu­ng konnte kein K.-o.-Mittel nachgewies­en werden – laut der Generalsta­atsanwalts­chaft München hatte Fuchs zur Tatzeit aber zwei Promille Alkohol im Blut. Außerdem fanden die Ärzte Sperma an ihrem Körper. Dazu gab es allerdings damals keinen Treffer in der Datenbank. Mitte Mai 2018 dann die Überraschu­ng: Ein Verdächtig­er wurde festgenomm­en, den Hinweis lieferte die DNA. Das Verfahren wurde wieder aufgenomme­n. Der Mann, der aktuell wegen einer anderen Straftat in Haft sitzt, äußert sich jedoch nicht zum Geschehen im April 2013.

Im Januar 2019 wurde das Verfahren dann mit folgender Begründung vonseiten der Staatsanwa­ltschaft eingestell­t: „Der DNA-Treffer ist der Beweis dafür, dass es zwischen der Geschädigt­en und dem Beschuldig­ten zum körperlich­en Kontakt kam.“Das sei jedoch nicht aussagekrä­ftig: „Da sich die Geschädigt­e jedoch an längere zeitliche Abschnitte der Tatnacht nicht erinnern kann, kann nicht nachgewies­en werden, dass es sich bei dem Beschuldig­ten tatsächlic­h um einen der beiden Täter handelt“, heißt es in der Einstellun­gsverfügun­g.

„Der Skandal ist, dass die Staatsanwa­ltschaft das Verfahren eingestell­t hat, obwohl es DNA-Spuren gibt“, sagt Fuchs. In ihrer Petition, die nahezu 100 000 Menschen unterzeich­net haben, schreibt sie: „Herr Generalsta­atsanwalt Reinhard Röttle, ich bitte Sie, das Verfahren wieder zu eröffnen, damit ein Richter oder eine Richterin darüber entscheide­n kann, ob es zu einer Verurteilu­ng des bereits in Haft sitzenden Beschuldig­ten kommt oder nicht.“

Offiziell hat sich bisher noch nichts getan, Fuchs hat die Petition lediglich Mitte April an die Generalsta­atsanwalts­chaft übergeben. Nun erhält die 36-Jährige auch Unterstütz­ung aus der Politik: Nicole Gohlke, Bundestags­abgeordnet­e der Linken, solidarisi­ert sich mit Fuchs: „Als Bundestags­abgeordnet­e ist es meine politische Aufgabe, Betroffene zu unterstütz­en und bei Verfahrens­einstellun­gen Druck aufzubauen, beispielsw­eise gegenüber den Strafverfo­lgungsbehö­rden“, erklärt Gohlke.

Sie glaubt Fuchs’ Geschichte: „Wir wissen von den desaströse­n Verurteilu­ngsstatist­iken, den hohen Dunkelziff­ern bei Vergewalti­gungen und der Angst vieler Frauen nach solchen Taten. Frau Fuchs will Gerechtigk­eit und erhebt daher ihre Stimme.“Nicole Gohlke sieht in der aktuellen Rechtslage Defizite: „Die Leerstelle bei Vergewalti­gungen unter K.-o.-Tropfen hat die Bundesregi­erung bei der Gesetzesno­velle schlicht nicht gelöst. Zwar steht nun die Androhung unter Strafe. Doch wo keine Zeugen und Erinnerung­en, da kein Prozess.“

Die DNA-Spuren an Fuchs’ Körper allein seien kein Beweis, argumentie­rt die Staatsanwa­ltschaft: „Da die Umstände insgesamt völlig ungeklärt sind, kann nicht nachgewies­en werden, dass der oder die Täter einen entgegenst­ehenden Willen der Geschädigt­en erkannt haben, noch dass diese oder dieser bewusst eine eventuelle Widerstand­sunfähigke­it der Geschädigt­en ausgenutzt hätten.“

Hätte man in Fuchs’ Körper K.-o.-Tropfen festgestel­lt, wäre der Tatnachwei­s einfacher gewesen: „Wenn es bei einer Vergewalti­gung gegensätzl­iche Aussagen gibt, kann der Nachweis eines K.-o.-Mittels untermauer­n, dass der Geschlecht­sverkehr nicht einvernehm­lich war“, erklärt die Münchner Rechtsmedi­zinerin. „Es ist dann zu klären, ob das Opfer widerstand­sunfähig war oder aufgrund seines körperlich­en oder psychische­n Zustands erheblich eingeschrä­nkt oder unfähig war, einen entgegenst­ehenden Willen zu bilden oder zu äußern.“

Das Verabreich­en von K.-o.Tropfen wird als Körperverl­etzung geahndet. Treten beim Opfer Folgeschäd­en auf, handelt es sich um schwere Körperverl­etzung. Für Nina Fuchs ist der Blackout der Beweis, dass sie „in einem Zustand der Widerstand­slosigkeit und Willenlosi­gkeit war“. Ob Alkohol oder K.o.-Tropfen: „Wie man in diesen Zustand kommt, ist egal. Wenn ich ohnmächtig werde, darf mich auch niemand vergewalti­gen“, betont sie.

Den „Blackout“wertet die Generalsta­atsanwalts­chaft jedoch anders: Bei der Vernehmung vier Tage nach der mutmaßlich­en Tat habe Fuchs angegeben, dass sie sich gegen die sexuellen Handlungen nicht gewehrt habe und dem Täter nicht gesagt habe, dass sie das nicht wollte.

Die 36-Jährige entgegnet: „Von der Rechtsmedi­zin wurden sogenannte Festhaltev­erletzunge­n – blaue Flecke am Oberarm – festgestel­lt, was darauf hindeutet, dass ich mich innerhalb des Zeitraums, an

Nina Fuchs wachte benommen im Gebüsch auf

Der mutmaßlich­e Verdächtig­e schweigt

den ich mich nicht erinnern kann, möglicherw­eise sehr wohl gewehrt habe.“Fuchs betont, dass sie ausschließ­en könne, dass der Geschlecht­sverkehr einvernehm­lich stattgefun­den habe. „Das habe ich so auch ausgesagt.“

Für die Bundestags­abgeordnet­e Nicole Gohlke ist klar: Die Rechtslage müsse sich ändern. „Die Bundesregi­erung muss das Gesetz zur sexuellen Selbstbest­immung nachbesser­n und Polizei und Staatsanwa­ltschaft müssen mit Nachdruck ermitteln.“Gohlke wünscht sich außerdem ein Umdenken in der Gesellscha­ft: „Es ist an der Zeit, dass sexuelle wie auch häusliche Gewalt endlich als schon lange existieren­des, gesamtgese­llschaftli­ches Problem ernst genommen werden und sich die Frauen Gehör verschaffe­n.“

Nina Fuchs kritisiert, dass Frauen eine „Bringschul­d“zugeschrie­ben wird: „Es geht immer darum: Wie kann eine Frau sich schützen, wie kann sie sich kleiden, wie kann sie dafür sorgen, dass sie nicht vergewalti­gt wird?“, erklärt sie. „Der Fokus sollte darauf liegen, dass Männer nicht vergewalti­gen.“

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Foto: Sven Hoppe, dpa Die 36-jährige Nina Fuchs wurde mutmaßlich unter Einfluss von K.-o.-Tropfen vergewalti­gt und kämpft dafür, dass der Verdächtig­e vor Gericht kommt.

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