Mehrere Corona-Tote in Harburger Pflegeheim
Im Pflegeheim der Diakonie in Harburg sind seit Samstag neun Bewohner gestorben. Der tief erschütterte Leiter schildert die Vorkommnisse
Innerhalb weniger Tage sind neun Bewohner im Pflegeheim der Diakonie in Harburg gestorben. Alle Hintergründe auf
Harburg Michael Kupke ringt um Fassung. Seit fast 30 Jahren leitet er die Pflegeeinrichtung der Diakonie in Harburg. Er habe in dieser Zeit „viel durchgemacht“. Es habe finanzielle und andere Sorgen gegeben, doch das alles sei nichts im Vergleich zu dem, was gerade passiert: „So etwas habe ich noch nicht erlebt.“An einem einzigen Tag – am vergangenen Samstag – starben im Pflegeheim, das der Diakonieverein Harburg und Umgebung betreibt, fünf Bewohner, am Sonntag ein weiterer und am Dienstag noch einmal zwei und am Mittwoch wieder einer. Inzwischen weiß man: Mindestens zwei der Gestorbenen waren mit dem Coronavirus infiziert. Weitere Heimbewohner und Mitarbeiter sind an Covid-19 erkrankt.
Das Pflegeheim in Harburg ist mit 48 Plätzen – davon drei Kurzzeitpflegeplätze – das kleinste im Donau-Ries-Kreis. Entsprechend familiär geht es in der Einrichtung zu, in der sich auch viele Ehrenamtliche engagieren. 2011 wurde ein Neubau in Betrieb genommen. Rund 50 Pflegekräfte – alle in Teilzeit – arbeiten dort. Das Heim ist beliebt. Seit 2013 ist es durchgehend voll belegt. „Wir haben eine lange Warteliste“, berichtet Kupke. Die durchschnittliche Verweildauer der Bewohner sei außergewöhnlich lange: „Wir schauen, dass es den Leuten gut geht.“
Praktisch alle der nun Gestorbenen hätten sich über Jahre in der Einrichtung der Diakonie befunden. „Die waren für mich wie Eltern. Ich kenne auch die Angehörigen persönlich“, schildert der 55-Jährige sichtlich betroffen. Er mag nur schwer akzeptieren, dass von den 46 Personen, die der Diakonie in Harburg noch bis zum Wochenende anvertraut waren, jetzt neun tot sind.
Bei drei der Gestorbenen, die allesamt Mitte 70 und älter waren, sei wegen ihrer Gebrechlichkeit abzusehen gewesen, dass sie nicht mehr lange leben würden.
Natürlich sei man sich der Gefahr bewusst gewesen, dass sich das Coronavirus auch in der Einrichtung ausbreiten kann. Bis Mitte März sei das Haus noch „relativ offen“gewesen. An die Bitte, dass jeder Bewohner nur noch einen Besucher pro Woche empfangen sollte, hätten sich die Familien gehalten. Seit dem 20. März komme abgesehen vom
Personal gar niemand mehr ins Gebäude – außer engsten Angehörigen von Sterbenden.
Sowohl Bewohner als auch Mitarbeiter seien erkältet gewesen, vier oder fünf der Senioren hätten auch Fieber gehabt. Drei Mitarbeiterinnen, die sich krank fühlten, blieben Kupke zufolge daheim, ließen sich auf Covid-19 testen – und erfuhren mittlerweile, dass sie infiziert sind.
Man habe geschaut, dass die Bewohner in den vier Wohngruppen in ihren Zimmern bleiben. Dies sei bei manchen der Senioren praktisch nicht möglich. 50 Prozent der Senioren seien dement. Man könne ihnen nicht plausibel machen, im Raum zu bleiben: „Wir können sie nicht einsperren.“
Stand Dienstag ergibt sich nach Auskunft des Heimleiters im Pflegeheim folgende Situation: Eine Bewohnerin befindet sich seit vorigen Donnerstag im Krankenhaus. Sie ist an Covid-19 erkrankt. Die Mitarbeiter wurden am Dienstag und am Mittwoch auf Covid-19 getestet. Kupke wünscht sich, dass das Ergebnis möglichst schnell vorliegt. Ein großes Anliegen des Leiters ist, dass auch alle Bewohner getestet werden. Bislang sei dies vonseiten der Behörden nur für Senioren vorgesehen, die Symptome zeigen.
Derweil versuche man den Betrieb so gut es geht aufrecht zu erhalten. Es hätten sich bereits ein paar Fachkräfte von außerhalb angeboten, um im Notfall auszuhelfen. Michael Kupke lobt seine Belegschaft: „Unser Personal arbeitet rund um die Uhr und ist sich für nichts zu schade.“
Vom Coronavirus betroffen ist auch die räumlich direkt mit dem Heim verbundene Diakoniestation. Deren Personal kümmert sich um rund 120 Klienten im Bereich der Stadt Harburg und in umliegenden Dörfern. Mit dem Virus hat sich die Leiterin infiziert. Deren Stellvertreterin Manuela Mühlbauer und Kupke betonen, dass diese keinen direkten Kontakt zu den Klienten hatte. Viele hätten bereits besorgt angerufen. Die Verantwortlichen sind froh, dass keine Vorwürfe zu hören waren.
In einem Punkt ist sich Michael Kupke bezüglich des Coronavirus sicher: „Man kann so ein Haus noch so gut führen: Es kann überall passieren.“Er befürchtet: Harburg werde im Donau-Ries-Kreis wohl kein Einzelfall bleiben.