Der coronierte Mensch
Schon eine kurze Umarmung von 20 Sekunden ist gesund. Der Blutdruck sinkt, die Abwehrkräfte werden gestärkt, sodass sie uns vor gefährlichen Erregern besser schützen.
Diese wissenschaftliche Erkenntnis des Psychologen Martin Grunwald hätte die aktuellen Krisenmanager eigentlich veranlassen müssen, uns im Widerstandskampf gegen Corona die öffentliche Liebkosung als vaterländische Pflicht zu verordnen.
Das Gegenteil ist der Fall. Selbst die partnerschaftliche Zärtlichkeit wurde im Homeoffice-Stress stark reduziert und bei der streng regulierten Begegnung mit Freunden hat der Ellbogencheck den blutdrucksenkenden, gefühlvollen Händedruck verdrängt.
Niemand weiß, wie lange uns die Eineinhalb-Meter-Distanz noch zur Unberührtheit verurteilt. Sicher ist aber, dass der coronierte Mensch eine ganz neue Welt erschaffen wird. Er hofft, dass der Computer-Befehl „Herunterfahren und neu starten“auch für das wirkliche Leben gilt. Aber wenn der Lockdown-Zustand noch lange anhält, werden viele gesundheitsfördernde Berührungsformen aus der Mode kommen. Dass Goethes Gretchen von Fausts Händedruck schwärmt, ist dann nur noch eine historische Kuriosität. Bald wird so mancher Corona-Geschädigte dem Schriftsteller Victor Hugo zustimmen, der im Roman „Der Glöckner von Notre Dame“die Überzeugung vertrat, „dass das Leben ohne Zärtlichkeit und ohne Liebe nur ein gefühlloses, kreischendes und aufreibendes Räderwerk sei“.