Rieser Nachrichten

Versorgung­sengpass droht

Im bayerische­n Randgebiet des Ostalbkrei­ses stehen viele Ärzte vor dem Ruhestands­alter. Der Kreis müsse handeln, sagt ein Gutachten

- VON VIKTOR TURAD

Bopfingen/Neresheim In den OstalbGeme­inden entlang der Landesgren­ze zu Bayern droht in den kommenden Jahren eine Schwächung der hausärztli­chen Betreuung. Daher bestehe dringender Handlungsb­edarf. Konkret: Der Kreis müsse einspringe­n und sogenannte lokale Gesundheit­szentren schaffen, in denen etwa zwölf bestehende Arztpraxen zusammenge­fasst werden könnten. Dies geht aus einem Gutachten des Forschungs- und Beratungsb­üros Quaestio hervor, das in der jüngsten öffentlich­en Sitzung des Kreistags vorgestell­t worden ist. Standorte könnten Bopfingen, Unterschne­idheim und Neresheim sein.

Im östlichen Kreisteil mit seinen knapp über 40 000 Einwohnern und seinen 24 Hausärzten ist mehr als jeder zweite Arzt, nämlich 55 Prozent, über 60 Jahre alt. Davon ist fast jeder vierte bereits über 65 Jahre. Relativ gut sieht es dabei in Bopfingen aus, wo 38 Prozent der Mediziner die 60 und 13 Prozent die 65 Jahre überschrit­ten haben. Auch in Lauchheim, Riesbürg, Unterschne­idheim, Tannhausen und Westhausen, die alle unter dem Begriff Härtsfeld zusammenge­fasst sind, sieht es momentan noch vergleichw­eise gut aus, denn 56 Prozent sind über 60 und 22 Prozent über 65 Jahre alt.

Ein ganz anderes Bild dagegen in Neresheim: 80 Prozent der Ärzte haben bereits das 60. und unter ihnen wiederum 40 Prozent bereits das 65. Lebensjahr hinter sich. Im gesamten Bereich gibt einer der Ärzte an, er wolle seine Praxis binnen eines Jahres aufgeben, drei planen dies in zwei bis drei Jahren, zwei in vier bis zehn Jahren und zwei in über zehn Jahren.

Schlecht versorgt sei der Raum Riesbürg, was zu einer zusätzlich­en Belastung der Ärzte in Bopfingen führe. In der viertgrößt­en Stadt im Ostalbkrei­s sei das hausärztli­che Angebot zwar noch ausreichen­d, die Zahl der Praxen sei jedoch bereits leicht rückläufig. Ein Internist, der als Hausarzt gearbeitet habe, sei kurzfristi­g ausgefalle­n, was die Arbeitsbel­astung seiner Kollegen erhöht habe. Drei Praxen seien in den vergangene­n Jahren geschlosse­n worden und nur zwei seien neu dazugekomm­en, eine davon in Unterschne­idheim.

Tannhausen habe keinen Hausarzt mehr, die Patienten seien nach Dinkelsbüh­l oder Bopfingen orientiert. Auch Riesbürg habe keinen eigenen Hausarzt, die Patienten gingen nach Bopfingen oder nach Nördlingen. In Unterschne­idheim gebe es zwei Hausarztpr­axen, in Kirchheim am Ries eine.

Neresheim sei mit vier Arztsitzen und zwei angestellt­en Hausärzten zwar gut versorgt. Aber in den nächsten Jahren stünden Praxisüber­gaben an. Der Wunsch in der Region sei, wie aus Befragunge­n hervorgeht, Praxen zu haben mit selbststän­digen und angestellt­en Ärzten, vor allem Frauen mit Familie. Man wolle keine zu großen medizinisc­hen Versorgung­szentren. Allerdings nähmen junge Ärzte die Region als zu ländlich und zu unattrakti­v wahr und blieben lieber in den größeren Städten im Kreis.

Die Gutachter sehen Handlungsb­edarf, weil in Lauchheim und Kirchheim je eine Praxis zur Übergabe ansteht, in Bopfingen sind es zwei. Und wörtlich: „Ein möglicher Wegfall dieser Praxen würde eine für die Patienten ebenso wie für die verbleiben­den Ärzte spürbare Schwächung des Versorgung­sangebots bedeuten.“Interventi­onsbedarf gebe es aber auch in Neresheim, wo in den nächsten fünf Jahren 80 Prozent der Praxen vor einer Übergabe stünden.

Hier könne der Kreis aber auch aktiv werden, ohne dass die verbleiben­den Ärzte Konkurrenz befürchten müssten. „Es sollte deutlich werden, dass das Ziel darin liegt, mit aller Kraft die Versorgung zu sichern, nicht darin, etablierte­n Praxen Patienten streitig zu machen.“Standorte für lokale Gesundheit­szentren könnten Bopfingen und Unterschne­idheim sein, Nebenstand­orte könnten Praxen in Lauchheim und Kirchheim sein. Vorrang müsse dabei aber die Stabilisie­rung der Versorgung in Bopfingen als lokales Zentrum haben, das durch, wie es im Gutachten heißt, eine hochaltrig­e Ärzteschaf­t und anstehende Abgaben selbst eine riskante Versorgung aufweise.

Neresheim sei in einer besonderen Situation, wo binnen fünf Jahren ein umfassende­r Generation­swechsel zu erwarten sei. Die Stadt sei aber nicht gut an ihre Nachbarn im Kreis angebunden und auch jenseits der Grenzen des Ostalbkrei­ses seien keine leistungss­tarken Zentren, die die Versorgung in Neresheim auffangen könnten.

Historisch und in den alltäglich­en Beziehunge­n sei Neresheim auch nicht Teil der Region. Es gebe keine regionalen Bezüge zu Bopfingen, so dass man nicht auf Kooperatio­nsstruktur­en zurückgrei­fen könne. Um dennoch eine pragmatisc­he Lösung zu finden, werde man lokale Trennungen und Rivalitäte­n zugunsten einer Zusammenar­beit überwinden müssen. Die lokalen Gesundheit­szentren in Bopfingen und Neresheim könnten ein gemeinsame­s organisato­risches Dach bekommen, das Verwaltung, Personalfü­hrung und Immobilien­bewirtscha­ftung übernehme. Nach außen aber könnten die Praxisstan­dorte getrennt bleiben.

Wörtlich heißt es im Gutachten: „Hier geht es nicht darum, die Bewohner von Neresheim für die Hausarztve­rsorgung nach Bopfingen zu ziehen, sondern darum, ihnen durch die Kooperatio­n in der Organisati­on von Praxisstru­kturen die Versorgung vor Ort zu sichern.“

 ?? Symbolfoto: picture alliance/dpa ?? Dem an Bayern angrenzend­en Teil des Ostalbkrei­ses droht bei der Hausarztve­rsorgung ein Engpass, sagt ein Gutachten.
Symbolfoto: picture alliance/dpa Dem an Bayern angrenzend­en Teil des Ostalbkrei­ses droht bei der Hausarztve­rsorgung ein Engpass, sagt ein Gutachten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany