Wege aus der Schuldenfalle
Wer im Sog der Corona-Krise in schlimme Geldnot gerutscht ist, sollte handeln. Ein Privatinsolvenzverfahren kann zum Befreiungsschlag werden – und soll bald deutlich schneller gehen
Augsburg Nur noch Schulden, nichts als Schulden: Die Corona-Krise hat unzählige Bundesbürger in Existenznot gestürzt. Schon vor Corona kämpften laut Wirtschaftsauskunftei Creditreform bundesweit gut 6,92 Millionen Verbraucher mit Überschuldung. Die Zahl dürfte jetzt mächtig gestiegen sein. „Wer finanziell in der Sackgasse ist, sollte sofort zur Schuldnerberatung gehen“, rät Karla Darlatt von der Landesfachstelle Verbraucherinsolvenzberatung Sachsen. Auch Fachanwälte helfen aus der Misere. Zum Kredithai gehen oder Familie und Freunde anpumpen macht alles nur schlimmer. Aus dem Teufelskreis der Zahlungsunfähigkeit hilft oft nur eins heraus: den Weg der Privatinsolvenz einschlagen. Das Verfahren eröffnet die Chance, Schulden nach maximal sechs Jahren los zu sein. Bald soll es sogar nur noch halb so lang, nämlich drei Jahre, dauern.
● Was ist zu tun? Ob durch gescheiterte Selbstständigkeit, Jobverlust, Scheidung oder lange Krankheit: Wem in diesen Wochen die Geldsorgen über den Kopf wachsen, der sollte sich so schnell wie möglich professionelle Hilfe holen, empfiehlt Veaceslav Ghendler, Fachanwalt für Insolvenzrecht der Kanzlei Kraus, Ghendler, Ruvinskij aus Köln. Nicht abwarten, bis der Briefkasten überquillt vor Inkassoforderungen, sagt auch Darlatt: „Je früher sich Betroffene der Situation stellen, desto besser.“Also etwa schon dann, wenn der Dispo massiv überzogen ist, kaum mehr Einkommen nachkommt und die Miete nicht mehr gezahlt werden kann. Ist das Konto erst mal gesperrt, der Lohn gepfändet, der Strom abgedreht, wird es immer härter, aus der Klemme zu kommen. „Wer rechtzeitig Hilfe holt, steckt nicht ein Leben lang in der Schuldenfalle fest“, betont Ghendler.
● Wo gibt es Hilfe? Betroffene können sich zum Beispiel bei den Verbraucherzentralen und in Kommunen Unterstützung holen. Viele Sozialämter bieten eine kostenlose Schuldnerberatung an. Ebenso gemeinnützige Träger und Wohlfahrtsorganisationen wie etwa der Deutsche Caritasverband, der Paritätische Wohlfahrtsverband oder die Arbeiterwohlfahrt (AWO). „Häufig lässt sich telefonisch, per Chat oder E-Mail schon so manches klären und ein Termin fürs persönliche Gespräch vereinbaren“, betont Darlatt. Auch Anwälte oder Steuerberater dürfen beraten. Erstgespräche sind oft kostenlos. Beim Amtsgericht lässt sich ein Beratungshilfeschein beantragen, unter Umständen ist damit auch das übrige Honorar abgedeckt. Wichtig: Finger weg von unseriösen Geschäftemachern im Internet, warnt Ghendler. Am Ende stehen die Betroffenen schlimmstenfalls mit neuen Schulden da.
