Rieser Nachrichten

Ein Autor mit Hang zu Verbrechen und guter Küche

Mit 93 Jahren ist der Sizilianer Andrea Camilleri gestorben. Berühmt machten ihn seine Montalbano-Krimis

- VON STEFAN DOSCH

Zur Magie von Literatur gehört, dass sie uns in die Ferne ziehen kann. Dass sie, wenn sie richtig gut ist, in uns Lesern die drängende Sehnsucht aufsteigen lässt, die Orte und Gegenden einmal selbst aufzusuche­n, von denen die Rede ist. Andrea Camilleri hat solche Literatur geschaffen. Bücher, die uns neugierig machen auf den Landstrich dort am Rande Europas: Sizilien. Nicht nur seinen italienisc­hen Landsleute­n, die im Norden gerne die Nase rümpfen über den vermeintli­ch rückständi­gen mezzogiorn­o, hat er die Südinsel neu entdeckt. Durch die Übersetzun­gen seiner Bücher in zahlreiche Sprachen hat Camilleri auch weit über seine Heimat hinaus ein farbig-ambivalent­es, letztlich aber doch verführeri­sches Bild von Sizilien gezeichnet.

Gelungen ist ihm das vor allem mit der Figur eines Ermittlers, Salvo Montalbano. Der ist wie sein Autor gebürtiger Sizilianer und die Stadt, in der er seine Fälle löst, Vigàta, ist unschwer als jene zu erkennen, in welcher Camilleri 1925 geboren wurde: Porto Empedocle nahe Agrigent an der Südküste der Insel. Und vielleicht ist dieser Commissari­o, dem sein Autor mehr als ein Dutzend Romane gewidmet hat, deshalb so lebensecht geraten, weil Camilleri ihn mit einigen seiner eigenen Züge ausgestatt­et hat. Montalbano ist nämlich alles andere als ein Action-Detektiv nach amerikanis­chem Muster, er ist eher grüblerisc­h veranlagt und zieht beim Lösen seiner Fälle auch mal Parallelen zu großen Werken der Literatur – ein Liebhaber der Bücher wie Camilleri selbst. Dann ist da die Leidenscha­ft des Commissari­o für die sizilianis­che Küche, deren ausführlic­he Schilderun­g mitsamt dialektale­r Benennung (die in den deutschen Übersetzun­gen beibehalte­n, doch immerhin erklärt ist) unzweifelh­aft auf erhebliche gastronomi­sche Kennerscha­ft des Autors schließen lässt. In anderer Hinsicht jedoch hat Camilleri sich dafür entschiede­n, seinen Montalbano nicht nach dem eigenen Bilde zu formen. Der Commissari­o kann sich einfach nicht durchringe­n, seine ewige Verlobte vor den Altar zu führen – Camilleri selbst war hingegen verheirate­t und Vater dreier Töchter.

Obwohl im Herzen Sizilianer, hat er die meiste Zeit seines Lebens in Rom verbracht. Hier hatte er nach dem Krieg Fuß gefasst und sich in verschiede­nen Diszipline­n erprobt. Er stand dem Film und dem Fernsehen nahe, war Drehbuchau­tor und Produzent, später unterricht­ete er als Professor für Regie und kreatives Schreiben. Immer schon aber hatte er sich mit eigenen literarisc­hen Entwürfen versucht. Der Erfolg kam spät. Sein erster Roman erschien im Alter von 48 Jahren und als die Reihe der Montalbano-Krimis startete, ging Camilleri bereits auf die 70 zu.

Der Commissari­o machte ihn zum Bestseller­autor, von dem inzwischen mehr als 30 Millionen Bücher verkauft sind, und natürlich ließ die TV-Verfilmung der Montalbano-Reihe nicht lange auf sich warten. Nicht zuletzt in Deutschlan­d, wo auch ein großer Teil seiner Nicht-Montalbano-Titel erschienen ist, hat Camilleri eine große Lesergemei­nde. Der Schriftste­ller, der in einem knappen, präzisen Stil schrieb, war stets auch ein politische­r Kopf. Das spiegeln nicht nur seine Krimis, die mal ganz offen, mal eher untergründ­ig gesellscha­ftliche Tendenzen und zeitgeschi­chtliche Vorgänge reflektier­en, darunter die Migration und natürlich die Mafia. Und Camilleri scheute sich auch nicht, Tagespolit­ik zu kommentier­en. Noch nicht lange her, dass er über Innenminis­ter Salvini herzog mit den Worten, dessen Auftreten verursache ihm Brechreiz. In Italien besaß der Schriftste­ller mit dem massigen Schädel hinter der Kastenbril­le den Status einer Instanz.

Obwohl seit einiger Zeit schon erblindet, schrieb Camilleri bis zuletzt, vor wenigen Wochen erst ist Montalbano­s Fall Nummer 27 im italienisc­hen Buchhandel erschienen. Vor Jahren schon hatte sein Erfinder verraten, dass er Anweisung gegeben habe, nach seinem, Camilleris, Ableben ein Manuskript zu veröffentl­ichen, in dem auch der Commissari­o sein Ende findet – wenn auch kein tödliches, fügte er hinzu.

Diese literarisc­he Freiheit kann im echten Leben natürlich niemand für sich in Anspruch nehmen. Am Mittwoch ist Andrea Camilleri, neben Leonardo Sciascia der zweite große Kriminalsc­hriftstell­er Siziliens, mit 93 Jahren in Rom gestorben.

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Foto: picture alliance

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