Kurzvisite mit Folgen
Der lang ersehnte Besuch des österreichischen Bundeskanzlers im Kleinwalsertal löst dort große Emotionen aus. Und Sebastian Kurz droht nun eine Anzeige
Kleinwalsertal Nach dem Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP), 33, am Mittwochabend im Kleinwalsertal ist Kritik am Ablauf der Veranstaltung laut geworden. Empörung herrscht in sozialen Netzwerken, weil mehrfach Sicherheitsabstände nicht eingehalten wurden. „Ich bitte euch, a bisserl Abstand zu halten“, hatte Kurz zwar zu den vielen Bürgern, die gegen 20 Uhr vors Walserhaus in Hirschegg gekommen waren, gesagt. Doch diese Bitte wurde ignoriert. Viele wollten ein Erinnerungsfoto vom Kanzler im Walsertal machen und drängten nach vorne. Auch beim ersten Auftritt von Kurz an der Walserschanz hielten Medienvertreter im Kampf um die besten Bilder nicht immer die erforderlichen Sicherheitsabstände ein. Der Kanzler mahnte zu etwas mehr Disziplin: „Bitte Abstände halten“und „Wir haben alle Zeit der Welt“. Er selbst trug keine Maske.
Sepp Schellhorn, Abgeordneter des Neuen Österreich und Liberalen Forums, kündigte auf Twitter eine Anzeige gegen den Kanzler an. „Das ist ja unglaublich“, wird er in österreichischen Medien zitiert. Kulturschaffende, Wirte und Filmemacher müssten sich über Hygienebestimmungen den Kopf zerbrechen. „Und dann das“, fährt er fort.
Kurz war am Mittwochabend per Auto von Wien in die österreichische Exklave gekommen. Im Kleinwalsertal fand sozusagen die Premiere einer Besuchsreihe in allen österreichischen Bundesländern statt. Für die Fahrt durch Deutschland benötigte die Kanzlerlimousine – ein schwarzer BMW – sogar eine Transitgenehmigung des bayerischen Innenministeriums. In seiner
Ansprache erwähnte Kurz „die gute Nachricht im Gepäck“, die aber bereits bekannt war: Weitere Erleichterungen an den Grenzen würden schrittweise eingeführt, zum 15. Juni seien dann auch wieder für Deutsche touristische Aufenthalte in Österreich möglich.
In einem langen Konvoi waren Kurz, zahlreiche Medienvertreter sowie Vorarlberger Politiker nach der Begrüßung an der Walserschanz bis zum Walserhaus in Hirschegg gefahren. Viele Menschen – darunter zahlreiche Kinder – jubelten dem Kanzler zu und hielten Plakate in die Höhe: „Herzlich willkommen, Herr Kurz“. Mit rot-weiß-roten Fähnchen winkten viele dem Besuch aus Wien zu. Die KanzlerLimousine hielt immer wieder an. Kurz stieg aus, begrüßte die jubelnden Walsertaler und ließ sich fotografieren – ein Bild mit dem Kanzler fürs Familienalbum. Und noch eins und noch eins. Eine Frau in Tracht sang ihm das Walserlied vor. Kurz klatschte.
Rund 150 Menschen waren zum Walserhaus gekommen, wo der Kanzler sie begrüßte. „Ich danke euch vielmals fürs Durchhalten“, sagte Kurz an die Walsertaler gerichtet. Schließlich seien die Menschen in der Exklave durch die besondere Lage ohne direkte Verkehrsverbindung nach Österreich besonders drastisch von Lockdown und Grenzschließungen betroffen gewesen. Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner erwähnte in einem kurzen Statement, dass es im Kleinwalsertal derzeit keinen einzigen Corona-Infizierten gebe.
Im Gespräch mit unserer Redaktion berichtete der Kleinwalsertaler Bürgermeister Andi Haid, im nichtöffentlichen Gespräch mit Politikern und Touristikern sei es unter anderem erneut um die Grenzöffnungen gegangen. Eine Sonderregelung für die Exklaven werde es nicht geben. Haid: „Aber wir sind zumindest froh, dass wir jetzt eine klare Perspektive haben und der Sommertourismus am 15. Juni anlaufen kann.“Nach den Worten des Rathauschefs wurde auch darüber gesprochen, wie künftig in einem ähnlichen Krisenfall gehandelt werden könnte. Laut Haid soll zwischen beiden Ländern ein Konzept für die Exklaven erarbeitet werden.
Haid war nach eigenen Worten selbst überrascht, wie viele Menschen zum Walserhaus gekommen waren. Er erklärte das mit „Emotionen, Freude und Aufbruchstimmung“in der Bevölkerung nach wochenlanger Quarantäne im Tal. Nur so könne er sich erklären, dass die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände nicht von allen eingehalten wurden. Mit ihrer Aufforderung, zum Besuch des Kanzlers die Häuser zu beflaggen, hatte die Kleinwalsertaler Gemeindeverwaltung im Vorfeld für Verwunderung und Kritik gesorgt. Die Gemeinde nannte das „ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber Kurz“.