Ein Stachel im Fleisch
Zu „Machtdemonstration aus Peking“(Politik) vom 25. Mai:
In Hongkong demonstrieren vorwiegend junge Leute aus der wohlhabenden Mittelschicht gegen einen wachsenden Einfluss Pekings auf ihre Region. Wer könnte es ihnen verdenken? Aber interessiert noch jemanden die von westlichen Medien nie beanstandete politische Situation Hongkongs unter britischer Herrschaft, also von 1841 bis 1997? Ein Gouverneur als Londons Arm mit autoritärer Macht in der britischen Kriegsbeute („Kronkolonie“), drapiert von einem durch ihn selbst ernannten sog. Legislativrat mit bloß beratender Funktion und einer lokalen chinesischen Elite, die sich mit der Kolonialmacht gegen die Interessen und Proteste der ärmeren Schichten verbündete. Erst lange nach der Vereinbarung von 1984, Hongkong 1997 an China zurückzugeben, entdeckten die Briten den Charme der Demokratie: Unter dem letzten Gouverneur, Chris Patten, gab es 1995 Wahlen zu einem Parlament (Wahlbeteiligung: 36 Prozent), das ein Stachel im Fleisch der künftigen chinesischen Besitzer sein sollte.
Ernst T. Mader, Blöcktach