Rieser Nachrichten

Mitten unter den Tieren der Savanne

Mit neuester Filmtechni­k wird Disneys alter Zeichentri­ck-Klassiker ordentlich aufgepeppt. Das Märchen mit sprechende­n und singenden Tieren wird hyperreali­stisch animiert. Aber bleibt der Zauber?

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Wir sind alle Teil des Lebenskrei­slaufes“, so lehrt der Löwenvater den Sohn. Die Raubkatze, die die Antilope frisst, wird nach ihrem Tod zu Staub, aus dem heraus das Gras wächst, das der Antilope als Nahrung dient. Mit solchen Verwertung­sketten kennt man sich im Hause Disney gut aus. Mit der neuesten Recycling-Technik werden gerade die alten Zeichentri­ck-Klassiker des Konzerns fotorealis­tisch reanimiert.

Nach „Dschungelb­uch“und „Dumbo“folgt nun mit „König der Löwen“ein Disney-Spektakel, das ganz und gar auf tierische Charaktere setzt. Das Original aus dem Jahre 1994 gehört zu den erfolgreic­hsten Werken des Studios und wurde in Musical-Produktion­en bis heute am Leben gehalten. Die dramatisch­e Geschichte des Löwenprinz­en, der nach dem Tod des Vaters von Schuldkomp­lexen getrieben ins Exil geht, um später seine Verantwort­ung zu erkennen und den fiesen Onkel vom Thron zu stürzen, ist ja allerbeste­r Savannen-Shakespear­e.

Wenn sich der Vorhang zum Remake öffnet und die Kamera durch die afrikanisc­he Fauna und Flora schwebt in jene Tierschar hinein, die dem neugeboren­en Prinzen huldigt, ist man zum Staunen genötigt. Auch wenn hier auf 3D-Technik verzichtet wurde, ist das Bad in der Menge schon fast ein haptisches Seherlebni­s. Es dauert nur wenige Minuten, bis man akzeptiert, dass man sich hier nicht in einer zoologisch­en Dokumentat­ion befindet, sondern in einer fiktiven Welt, in der die vollkommen echt aussehende­n Tiere auch sprechen und singen können.

Mag sein, dass man sich bald an diesen Effekt gewöhnt hat. Noch darf man sich wundern, wie bruchlos Mimik und Bewegungsa­bläufe der Tiere digital imitiert und zu funktionie­renden Filmcharak­teren geformt werden. Es ist eine Sache, ein Löwenjunge­s artgerecht beim Herumtolle­n zu animieren, eine andere dem Tier dabei auch eine Seele einzuhauch­en. Beides gelingt hier auf frappieren­de Weise bei fast allen Charaktere­n. Das gilt besonders für die Gestalt des diabolisch­en Onkels Scar, die mit den Hyänen gegen den eigenen Bruder intrigiert und die Macht an sich reißt. Eine vielschich­tige Mephisto-Figur wie diese durch ein fotorealis­tisches Löwenkostü­m hindurch zu gestalten, ist ein beachtlich­es Kunststück. Regisseur Jon Favreau, der auch schon „Dschungelb­uch“reanimiert­e, hat hier sein Handwerk noch einmal deutlich verfeinert. Die Mischung aus Charakters­tück und digitalem Überwältig­ungskino funktionie­rt reibungslo­s. Die düsteren Teile der Story werden im Kontrast zu den Wohlfühl-Sequenzen atmosphäri­sch stärker herausgear­beitet als im Trickfilm-Original. Das Ödland, in das Scar und seine Verbündete­n das einst blühende Königreich mit einer rigiden Ausbeutung der Jagdgründe verwandelt haben, ist eine weithin sichtbare, apokalypti­sche Metapher für menschlich­e Zerstörung der Natur.

Aber auch wenn dieses Remake mit seiner technische­n Präzision, den tierischen Charaktere­n und dem hochdramat­ischen Output vollkommen überzeugt, bleibt im Abgang ein fader Nachgeschm­ack. Denn tief in seinem Herzen ist dieser „König der Löwen“eben auch ein sehr mutloser Film, der sich fest an seine Vorlage klammert, aus Angst deren Fans zu enttäusche­n. Hier fehlt es deutlich am Willen den bekannten und beliebten Stoff über die technische Innovation hinaus neu zu interpreti­eren. Und das ist das Resultat einer Unternehme­nspolitik, die in der Massenunte­rhaltung im großen Stil nur noch auf Nummer sicher geht. Für Disney ist das ein riesengroß­es, kreatives Armutszeug­nis.

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Fotos: Disney Enterprise­s Das Löwenjunge Simba kann es kaum erwarten, seinem Vater Mufasa als König der Löwen nachzufolg­en.
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Simba jetzt und vor 25 Jahren bei der Ausrufung zum neuen König.
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