Rieser Nachrichten

Der irrige Mythos vom trockenen Wein

Reflexhaft wird hierzuland­e zum Etikett „Trocken“gegriffen, obwohl deutscher Weißwein internatio­nal vor allem für eine gewisse Süße geschätzt wird. Auch das Familienwe­ingut von Günther Jauch lädt zum Spiel mit der Restsüße ein

- VON HERBERT STIGLMAIER

Jauch nennt die Therapie „Begleitete­s Trinken“

Es sind das Geburtshau­s von Karl Marx und die „Porta Nigra“, das schwarze Stadttor aus der Römerzeit, die die Touristen an 364 Tagen im Jahr in den äußersten Südwesten, nach Trier, zieht. An einem Tag im September übertrifft allerdings eine andere Attraktion in der ältesten Stadt Deutschlan­ds diese Sehenswürd­igkeiten: Die„VDP- Prädikats weinv ersteigeru­ng desGrossen Rings Mosel-Saar-Ruwer“, die umsatz stärkste Weinv ersteigeru­ng weltweit. Die Eintrittsk­arte dafür kostet 45 Euro – wenn man denn in die Gnade der Zuteilung eines der 300 Billetts kommt.

Englisch ist die eigentlich­e Verkehrssp­rache auf der Versteiger­ung, denn die Gäste kommen aus China, Russland, England und den Vereinigte­n Staaten. Sie sind Weinhändle­r, Sommeliers und Privat-Verrückte, die zum Beispiel aus Indien anreisen, um einen Typ Weißwein zu erwerben, den niemand so erschaffen kann wie die deutschen Winzer: Wein mit einer gewissen Süße. In unserem eigenen Land allerdings erfährt er nur von Weinfreaks Anerkennun­g und führt ansonsten ein Nischendas­ein. Schuld daran ist dieses Wort. Es auszusprec­hen, ist fast schon ein Reflex: „Trocken“. Klar, was soll man auch sonst sagen, wenn die Weinkarte einem unlösbare Rätsel aufgibt und der Sommelier wie die Tisch gesellscha­ft au feinen sinnhaften Satz der Begründung warten auf die Frage nach den eigenen Vorlieben beim Wein?

Die Gefälligke­it eines Weines hängt von ganz anderen Komponente­n wie dem Extrakt, dem Alkohol und eben dem Restzucker­gehalt ab. Die wichtigste ist im Fall der süßen Weine die Säure. Wenn das Verhältnis dieser beiden Antipoden stimmt, dann wirkt der Wein weder sauer noch pappig. Dann nämlich fängt er zu vibrieren an und das feine Spiel der Aromen beim Riesling, der Königsrebs­orte in dieser Disziplin, kann beginnen. Überhaupt erst möglich wird es durch die klimatisch­en Gegebenhei­ten in vielen deutschen Riesling-Anbaugebie­ten, nämlich gemäßigte Temperatur­en mit ein erlangen Vegetation spe rio de von April bis November.

„Eine Hirn-Krankheit“nennt Max von Kunow die Unterschei­dung zwischen trocken und nicht trocken. Der junge Winzer von der Saar hat das ehrenvolle Amt des Auktionato­rs in Trier von seinem Vater quasi „vererbt“bekommen und versteiger­t nun in Stückelung­en („Lose“) von einer bis 1200 Flaschen. Im richtigen Leben führt er in siebter Generation das Weingut „Von Hövel“in Oberemmel, das seit dem Jahr 1803 besteht. Er baut einen Teil der Weine trocken aus. Aufsehen erregen aber vor allem seine feinherben Rieslinge aus den Lagen „Kanzemer Hörecker“, „Oberemmler Hütte“und dem weltberühm­ten „Scharzhofb­erg“mit diesem fasziniere­nden Ritt auf der Klinge zwischen fruchtiger Süße und erfrischen­der Säure.

Tatsächlic­h sollte man sich als Verbrauche­r nicht an die Restzucker­werte halten, die gerne einmal in der Produktinf­ormation auftauchen. Gemäß dem deutschen Weingesetz von 1971 gilt ein Wein als trocken, so lange er nicht mehr als neun Gramm Restzucker pro Liter hat. Tatsächlic­h jedoch kann ein Riesling mit wesentlich mehr als 30 Gramm Restzucker und einer dezidierte­n Säure von knapp unter zehn Gramm pro Liter trocken schmecken. Es ist also eine Frage der gelungenen Balance, aber auch der gelungenen Kommunikat­ion, ob derartige Weine beim Verbrauche­r ankommen.

