Hier wird Musik zum Serienprinzip
Oscar-Preisträger Damien Chazelle entführt in „The Eddy“in einen Pariser Jazz-Club. Lohnt sich das Einschalten?
Damien Chazelle gehört zu den ganz großen unter den jungen Regie-Talenten in Hollywood: 35 Jahre alt, vier Filme, die zusammen mit 14 Oscars ausgezeichnet wurden. Dabei ist vor allem die Musik die treibende Kraft in seinen Werken. In „Whiplash“erzählte er von einem ehrgeizigen Schlagzeug-Studenten, und in „La La Land“stellte er einer angehenden Schauspielerin einen Jazz-Pianisten zur Seite, der zwischen Kunst und Kommerz seinen Weg suchte. Alles an „La La Land“war Musik: die genial choreografierte Eröffnungssequenz, die rhythmisch geschnittenen Bildfolgen und natürlich die Songs, mit denen das Genre des Musicals kraftvoll wiederbelebt wurde.
Wer mit den Erinnerungen an „La La Land“in Chazelles neue Netflix-Serie „The Eddy“(Start 8.
Mai) hineinstolpert, wird zunächst ernüchtert. Mit dem zarten Schmelz des romantischen Singspiels hat diese TV-Produktion nichts zu tun, auch wenn sie demonstrativ in der Stadt der Liebe angesiedelt ist. In Paris betreibt der US-Amerikaner Elliot (André Holland) mit seinem besten Freund Farid (Tahar Rahim) einen Jazz-Club. Elliot war selbst einmal ein gefeierter Pianist, aber seit dem Tod seines Sohnes hat er sich nicht mehr auf die Bühne begeben. Während Elliot sich um die musikalische Qualität des Clubs kümmert, versucht Farid die kriselnden Finanzen in den Griff zu bekommen. Dafür hat er die Hilfe krimineller Geldgeber in Anspruch genommen, die nun ihre Schulden eintreiben wollen.
Die erste Episode endet mit einem schmerzhaften Verlust, deren Folgewirkungen sich durch die achtteilige Serie ziehen werden. Als
Elliots Tochter Juliet (Amandla Stenberg) plötzlich in Paris vor der Tür steht, kommt zur Sorge um den Club noch die väterliche Verantwortlichkeit für eine rebellierende Jugendliche.
Der wunderbare André Holland („Moonlight“) spielt die unterdrückten Emotionen eines Mannes, der verzweifelt um die Kontrolle seines Lebens kämpft, mit einer brodelnden Energie aus. Aber wie in einem guten Jazz-Ensemble kreist auch dieser Film nicht allein um seine Hauptfigur, sondern bietet allen Beteiligten genug Raum, das eigene
Können zu zeigen. So ist jede Folge einer anderen Figur gewidmet, die aus dem Schatten ins Rampenlicht hineintritt, um ihr Solo zu spielen. Und diese Solos haben es in sich, denn hier öffnen sich nicht nur die Seelen der vermeintlichen Nebenfiguren, sondern auch andere Facetten der Geschichte, die um immer neue Perspektiven bereichert wird. Mit jeder Folge wächst einem eine weitere Figur ans Herz. Die verschiedenen Charaktere sind vollwertige Bandmitglieder der Serie, in der die Musik immer wieder zum Rettungsanker und Bindeglied wird. Wie ein paar Töne auf den Klaviertasten angespielt zur Melodie und schließlich zu einem stimmigen Arrangement zusammenwachsen – auch das kann man hier sehen, hören und fühlen. Eine gelungene Serie, die den Jazz selbst zu ihrem innersten Erzählprinzip erhebt.