Flucht vor Olympia
Olympia ist vielen Bedrohungen ausgesetzt. Politik, Gigantismus, Korruption, Doping, Gier. Dem allein gegenüber steht die Idee von der Jugend der Welt, die sich zum sportlichen Wettkampf trifft. Dick eingestaubt und schwer beschädigt steht sie da, gelegentlich aufpoliert und beatmet von unverbesserlichen Romantikern. Und so als würde die Last, die auf dem einstmals edel klingenden Gedanken drückt, nicht schon genügen, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten noch eine weitere Hölle aufgetan, die den Spielen eines Tages die Luft zum Atmen rauben wird – der Klimawandel.
Bislang betrifft er vorzugsweise das Winterformat. Die gestiegenen Temperaturen schmelzen den Spielen die Grundlage weg. Biathleten laufen auf schmalen Kunstschneebändern durch sattes Grün. Der Winter stirbt und mit ihm seine Winterspiele. Ignoranten werden sagen: Macht nichts. Sommerspiele sind sowieso das größere Spektakel. Solange es sie noch gibt.
Inzwischen holt der Klimawandel nämlich auf mittlerer Flamme kochend auch sie ein. Einer der Brennpunkte dieser Welt, an denen nicht mehr wie bislang selbstverständlich alle Disziplinen stattfinden können, ist Tokio – Austragungsort der Spiele 2020. Für Marathonläufer und Geher ist es zu heiß, weshalb die Athleten ins kühlere Sapporo umziehen, wo 1972 bezeichnenderweise Winterspiele stattfanden.
Da möchte man ein Schwimmer sein, denkt der Ahnungslose, der sich im Sommer zur Abkühlung in Seen und Flüsse stürzt. Nur, in Tokio gibt es keine Abkühlung. Hier drohen den Freiwasserschwimmern Temperaturen von jenseits der 30 Grad, was auf die Wettkampf-Distanz von zehn Kilometern für den Athleten lebensbedrohend ist.
Wen nicht der Schlag trifft, der droht am Gestank des im Sommer absinkenden Wasserspiegels in der Bucht einzugehen. Den überhitzten Marathonläufer fängt im Falle einer Ohnmacht der Teerboden auf, den Schwimmer ... weshalb nun auch die Fraktion der FreiwasserAthleten auf ihr Überleben pocht und in den sicheren Norden fliehen möchte.
Es könnte der Auftakt einer Massenbewegung werden, der sich bald Fußballer, Langstreckenläufer und das Publikum anschließen. Wenn die Sommerspiele überhaupt noch eine Zukunft haben, dann an den Orten ehemaliger Winterspiele. Die braucht demnächst keiner mehr.