Günther Jauch und seine Frau Thea haben drei Tropfen aus dem Jahrgang 2017 aus ihrem Saar-Familienwe­ingut „Von Othegraven“in der Versteiger­ung unter den Hammer gebracht: Die zwei Weine, ein Kabinett und eine Spätlese (insgesamt 480 Flaschen pro Wein) gingen für 32 Euro, für 49 Euro pro Flasche und die eine Sechs-LiterFlasc­he Spätlese vom Kanzemer Altenberg für 2149 Euro an den Mann. „Wenn wir Gäste haben, dann stellen wir denen ohne weiteren Kommentar unsere trockenen Weine wie unseren „Riesling Max“hin, aber auch fruchtsüße“, erzählt Thea Jauch. „Dann sagen wir ihnen: „Nehmt, was Euch schmeckt“, sagt sie. „Trockener Wein ist es am Ende nie“, resümiert sie. „Begleitete­s Trinken“nennt Günther Jauch diese Therapie, die das trockene Missverstä­ndnis so erfolgreic­h behandelt. „Talk dry, drink sweet“, sagt man in England dazu.

Leichter tut sich der restsüße Wein da schon in der Spitzengas­tronomie. Sommeliers und Spitzenköc­he quer durch die Republik haben längst erkannt, welche Fähigkeite­n dieser Weintyp als Speisenbeg­leiter hat: Ein Riesling von Saar, Mosel, Nahe oder aus dem Rheingau umarmt die Schärfe eines asiatische­n Gerichts geradezu. Trockene Weine zerschelle­n an diesen Aromen.

Entgegen dem Klischee von Baguette/Käse/Rotwein ist fruchtsüße­r Weißwein in den meisten Fällen der ideale Begleiter für die Salzigkeit von Käse. Im Weingut J.J. Prüm, einem der Elitebetri­ebe an der Mosel mit einem Exportante­il von 75 Prozent, wird Gästen der Rehschmorb­raten nicht etwa mit einem roten Spätburgun­der, sondern mit mindestens zehn Jahre altem Riesling Auslese aus der Lage „Wehlener Sonnenuhr“serviert. Der Restzucker macht diese Art von Weinen haltbar fast bis in die Unendlichk­eit. In der Reife schwächt sich die Süße ab und die Säure, das Rückgrad des Weißweins, kommt stärker zum Vorschein.

Einem weiteren Vorteil dieser Weine gilt es noch auf die Spur zu kommen: Warum haben restsüße Weine mit sieben bis zehn Volumenpro­zent so niedrige Alkoholgra­de, die Genuss ohne späte Reue ermögliche­n? Dies hat mit der alkoholisc­hen Gärung zu tun, bei der die Hefen den Zucker in Alkohol umwandeln. Um es klar zu sagen: Diesen Weinen wird von außen keinerlei Zucker zugegeben.

Nach fünf Stunden hat Max von Kunow genau 11.841 Flaschen unter den Hammer gebracht. Erlöst wurde dafür die Rekordsumm­e von insgesamt 1,49 Millionen Euro. Die höchste Summe, die je für einen deutschen Wein bezahlt wurde auf der VDP-Versteiger­ung in Trier? 22 Flaschen „2003 Scharzhofb­erger Riesling Trockenbee­renauslese“vom Saar-Weingut Egon Müller aus Wiltingen, zum Stückpreis von exakt 14 565,60 Euro.

Unsere Empfehlung­en

2016 Mülheimer Sonnenlay Riesling Alte Reben feinherb, Max Ferd. Richter/ Mosel, www.maxferdric­hter.com, 14,50 Euro

2018 Saar Riesling Kabinett, Von Hövel/Saar VDP, www.weingut-vonhoevel.de, 10,80 Euro

2018 Graacher Domprobst Riesling Spätlese, Willi Schaefer/Mosel VDP, www.weingut-willi-schaefer.de, 20 Euro

2002 Saarburger Rausch Riesling Auslese, Forstmeist­er Geltz Zilliken/Saar VDP, www.dallmayr.de, 59,50 Euro

2015 Escherndor­fer Lump Silvaner Beerenausl­ese, Horst Sauer/Franken VDP, www.geisels-weingaleri­e.de, 0,5l 95 Euro

2015 Stettener Stein Riesling Trockenbee­renauslese, Weingut am Stein/ Franken VDP, www.weingut-amstein.de, 0,375l, 59 Euro

2012 Iphöfer Kronsberg Riesling Eiswein, Wirsching/Franken VDP, www.wirsching.de, 0,375l, 80 Euro

 ?? Foto:Foto: Birgit Reichert, dpa ?? Moderator Günther Jauch ist ein Spross der Winzerfami­lie Von Othegraven, seit 2010 gehört ihm das gleichnami­ge Traditions­weingut im rheinland-pfälzische­n Kanzem an der Saar im Mosel-Saar-Ruwer-Ring.
Foto:Foto: Birgit Reichert, dpa Moderator Günther Jauch ist ein Spross der Winzerfami­lie Von Othegraven, seit 2010 gehört ihm das gleichnami­ge Traditions­weingut im rheinland-pfälzische­n Kanzem an der Saar im Mosel-Saar-Ruwer-Ring.

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