Was macht Corona mit uns Reisenden?
Wie wird die aktuelle Pandemie unser Reiseverhalten in der Zukunft verändern? Tourismusforscher Martin Lohmann wagt eine erste Prognose
Es sah alles so gut aus – Anfang des Jahres herrschte noch Optimismus in der Reisebranche. Die Reiselust der Deutschen war ungebrochen. Das Corona-Virus hat weltweit die Reisekonzerne, die ihre Urlaubsprogamme bis Ende April aussetzen mussten, in ihre größte Krise gestürzt. Wie es weitergeht, weiß niemand. Werden die Menschen nach dieser Erfahrung überhaupt wieder Lust auf Reisen haben oder verändert die Corona-Pandemie die Gesellschaft? Prof. Dr. Martin Lohmann wagt eine erste Prognose. Er erforscht für die renommierte Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) alljährlich das Reiseverhalten der Deutschen.
Die schlechten Nachrichten überschlugen sich. Erst wurde die weltgrößte Reisemesse ITB gestrichen, dann macht Italien dicht, immer mehr Grenzen schließen, Europa verfügt einen Einreisestopp. Marktführer Tui hat den Reisebetrieb weitgehend eingestellt. Kann alles wieder werden, so wie es einmal war?
Lohmann: Das weiß ich nicht. Unter den derzeitigen Umständen kann jede Voraussage morgen schon hinfällig sein. Wir haben hierfür keinen Präzedenzfall, an dem wir uns orientieren könnten. Denn das Besondere an Corona ist ja: Es tritt in allen Quell- und Zielmärkten auf. Und wie sich das langfristig auswirkt, da habe ich keinen Schimmer – wie wir wohl alle. Aber deshalb muss niemand die Hoffnung fahren lassen.
Corona hemmt ja nicht nur das soziale Leben. Weil niemand weiß, wie lange der Zustand andauert, lähmt das Virus auch die Planungsfreudigkeit. Das gilt sicher auch für Reisen, zumal man auch nicht weiß, wann welche Urlaubsländer ihre Einreisebeschränkungen wieder aufheben.
Lohmann: Die konkrete Planung wird sicherlich auf die lange Bank geschoben. Aber jetzt wäre Zeit und Gelegenheit, sich mit Reisethemen zu beschäftigen. Allerdings leben sicher viele in diesen Zeiten eher von einem Tag auf den anderen, und Gedanken an einen konkreten Urlaub spielen dabei aktuell keine große Rolle.
Trotzdem gibt es Optimismus bei den Veranstaltern. Sie reden von Nachholbedarf, davon, dass die Leute nach der langen Phase des Eingesperrtseins raus wollen.
Lohmann: Aus heutiger Perspektive ist Corona eine vorübergehende Geschichte, die bis zum Frühsommer dauern wird, vielleicht auch länger. Aber auch danach verlieren die Reiseziele nichts von ihrer Attraktivität. Die Reisemotivationen wie Erholung, Abwechslung, Neugierde auf die Welt bleiben ebenfalls bestehen. Insofern ist Corona nicht der Untergang des Urlaubstourismus. Als Reiseveranstalter würde ich dabauen, dass die Deutschen auch weiter reisen wollen. Allerdings lässt sich ein Urlaub nicht einfach nachholen. Die Urlaube, die jetzt ausfallen, sind einfach weg. Die Anzahl der Reisen im Jahr 2020 wird also nicht gleich hoch werden wie im Vorjahr.
Viele Deutsche werden damit rechnen müssen, weniger Geld zur Verfügung zu haben. Veranstalter und Hoteliers könnten pleitegehen.
Lohmann: Richtig. Das sind mittelbare Effekte. Nicht nur Einzelne, sondern wir alle müssen wohl kürzertreten. So, wie es war, wird es nicht bleiben, weil es eine Reihe von Unternehmen gibt, die nicht in der Lage sein werden, einen mehrmonatigen „Shutdown“zu überleben. Es wird weniger Fluglinien geben, auch weniger Kreuzfahrten. Das hat auch wirtschaftliche Folgen, die unsere Welt schon verändern werden.
Das bedeutet auch eine Verknappung des Angebots. Werden Reisen künftig teurer werden?
Lohman: Das glaube ich nicht. Bisher haben wir ja eher zu viele als zu wenige Angebote. Wir werden aber eine Marktbereinigung erleben, die schmerzhaft für die Betroffenen ist und die auch zu einem Wegfall von Schnäppchen führen wird. Allerdings wohl kaum zu unanständigen Preisen. Schließlich müssen die Tourismusunternehmen die Nachfrage ankurbeln.
Und wenn gebucht wird, werden dann Pauschalreisen wieder mehr gefragt sein, weil sie mehr Sicherheit bieten? Lohmann: Trotz der Thomas-CookPleite hat die Pauschalreise immer noch einen guten Ruf. Auch jetzt werden Pauschalurlauber zurückgeholt, während Individualreisende sich selbst um ihre Rückkehr kümmern müssen. Die Veranstalter haben in letzter Zeit viele Beispiele geliefert, dass sie sich gut um ihre Kunden kümmern. Da fühlen sich die Urlauber gut aufgehoben.
Immer noch sitzen Deutsche in exotischen Ländern fest und wissen nicht, wie sie zurückkommen. Wird diese Erfahrung dazu führen, dass man lieber im eigenen Land bleibt?
Lohmann: Ach, so viele sind das gar nicht. Diese Erfahrungen werden deshalb wenig Auswirkungen auf künftige Reisepläne haben. Exotik bleibt verlockend.
Der Tourismus war ja schon länger in Verruf geraten, Stichwort Klimawandel oder auch Overtourismus. Beides hat sich in Corona-Zeiten erledigt. Lohmann: Natürlich gibt es diese negativen Effekte. Und angesichts der nicht bestehenden Nachfrage kann man von einer Erholungspause sprechen. Aber sie sind damit nicht aus der Welt. Mit diesen Themen werden wir uns weiterhin beschäftigen müssen. Unsere Gesellschaft neigt ja dazu, sich immer nur mit eirauf nem Thema auseinanderzusetzen. Derzeit ist es Corona. Aber die Eisberge schmelzen weiter, und im Herbst wird auch der Markusplatz in Venedig wieder überfüllt sein.
Fakt ist aber auch, dass Touristen das Virus weiter verbreitet haben. Corona ging sozusagen auf Reisen. Wie wird sich diese Tatsache auf die Reiselust auswirken?
Lohmann: Das „reisende Virus“macht deutlich, dass Reisen auch negative Folgen haben können. Das ist nicht neu, wird jetzt aber besonders deutlich. Ich glaube aber nicht, dass deshalb den Deutschen die Reiselust auf Dauer abhandenkommt. Die Branche sollte jetzt möglichst die positiven Effekte einer Reise in den Vordergrund stellen: Wandern oder Skifahren in der frischen Luft fördert die Gesundheit, gemeinschaftliches Reisen ist gut für soziale Beziehungen, Fernreisen erweitern den Horizont. Mich ärgert, dass man sich um diese positiven Effekte kaum schert.
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Martin Lohmann von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen erstellt jedes Jahr die sogenannten „Reiseananlyse“. Diese wissenschaftliche Erhebung gilt als Seismograph für die Reisebranche, Verbraucher geben dafür über ihre Reisepläne Auskunft.