● Was muss sein? Am Anfang steht der Kassensturz: Alles muss auf den Tisch, was die Überschuldung belegt – offene Rechnungen, Kreditverträge, Mahn- und Vollstreckungsbescheide, Einnahmen, Ausgaben, Unterhaltsverpflichtungen. Mithilfe eines zugelassenen Profis, ob Schuldnerberater oder Anwalt, wird dann eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern verhandelt. „Das ist eine realistische
Möglichkeit, ins Reine zu kommen. Wenn juristische Laien aber selbst verhandeln, funktioniert das in der Regel nicht“, betont Ghendler. Sind weder Sachwerte noch Einkommen pfändbar, geht die Chance auf eine außergerichtliche Lösung gegen null. Stimmen nicht alle Gläubiger der Rückzahlung auf Raten zu, ist eine Einigung ohnehin geplatzt. Was folgt, ist der Gang zum Gericht. ● Was bringt das Insolvenzverfahren? Mit Schritt zwei wird das Amtsgericht eingeschaltet. Dieses versucht noch einmal, den bereits gefassten Plan zum Schuldenabbau durchzusetzen. Klappt das nicht, wird das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Der prüft Vermögen, Geldund Sachwerte. Ein Erwachsener muss nach aktuellem Recht maximal sechs Jahre lang so viel verwertbares
Symbolfoto: dpa
Vermögen wie möglich sowie den pfändbaren Teil seines Einkommens an die Gläubiger abgeben. In der sogenannten Wohlverhaltensphase müssen sich Betroffene ohne Job um Arbeit bemühen, jede zumutbare Beschäftigung annehmen. Hält sich der Schuldner diszipliniert an alle Auflagen, erklärt ihn das Gericht am Ende für schuldenfrei. Er ist damit alle Restverbindlichkeiten los – ganz gleich, ob sie durch coronabedingte Einkommensverluste, durch Kredite, Bürgschaft oder Steuerforderungen entstanden sind. Ausnahme: Geldstrafen oder Schadenersatzforderungen nach Diebstahl, Betrug oder Körperverletzung lassen sich damit nicht abschütteln. Gleiches gilt für Unterhaltszahlungen.
● Wer kann seinen Schuldenzopf abschneiden? Wer seine Miesen für immer loswerden will, für den kann die Privatinsolvenz ein Königsweg sein, betont Rainer-Manfred Althaus, Fachanwalt für Insolvenzrecht aus Mannheim. Das gilt nicht nur für Angestellte, Arbeiter, Beamte, Rentner oder Sozialhilfeempfänger. Auch ehemals Selbstständige wie etwa Gastwirte könnten sich so von Schuldenbergen befreien, die sich jetzt in Corona-Zeiten angehäuft haben. Voraussetzung: Die Tätigkeit ist vorbei, es stehen nicht mehr als 19 Gläubiger auf der Matte und es sind keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen offen wie etwa Sozialabgaben. Anderen Selbstständigen und Freiberuflern in Finanznot steht das Regelinsolvenzverfahren zur Verfügung. „Der Beratungsbedarf wird krisenbedingt spürbar steigen“, so Althaus.
● Geht es auch kürzer in die Schuldenfreiheit? Ja. Wer es schafft, innerhalb von drei Jahren 35 Prozent seiner Gläubigerforderungen sowie die gesamten Verfahrenskosten zu bezahlen, hat seine Restschulden schon nach drei Jahren vom Hals. Das ist für die allermeisten Schuldner aber nicht zu stemmen. Wer nur die Verfahrenskosten aufbringen kann, wird nach fünf Jahren schuldenfrei.
● Worauf können Betroffene hoffen? Künftig soll der Verbraucherkonkurs grundsätzlich nur noch drei statt bisher sechs Jahre dauern. So will es die Europäische Union. Stichtag ist der 17. Juli 2022. Bis dahin muss die Bundesregierung die europaweit geltende Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt haben. Noch ist das nicht passiert. Damit die Schuldner von heute nicht darauf warten, bis die neue TurboEntschuldung endlich in Kraft tritt, soll eine Übergangsregelung greifen, wie Anwalt Althaus erläutert. Geplant ist Folgendes: Die Dauer des Insolvenzverfahrens wird jetzt schon jeden Monat um einen Monat verkürzt. Gerechnet wird ab dem 17. Juli 2019, als die EU-Richtlinie in Kraft trat. Das heißt: Wer coronageschädigt in den kommenden Wochen Privatinsolvenz anmelden muss, kann wahrscheinlich jetzt schon ein wenig von der geplanten Verkürzung profitieren. Geht der Antrag beispielsweise zwischen 17. Juli und 16. August 2020 ein, soll das Verfahren zur Schuldenfreiheit laut Gesetzentwurf nur noch 60 Monate dauern. Bei Antragstellung zwischen dem 17. Juli und 16. August 2021 etwa wäre der Betroffene seine Schulden schon nach 48 Monaten los. Voraussetzung: Der vorliegende Gesetzentwurf wird nicht noch einmal geändert.