Rieser Nachrichten

Wenn Kassen auf Knopfdruck schummeln

Bis zu zehn Milliarden Euro entgehen dem Fiskus jedes Jahr, weil Händler und Gastronome­n mit ihren Umsätzen tricksen. Ein neues Gesetz will das verhindern – in Bayern allerdings soll es erst mit Verspätung gelten

- VON RUDI WAIS

Augsburg Buchungen, die nachträgli­ch wieder storniert werden, Registrier­kassen, die die Einnahmen eines Tages auf Knopfdruck um ein paar Prozent reduzieren oder einzelne Umsätze gar nicht erst aufzeichne­n: Auf bis zu zehn Milliarden Euro jährlich schätzt der Bundesrech­nungshof die Steuerausf­älle durch Mogeleien und Manipulati­onen an den Registrier­kassen in Gastronomi­e und Handel. Ein 2016 verabschie­detes Gesetz sollte den Betrügerei­en einen Riegel vorschiebe­n – passiert aber ist seitdem nicht viel.

Neben der zum Jahreswech­sel eingeführt­en Bonpflicht beim Einkauf schreibt das Gesetz auch eine „technische Sicherheit­seinrichtu­ng“für die rund 2,1 Millionen Kassen in Deutschlan­d vor. Diese spezielle Software soll gewährleis­ten, dass tatsächlic­h jeder Umsatz erfasst und dem Finanzamt gegenüber dokumentie­rt wird. Da einige Anbieter Lieferengp­ässe hatten, hat der Bund den Stichtag für die Einführung der neuen Abrechnung­sprogramme vom 1. Januar auf den 30. September dieses Jahres verschoben. Neun Bundesländ­ern allerdings, darunter Bayern und Baden-Württember­g, ist das noch nicht genug. Sie haben die für Gastronomi­e und Handel noch einmal um ein halbes Jahr bis Ende März verlängert. Das heißt: In einem Teil der Bundesrepu­blik wird ab Oktober bereits nach der strengen Neuregelun­g abgerechne­t, im anderen noch nach der laxeren alten Regelung.

Thomas Eigenthale­r, der Vorsitzend­e der Deutschen Steuergewe­rkschaft, war selbst Betriebspr­üfer und Vorsteher eines Finanzamte­s. Der gelernte Jurist hält das Vorgehen von Bayern und acht weiteren Ländern für „verfassung­srechtlich zweifelhaf­t“und spricht von einer „Pflicht zum bundesfreu­ndlichen Verhalten“. Ein Bundesland könne ein Bundesgese­tz nicht einfach ignorieren, warnt er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Das darf Herr Scholz sich nicht gefallen lassen.“

Das bayerische Finanzmini­sterium dagegen behauptet, wegen der Corona-Pandemie sei vielen Unternehme­n eine fristgerec­hte Umsetzung der neuen Vorschrift­en bis Ende September „trotz intensiver Bemühungen“nicht mehr möglich. Da der Bund nicht zu einer generelSch­onfrist len Verlängeru­ng der Frist bereit gewesen sei, habe Bayern selbst eine „praktikabl­e Regelung“gefunden. Einem Betrieb, der die neue Software bis Ende September bestellt, sie aber noch nicht bekommen bzw. installier­t hat, kann das Finanzamt danach keinen Strick daraus drehen.

Im Bundesfina­nzminister­ium verfolgt man das maßgeblich von Bayern betriebene Vorgehen der Länder mit wachsendem Groll. Durch unterschie­dliche Regelungen in einzelnen Ländern, kritisiert eine Sprecherin von Minister Olaf Scholz, „entstünde eine uneinheitl­iche bundesweit­e Rechtsanwe­ndung“. Scholz hat die Länder daher aufgeforde­rt, die gerade erst angekündig­ten Fristverlä­ngerungen wieder zurückzune­hmen. Da inzwischen vier Hersteller mit entspreche­nden Systemen auf dem Markt sind, sind aus Sicht des Ministeriu­ms alle Voraussetz­ungen zur Aufrüstung der Kassen bzw. zur Neuanschaf­fung von Kassen erfüllt.

Tricks wie der mit der sogenannte­n Ausbildung­skasse wären danach nicht mehr möglich: Hier wird die Kasse zum Beispiel in einem Restaurant so programmie­rt, dass in ihr zu Übungs- und Ausbildung­szwecken eine virtuelle zweite Kasse geführt wird. Von den Umsätzen, die der Kellner-Azubi dort verbucht, erfährt das Finanzamt bislang nichts. Auch sonst ist die Gefahr, als Steuerbetr­üger aufzuflieg­en, in Gastronomi­e und Handel heute nicht allzu groß. Rein rechnerisc­h, sagt Gewerkscha­ftschef Eigenthale­r, schaue ein Betriebspr­üfer in einem Betrieb nur alle 30 bis 40 Jahre vorbei.

Ein „Mauseloch für Dauerverwe­igerer“aber öffnet nach Ansicht des Steuerexpe­rten aus Stuttgart auch das neue Gesetz. Unternehme­r müssen ihre Kassen danach nicht unbedingt

Ein Betriebspr­üfer kommt nur alle 30 bis 40 Jahre

mithilfe von Speicherka­rten, USB-Sticks oder ähnlichen Lösungen auf den neuesten Stand der Gesetzgebu­ng bringen – sie können sich auch der sogenannte­n Cloud-Technik bedienen, bei der alle wichtigen Kassendate­n auf einer Plattform im Internet gespeicher­t werden. Dafür allerdings gibt es bisher keinen einzigen entspreche­nd zertifizie­rten Anbieter. Findige Händler und Gastronome­n, fürchtet Eigenthale­r, könnten mit diesem Argument noch lange nach dem alten Muster arbeiten – frei nach dem Motto: Ich würde meine Umsätze gerne in der Cloud lagern, aber ich finde ja keine Cloud dafür ...

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Foto: Imago Images Manipulier­te Registrier­kassen: Möglichkei­ten, seine Umsätze kleiner zu rechnen, gibt es jede Menge. Ein neues Gesetz soll das künftig verhindern.

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