Ein vielsagender Videobeweis
Wie ein Clip aus der Hertha-Kabine die ohnehin brüchige Akzeptanz der Bundesliga ins Wanken bringt
Wie es um den Gemütszustand von Tim Meyer, dem Arzt der Fußball-Nationalmannschaft und Leiter der DFL-Taskforce zur Wiederaufnahme des BundesligaBetriebs, gestellt ist, ist nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich sind es aber keine erfreulichen Tage für den Mediziner.
Meyer hat zusammen mit seinem Team nicht nur ein rund 50 Seiten dickes Hygienekonzept für Geisterspiele während der Corona-Krise erstellt, sondern kämpft seitdem auch um eine gesellschaftliche Akzeptanz dafür. Schon jetzt steht die Wiederaufnahme der Bundesliga auf wackeligen Füßen – doch am Montagabend hat Hertha-Spieler Salomon Kalou das Konzept innerhalb einer halben Stunde ins Wanken gebracht. Der Ivorer streamte in einem Facebook-Live-Video seine Ankunft am Trainingsgelände der Hertha – und offenbarte, wie lasch das Hygiene-Konzept der DFL beim Hauptstadtklub umgesetzt wird. Der bestens gelaunte Kalou klatscht mit dem AthletikCoach ab, mit seinen Mitspielern in der Kabine (die keine Anstalten machen, den aktuell von der DFL geforderten Mindestabstand einzuhalten) und platzt zum Schluss noch in den Corona-Test seines Mitspielers Torunarigha. Passend dazu trägt der Physiotherapeut der Berliner keine passende Schutzkleidung, weshalb der den Spieler darum bittet, das Video zu löschen. Dass er live auf Facebook zu sehen ist, weiß er nicht – und Kalou tut das Ganze als Spaß ab.
Die gute Laune der Hertha-Spieler bricht in diesem vielsagenden Video nur einmal ab – nämlich dann, als die hoch bezahlten Profis Kalou, Vedad Ibisevic und Per Ciljan Skjelbred sich über ihren Gehaltsverzicht beschweren. Denn statt zehn Prozent wurden elf bis 15 Prozent abgezogen. Ibisevic beschwert sich, dass er das „verdammte Papier“auf einen Gehaltsverzicht unterschrieben hat.
Es sind Bilder, die sich eine Satire-Show nicht besser ausdenken hätte können – und die die Verantwortungslosigkeit der Spieler dokumentieren. Kalou, Ibisevic und Skjelbred sind alle drei keine Jugendspieler mehr, sondern 34, 35 und 32 Jahre alt. Ein
Reifeprozess hat bei ihnen offenbar nicht eingesetzt. Mit ihrem skandalösen Verhalten haben die drei dem Profi-Fußball einen Bärendienst erwiesen. Denn die Vermutung liegt nahe, dass es nicht nur in der Hertha-Kabine so aussieht. Nun stehen alle 36 ProfiKlubs unter Generalverdacht. Dass Kalou noch am selben Tag von der Hertha suspendiert wurde, war unausweichlich. DFB-Arzt Tim Meyer hatte in der Vorstellung des Hygienekonzeptes auf die Schwachstellen des ebenso umstrittenen wie aufwendigen Planes hingewiesen: Trotz 20 000 Tests und einem enormen Aufwand für alle Beteiligten sei man vor allem auf die Verantwortung der Spieler, Trainer und Funktionsteams angewiesen. Meyer betonte vor knapp zwei Wochen: „Wir können die schönsten Konzepte machen. Aber wenn diejenigen, um die es geht, nicht mitspielen – dann haben wir ein Problem. Die Disziplin ist extrem bedeutsam.“Worte, die offenbar nicht in die Berliner Kabine gedrungen sind. Das passt zu einer Spielzeit, in der Hertha sich auf das Produzieren öffentlicher Fehltritte spezialisiert. Die skandalösen Bilder aus Berlin beschädigen die Bemühungen der DFL enorm. Sie könnten dazu führen, dass die Bundesliga die Restsaison später oder überhaupt nicht mehr startet.
Wenn man sich das Video von Kalou ansieht, kann man nur zu dem Schluss kommen: Das wäre dann auch richtig so.