Rieser Nachrichten

Gülle-Prozess endet mit Totschlag-Urteil

Bis zum Schluss beteuert der Landwirt aus Birkhausen seine Unschuld. Jetzt fiel das Urteil. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass er seine Ehefrau getötet hat. Warum es einen Unfall ausschließ­t

- VON MICHAEL SIEGEL

Augsburg/Birkhausen Er erwarte einen Freispruch, sagt der 55-jährige Landwirt aus Birkhausen unmittelba­r vor der Urteilsver­kündigung. Aber dann: „Der Angeklagte ist schuldig des Totschlags und wird zu einer Freiheitss­trafe von 13 Jahren und sechs Monaten verurteilt.“Hat der Angeklagte auch mit diesem Urteil gerechnet? Mehrfach schüttelt er den Kopf, während die Richterin im Namen des Volkes spricht. Für das Gericht bestehe kein Zweifel, dass die Ehefrau des Angeklagte­n, eine 51-jährige Landwirtin aus Birkhausen, als Opfer einer Gewalttat ums Leben gekommen ist.

Der Angeklagte habe „aus spontanem Entschluss mit bedingtem Vorsatz“seine Ehefrau niedergesc­hlagen. Deswegen, so das Gericht, sei auch die Frage nach einem Motiv nicht wichtig. Sodann habe er die erkennbar noch lebende Ehefrau durch das Beibringen von Gülle ums Leben gebracht. Weil nicht mit Sicherheit ein Mordmerkma­l festzustel­len gewesen sei, erfolge die Verurteilu­ng wegen Totschlags. Das Gericht folgt damit dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft, die Verteidigu­ng hatte auf Freispruch plädiert.

Ein zentraler Punkt bei der Urteilsfin­dung sei für das Gericht gewesen, inwieweit sich die Ergebnisse der Obduktion mit der Auffindesi­tuation der toten Frau an jenem 20. September 2018 gegen 11 Uhr an der Güllegrube auf dem heimischen Hof in Einklang bringen lasse. Dazu habe das Gericht neben Zeugenauss­agen und Lichtbilde­rn der Ermittler auch drei Sachverstä­ndige angehört.

Die beiden medizinisc­hen Gutachter seien sich – bei vielen Differenze­n – in einem einig gewesen: Die Bäuerin hätte sich nach einem Sturz in die Grube nicht mehr allein hinausrett­en können, wenn sie die gesamte Güllemenge, die später im Atemtrakt gefunden worden war, bereits in der Grube eingeatmet hätte.

Ausführlic­h setzte sich Richterin Susanne Riedel-Mitterwies­er als vorsitzend­e Richterin mit den unterschie­dlichen Szenarien auseinande­r, die die beiden Rechtsmedi­ziner Prof. Oliver Peschel (München) und

Prof. Klaus Püschel (Hamburg) in ihren Gutachten beschriebe­n haben. Dabei nannte sie das Unfallszen­ario, das Püschel favorisier­t hatte, „absurd und lebensfern“.

Es sei mithin nicht vorstellba­r, dass die Frau nach einem Sturz in der Güllegrube liegend bewusstsei­nsgetrübt zunächst ein bis zwei Minuten lang Gülle getrunken habe – ohne jedoch etwas davon einzuatmen. Und dann habe sie die Leiter in der Grube gefunden, die unterste Sprosse getroffen und sei mindestens neun Sprossen hinaufgest­iegen – ohne Schuhe? Immer noch behielt sie laut Püschel die eklige Schweinegü­lle in sich – kein Würgen, kein Erbrechen? Es gelinge ihr auch noch ein Drehschwun­g von der Leiter auf festen Boden?

Aber dann folge der „sensatione­llen Selbstrett­ung ein tragisches

Ende“: Sie werde bewusstlos, erbreche, atme die Gülle ein und ersticke. „Das mag glauben wer will, wir nicht.“Gutachter Peschel hatte als ausführend­er Obduktions­arzt in München bereits zwei Tage nach der Tat die vom Gericht für glaubwürdi­ger erachtete Variante von einem Verbrechen mit Übergießen durch Gülle ins Gespräch gebracht.

Warum überhaupt hätte die Bäuerin allein in die Grube hinabsteig­en sollen, wo ihr die Gefahren bekannt gewesen waren, fragte die Richterin. Ist ihr etwas hinabgefal­len, was sie hätte heraushole­n wollen? Man habe nichts gefunden. Ein Schuh? Hätte sie wegen so eines Schuhs ihr Leben aufs Spiel gesetzt? „Das passt alles hinten und vorne nicht zusammen und ist, wie der Staatsanwa­lt es ausdrückte, maximal unplausibe­l.“Würdige man die

Gesamtscha­u und gehe über das einzelne Gutachten hinaus, was Aufgabe des Gerichts sei, dann scheide ein Unfallgesc­hehen ganz klar aus.

Das Gericht hatte sich auch mit der zeitlichen Machbarkei­t eines Verbrechen­s befasst und diese für den Zeitraum etwa zwischen 11.05 und 11.17 Uhr gesehen.

Bezug nehmend auf eine von der Verteidigu­ng geäußerte Befürchtun­g eines Fehlurteil­s erklärte die Richterin, dass das Gericht kein Fehlurteil sprechen wolle. Es wolle aber auch keinen Schuldigen freisprech­en.

An die Kinder des Angeklagte­n gewandt tröstete die Richterin, dass ihr Vater den Tod der Mutter nicht von langer Hand geplant, sondern sie spontan umgebracht habe. Dem Angeklagte­n warf sie vor: „Sie sind egoistisch, völlig empathielo­s, Sie wollen nur Ihre eigene Haut retten. Sie müssen mit Ihrer Schuld leben, Sie hätten Ihren Kindern die Wahrheit sagen können.“

Als einer der Letzten verlässt der Angeklagte nach der einstündig­en Urteilsver­kündigung den großen Sitzungssa­al, der coronabedi­ngt ausgedünnt restlos besetzt war. Verteidige­r Peter Witting kündigte unmittelba­r im Anschluss an, das Urteil dem Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe zur Prüfung vorlegen zu wollen. Bis es in vermutlich acht bis zwölf Monaten so weit sei, dauere die Untersuchu­ngshaft des Angeklagte­n an.

Bei den Besuchern waren die Meinungen geteilt. Während manche das Urteil erwartet hatten, schienen andere angesichts der Strafe von über 13 Jahren Haft ähnlich entsetzt zu sein wie der Angeklagte.

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Foto: Michael Siegel Der Angeklagte verfolgt die Urteilsver­kündung mit seinen Verteidige­rn Peter Witting, Martina Sulzberger und Nico Werning. Die Verteidigu­ng will gegen das Urteil Revision einlegen.

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