Deutschland steckt im Bau-Stau fest
Die Baufirmen kommen mit dem Hochziehen der Häuser nicht hinterher, sagt das Statistische Bundesamt. Das verschärft den Immobilien-Wahn in den Städten. Die Mieten explodieren
Berlin Es sind schwindelerregende Zahlen, die vielen Mietern Angst und Bange machen. Das Statistische Bundesamt hat sich den deutschen Wohnungsmarkt genau angeschaut und die zuletzt aufkommende Hoffnung auf Entspannung im Keim erstickt. Denn Deutschland steckt im Bau-Stau. „Die Baubetriebe schaffen es seit 2015 immer seltener, eingegangene Aufträge auch zeitnah abzuarbeiten“, sagte der Chef des Bundesamtes, Georg Thiel, am Mittwoch in Berlin. Aufträge im Wert von neun Milliarden Euro warten darauf, dass die Bagger anrollen. Den Unternehmen fehlen schlicht die Bauarbeiter.
Während zwischen 2008 und 2018 das Personal nur um ein Viertel aufgestockt wurde, haben sich die Aufträge für Häuser und Wohnungen verdreifacht. In den großen Städten wie Berlin, München, Frankfurt Stuttgart und Hamburg wird die Wohnungsnot noch größer. Die Deutschen zieht es weg vom Land, zumindest die jungen Leute. „Die Wohnungskrise in den deutschen Städten spitzt sich aufgrund stetig wachsender Einwohnerzahlen und einem unzureichenden Wohnungsneubau immer weiter zu“, warnte der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Dagegen helfe nur der Neubau von mindestens 80000 Sozialwohnungen und 60000 bezahlbaren Mietwohnungen – pro Jahr.
Tatsächlich hat Deutschland in den vergangenen Jahren hunderttausende Sozialwohnungen verloren, weil sie aus der Preisbindung gefallen sind. Nach 20 bis 25 Jahren können sie in der Regel auf dem regulären Mietmarkt angeboten werden. Viele Städte hatten außerdem vor dem Boom Teile ihres Wohnungsbestandes verkauft. Nun fehlt ihnen ein wichtiges Instrument, um den Preisdruck zu begrenzen.
Neben dem Zuzug treibt auch die Spekulation Preis und Mieten. Da gebe es einen klaren Zusammenhang, erklärte Chefstatistiker Thiel. Um die Hälfte sind Wohnungen sowie Ein- und Zweifamilienhäuser seit 2008 teurer geworden. In den sieben größten Städten des Landes ist die Wucht noch dramatischer. Allein zwischen 2016 und 2018 mussten die Käufer von Eigentumswohnungen ein Plus von 23,4 Prozent schlucken. Die Steigerungen zeigen sich besonders deutlich bei Neuvermietungen: Mieter in Berlin zum Beispiel müssen dort beim Einzug in den Jahren seit 2015 durchschnittlich 9,16 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen. Das ist ein Viertel mehr als im Jahrzehnt davor.
Zahlen des Bayerischen Landesamtes für Statistik zeigen, wie sich die Durchschnittsmieten im Freistaat entwickelt haben: Demnach betrug im Jahr 2018 die durchschnittliche Nettokaltmiete in Bayern 8,12 Euro pro Quadratmeter. Im Vergleich zu 2014 ist dies ein Anstieg um 22 Prozent. Den größten Anstieg der Mieten gab es in München. Dort wurden die Mieten von 2014 bis 2018 im Schnitt um 32 Prozent teurer. Die durchschnittliche Nettokaltmiete betrug in der Landeshauptstadt vergangenes Jahr 12,09 Euro pro Quadratmeter.
„Auch in den Großstädten Nürnberg und Augsburg liegen die Mieten – mit wenigen Ausnahmen – deutlich über dem Niveau ländlicher Regionen“, schreibt das Statistische Landesamt. In Augsburg legte die Durchschnittsmiete im betrachteten Zeitraum um elf Prozent zu – auf 7,42 Euro je Quadratmeter.
Das Allgäu kommt da besser weg: Für die Landkreise Oberallgäu, Ostallgäu und Lindau, aber auch die Städte Kempten und Kaufbeuren verzeichnet das Landesamt einen Anstieg der Mieten im Zeitraum von 2014 bis 2018 um fünf Prozent. Die durchschnittliche Nettokaltmiete lag vergangenes Jahr in den genannten Gebieten bei 6,64 Euro pro Quadratmeter.
Der Berliner Senat versucht das drängende Problem steigender Immobilienpreise mit dem umstrittenen Mietendeckel zu lösen, erntet dafür aber in der Immobilienwirtschaft scharfe Ablehnung. „Einfache Antworten wie Deckel und Bremsen sind reine Augenwischerei und verschlimmern die Lage nur weiter“, betonte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft (GdW).
Der Verband hat 20 Vorschläge vorgelegt, wie der Mietenwahnsinn gestoppt werden kann. Dazu zählt, die Sozialbindung zu verlängern, die Dachaufstockung bei bestehenden Häusern zu fördern, mehr Schutz vor Eigenbedarfskündigungen und die Senkung der Grunderwerbsteuer. Die Kommunen müssten außerdem mehr Bauland ausweisen, damit mehr gebaut werden kann. „Komplexe Probleme wie die des deutschen Wohnungsmarktes brauchen auch komplexe und differenzierte Lösungen“, sagte Gedaschko.