Ist Söders Infektionsschutzgesetz nicht rechtskonform?
Im Eiltempo hat der Landtag im März das Gesetz beschlossen – Juristen melden Zweifel an. Der Staatsrechtler Battis teilt die Vorbehalte nur zum Teil. Die Einschränkungen in Epidemie-Zeiten bieten Stoff für viele juristische Konflikte
Augsburg Was ist medizinisch notwendig, was schränkt Grundrechte und persönliche Freiheit unverhältnismäßig ein? Das ist der grundsätzliche Punkt, an dem sich juristische Auseinandersetzungen, aber auch politische Debatten um Gesetzesvorhaben in Zeiten der Corona-Krise entzünden. Jüngstes Beispiel dafür ist das am 25. März von allen sechs Fraktionen des Landtags im Kampf gegen die Epidemie beschlossene bayerische Infektionsschutzgesetz. Denn gegen Teile des Gesetzes meldet der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten erhebliche Bedenken an.
Die Kritikpunkte der Bundestagsjuristen: Mit der Möglichkeit, medizinisches Material zu beschlagnahmen sowie Ärzte und Pflegekräfte für bestimmte Arbeiten zu verpflichten, greife das bayerische Gesetz unzulässig in staatliche Kompetenzen ein. Für den LinkenPolitiker, Niema Movassat, der das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, ein klarer Fall: Dass Gesetz müsse umgehend kassiert werden.
Die Antwort aus Bayern kam prompt. Die Länder hätten eine im
Grundgesetz festgeschriebene Befugnis zur Gesetzgebung, „solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht per Gesetz Gebrauch gemacht hat“, sagte ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums.
Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis ist sich sicher, dass das bayerische Gesetz Bestand haben wird. „Es kann nicht die Rede davon sein, dass das Gesetz in seiner Gesamtheit nichtig ist. Grundsätzlich ist es zulässig und sinnvoll, dass die Länder ihre Kompetenz nutzen, Bundesgesetze zu konkretisieren“, sagte der emeritierte Professor im Gespräch mit unserer Redaktion. Doch einen Punkt hält auch Battis für fragwürdig: „Ärzte gegen ihren Willen zu bestimmten Arbeiten zu verpflichten, halte ich allerdings für eine sinnlose Maßnahme, weil nicht durchführbar. Einen Lehrer beispielsweise im Falle einer Flutkatastrophe zu verpflichten, bei der Sicherung eines Staudamms zu helfen, wäre rechtlich möglich. Das ist aber etwas völlig anderes.“
Höher noch schlagen die Wellen in der Diskussion über die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn initiierte Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes
für den Bund. „Problematisch“nannte in diesem Fall der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages den Inhalt der Novelle. Die Juristen stören sich daran, dass das Gesundheitsministerium Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrats erlassen darf. Außerdem halten die Experten die Befugnisse, die der Gesetzgeber an das Ministerium von Jens Spahn abgibt, für nicht klar genug begrenzt. Immerhin gehe es „hier um erhebliche Grundrechtseingriffe“. Florian Meinel, Professor für öffentliches Recht in Würzburg, hält das Vorhaben
gar für gefährlich, wie er in der Süddeutschen Zeitung erklärte. Die föderale Aufgabenteilung sei bedroht, weil sich der Minister im Falle einer Epidemie an die Spitze der Verwaltung setze. Und das, obwohl die Verwaltung grundsätzlich in den Händen der Länder liege.
Staatsrechtler Battis wirbt zwar um Verständnis für Spahn, da im März – als die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes im Eilverfahren ausgearbeitet und beschlossen wurde – „eine gewisse Panik, eine chaotische Situation“geherrscht habe. Immerhin seien einige neuralgische Passagen rechtzeitig aus der Vorlage herausgestrichen worden. „Zunächst stand ja noch mehr drin, wie eine weitgehende Variante der Handy-Überwachung, die nicht rechtskonform gewesen wäre.“Doch auch mit der beschlossenen Verschärfung ist Ulrich Battis alles andere als zufrieden: „Ich bin mir sicher, dass das Gesetz nach der Krise repariert werden muss und wird. Dass Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrats erlassen werden können, ist eindeutig zu beanstanden. Das verstößt gegen das föderale Prinzip.“
Seit Wochen werden die Verwaltungsgerichte
eingedeckt mit Eilanträgen gegen Anordnungen zur Eindämmung des Coronavirus. Meistens werden die Anträge zwar abgelehnt, aber nicht immer: Am Donnerstag hat das Bundesverfassungsgericht einem Eilantrag gegen ein wegen der Corona-Schutzmaßnahmen verhängtes Demonstrationsverbot in Gießen teilweise stattgegeben. Battis glaubt jedoch nicht, dass über das Gros der abgelehnten Eilanträge in möglichen späteren Hauptsacheverfahren anders entschieden werden wird – auch wenn er einräumt, dass es Anordnungen gebe, die „zu weitgehend“oder zu „streng“sind.
„Es ist aber Unsinn zu behaupten, dass wir jetzt in grundrechtsfreien Zeiten leben. Eben weil die Grundrechte weiter bestehen, müssen die Einschränkungen zeitlich beschränkt sein und streng kontrolliert werden.“So sei es für ihn als Katholik eigentlich „ungeheuerlich, dass Gottesdienste zum Osterfest verboten worden sind“. Doch der Staatsrechtler gibt zu bedenken, dass selbst der Vatikan dafür gewesen sei, dass die Gottesdienste nicht stattfinden. „Rechtlich ist das nicht zu beanstanden.“