Rieser Nachrichten

Jugendschu­tz für Kopfbälle

England schafft das Kopfballtr­aining für Kinder ab. Studien zeigen mögliche Risiken für das Gehirn auf. Sogar zusätzlich­e Wechsel sind ein Thema

- VON CHRISTOF PAULUS

Augsburg Dass Will Smith jemals einen Ball mit dem Kopf gespielt hat, ist unwahrsche­inlich. Was er spielt, sind Rollen in Hollywood. Zum Beispiel die von Bennet Omalu. Das ist ein nigerianis­cher Arzt, dessen Geschichte es bis ins Kino geschafft hat. Der Grund: Er brachte die mächtige Football-Liga NFL zum Einlenken. Und das in einer Problemati­k, die langsam den Fußball in Europa zu erreichen scheint.

Der Film über Omalu heißt „Erschütter­nde Wahrheit“. Er kämpfte dafür, dass die NFL ihre Regeln anpasst, um schweren Verletzung­en vorzubeuge­n. Omalu war der Nachweis gelungen, dass die Vielzahl an Zusammenst­ößen Ursache dafür ist, dass Football-Profis besonders häufig an Demenz oder Alzheimer erkranken. Inzwischen weiß man: Fußballern geht es ähnlich.

„Es gibt retrospekt­ive Studien, die klar zeigen, dass Fußballspi­eler ein höheres Risiko haben, eine chronische Schädigung des Gehirnes zu erleiden“, sagt Markus Naumann, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitä­tsklinikum Augsburg. Das Risiko schätzt er im Vergleich zur restlichen Bevölkerun­g als etwa dreimal höher ein. Chronisch Traumatisc­he Enzephalop­athie (CTE) heißt die Erkrankung. Grundsätzl­ich könne jede chronische Gewalteinw­irkung auf den Schädel dazu führen. „Dabei kommt ursächlich wiederholt­en Kopfbällen sicher eine gewisse Bedeutung zu“, sagt Naumann.

Es überrascht nicht, dass im Land des American Football diese Erkenntnis schon vor Jahren Folgen hatte: Für Kinder unter elf Jahren sind Kopfbälle seit 2015 in den USA verboten. Fünf Jahre später zog England nach: Seit dieser Woche gibt es dort neue Vorschrift­en, die Kopfballtr­aining für Kinder im Grundschul­alter untersagen, ab der U12 sollen Kopfbälle deutlich, in der U18 soweit wie möglich reduziert werden.

In Deutschlan­d scheint sich diese Entwicklun­g durch die Hintertür einzustell­en. „Kopfbälle wurden beim Training in letzter Zeit sowieso stiefmütte­rlich behandelt“, sagt Stefan Werner, der Nachwuchsl­eiter des FC Gundelfing­en. Dort ist zugleich ein Stützpunkt des Deutschen Fußball-Bundes angesiedel­t.

Man sei sensibilis­iert, sagt Werner, warte aber auf eine mögliche Mitteilung des Verbandes, wie man das Training gestalten solle, um die Köpfe der Spieler zu schützen. Der Verband selbst äußerte sich auf Anfrage nicht.

Fraglich ist, ob weniger Kopfbälle die Gesundheit der Fußballer tatsächlic­h merklich schützen. Denn Kopfbälle sind nicht das einzige Risiko, dem die Gehirne der Spieler ausgesetzt sind. Auch „Kollisione­n mit anderen Spielern, Stürze oder anderweiti­ge chronische Erschütter­ungen des Gehirns“nennt Professor Naumann als Gefahrenqu­ellen. Dabei dürfte sich beim Verbot von Kopfbällen ein Nebeneffek­t einstellen: Ohne sie würden sich auch Luftzweikä­mpfe deutlich reduzieren. Naumann empfiehlt, „grundsätzl­ich jegliche Gewalteinw­irkung auf den Schädel und somit das Gehirn zu vermeiden“, auch wenn das „in der Praxis sicher nicht einfach umzusetzen ist“. Zudem müssten Spieler frühzeitig aufgeklärt werden.

Mit Kopfverlet­zungen beschäftig­t sich am Wochenende bei seiner Jahreshaup­tversammlu­ng das IFAB – das Internatio­nal Football Associatio­n Board. Das Gremium ist für die Regeln im Weltfußbal­l zuständig und denkt darüber nach, ob am Kopf verletzte Spieler zum Schutz in Zukunft zeitweise oder zusätzlich zum Wechselkon­tingent ausgewechs­elt werden dürfen. Damit könnte man allerdings nur akuten Verletzung­en entgegentr­eten. Die vielen unbemerkte­n Zusammenst­öße blieben unveränder­t Teil des Spiels.

Besonders junge Spieler zu schützen, wie es der englische und amerikanis­che Verband praktizier­en, hält Naumann für sinnvoll. Je jünger die Spieler seien, deren Köpfe Erschütter­ungen ausgesetzt sind, desto früher könnten Einschränk­ungen der

Archivbild: Günter Jansen

Hirnfunkti­on auftreten. Wo eine klare Altersgren­ze zu ziehen ist, sei jedoch wissenscha­ftlich nicht zu definieren. Dazu gebe es keine verlässlic­hen Daten.

Einen Helm, wie von Naumann vorgeschla­gen, tragen FootballSp­ieler schon lange. Und auch im Fußball ist das nicht so unvorstell­bar, wie es scheint. Einen Helmträger kennen viele aus der Bundesliga: Klaus Gjasula vom SC Paderborn. Seit er sich 2013 das Jochbein brach, spielt er nicht mehr ohne Kopfschutz. „Ich fühle mich damit sicherer“, sagt er. Doch das sei tatsächlic­h nur ein Gefühl, sagt Claus Reinberger, Leiter des Sportmediz­inischen Instituts der Universitä­t Paderborn. „Der Helm schützt sein Jochbein, aber nicht das Gehirn“, zitiert ihn das Online-Portal Sportbuzze­r. Um es wirklich zu schützen, müssten Fußballer tatsächlic­h Helme wie beim American Football tragen.

 ??  ?? Kopfbälle und Zusammenst­öße in der Luft können das Gehirn nachhaltig schädigen. Der englische Fußballver­band hat das Kopfballtr­aining deshalb abgeschaff­t. In Deutschlan­d hat das Thema noch wenig Präsenz.
Kopfbälle und Zusammenst­öße in der Luft können das Gehirn nachhaltig schädigen. Der englische Fußballver­band hat das Kopfballtr­aining deshalb abgeschaff­t. In Deutschlan­d hat das Thema noch wenig Präsenz.

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