Impfstoff mit Imageproblem
Immer häufiger sagen Menschen ihren Impftermin ab, weil sie Zweifel an dem Mittel von AstraZeneca haben. Wie oft das Vakzin zum Einsatz kommt und wie ein Münchner Corona-Experte die Schutzwirkung beurteilt
Augsburg Das Problem mit einem angekratzten Image ist, dass die Furchen und Risse nur schwer wieder versiegelt werden können. Ist der Zweifel erst einmal gesät, bleibt er wohl auch. Derlei kann man gerade in der Debatte um den Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca beobachten. Zuerst wurde bekannt, dass die Wirksamkeit des Vakzins nur bei etwa 70 Prozent liegt – eigentlich kein schlechter Wert, doch andere Corona-Impfstoffe erreichen eben über 90 Prozent. Als dann noch vermehrt von Geimpften berichtet wurde, die sich wegen Nebenwirkungen krankschreiben ließen, war der Image-Schaden perfekt: Viele Menschen empfinden das Vakzin mittlerweile als Impfstoff zweiter Klasse.
In mehreren Bundesländern zeichnet sich derzeit ab, dass das Mittel von AstraZeneca zum Ladenhüter werden könnte. Etwa in Nordrhein-Westfalen, wo Hunderte Impftermine nicht wahrgenommen wurden. Ähnliches hört man aus Berlin und Sachsen. Auch in Bayern wurde bisher nur ein Teil der gelieferten Dosen verimpft. „Der AstraZeneca-Impfstoff ist gut haltbar. Es gibt also nicht das Problem, dass er verderben würde“, sagt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek in einem Zeitungsinterview. „Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gibt auch bei uns Impfwillige, die den AstraZeneca-Impfstoff tatsächlich abgelehnt haben.“
Dass Impftermine in großem Umfang nicht wahrgenommen werden, scheint in unserer Region bisher aber nicht der Fall zu sein. Das zeigt zumindest eine Umfrage unserer Redaktion bei mehreren Landratsämtern. Im Unterallgäu etwa sei so etwas bisher nicht passiert, sagt Sylvia Rustler, die Sprecherin des Amtes. „Es gab aber einzelne Fälle“, räumt sie ein. Sollte im Impfzentrum in Bad Wörishofen Impfstoff übrig bleiben und sofort verimpft werden müssen, gebe es eine sogenannte Hop-On-Liste, erklärt Rustler. Darauf stehen etwa Rettungsdienste, Hausärzte, Mitarbeiter aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst und Polizisten. „Bevor Impfstoff weggeworfen werden muss, werden diese Personen kurzfristig telefonisch verständigt.“
Auch im Impfzentrum des Landkreises Augsburg sei es bislang „lediglich in Einzelfällen“vorgekommen, dass Impftermine nicht wahrgenommen wurden. „Der Impfstoff von AstraZeneca wird insgesamt gerne angenommen“, sagt Jens Reitlinger, der Sprecher des Landratsamtes. Bislang sei überwiegend der Impfstoff von Biontech/Pfizer verabreicht worden, wobei die Zahl der mit AstraZeneca geimpften Bürger kontinuierlich zunehme. Aus dem Impfzentrum Oberallgäu hört man Ähnliches. Dort wurden ebenfalls erst wenige Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs verabreicht. Zu Absagen wegen Zweifeln an dem Mittel sei es bisher nicht gekommen. Und auch in Augsburg habe es keine Terminabsagen im großen Stil gegeben. Dennoch bewirbt die Stadt den Impfstoff von AstraZeneca nun aktiv. Die Verfügbarkeit sei hoch, hieß es am Mittwoch. Deswegen sind nun alle Bürger aufgerufen, „sich unabhängig vom Alter umgehend zur Impfung anzumelden“.
Professor Dr. Clemens Wendtner kann die ganze Diskussion um den Impfstoff von AstraZeneca nicht verstehen. Der erfahrene Chefarzt der München Klinik, der die ersten Corona-Patienten in Deutschland behandelt hat, spricht von einer „Luxusdiskussion“. Einer Debatte, die aber aus seiner Sicht große Gefahren birgt, „denn die dritte Welle ist sehr wahrscheinlich nicht mehr aufzuhalten“. Sie wird aus Sicht des Infektiologen gerade mit der massiven Ausbreitung der britischen Variante kommen, und jeder, der geimpft ist, könne nur froh sein, dann geschützt zu sein. „Wer jetzt seine Impfung verpasst, hat voraussichtlich bald das Nachsehen.“
Der Impfstoff von AstraZeneca ist für Wendtner nicht nur sicher, sondern verfügt auch über eine „sehr hohe Effizienz“. Gerade gegen die jetzt so gefährliche britische Variante des Virus sei er „äußerst effektiv“. Wendtner spricht von über 80 Prozent Wirksamkeit. „InfluenzaImpfstoffe haben oft nur eine Wirksamkeit von 40 bis 60 Prozent.“Und am gestrigen Abend wurde bekannt: Der Impfstoff des Konzerns Johnson & Johnson, der in den USA nun „ein gutes Zeugnis“bekam und kurz vor einer Notfallzulassung steht, kommt auf rund 66 Prozent Wirksamkeit. Entscheidend für Wendtner ist, dass sich in Studien gezeigt habe, dass die mit AstraZeneca geimpften Personen nur leichte Verläufe hatten – „keiner ist ernsthaft erkrankt oder gar gestorben“. Und darauf komme es doch an: „Wir müssen schwere Verläufe verhindern, das ist das wichtigste Ziel“, betont er. Und dies kann aus seiner Sicht mit dem Impfstoff von AstraZeneca sehr gut erreicht werden.
Für den Impfstoff spricht Wendtner zufolge auch, dass sich in Studien gezeigt habe, dass die zweite Dosis erst in drei Monaten erfolgen kann und die Schutzwirkung unterdessen sogar zunehme. Mit Blick auf die immer noch begrenzte Verfügbarkeit der Impfstoffe heißt das, „dass wir mit der Vakzine von AstraZeneca viel mehr Menschen impfen können“. Denn selbst ein vorläufig 50-prozentiger Schutz sei doch besser als keiner. So gesehen könne er nicht verstehen, dass Menschen ihre Impftermine jetzt nicht wahrnehmen und sich wieder ganz hinten einreihen müssen. „Zumal ich mir sicher bin, dass wir eine Diskussion über Vorteile von geimpften Menschen bekommen werden.“
Gerade Krebspatienten fragen sich oft, ob auch sie sich mit dem auf Adenoviren basierenden Impfstoff von AstraZeneca impfen lassen sollen. Professor Wendtner ist auch Onkologe und beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja. Er weiß, dass es Verwirrungen gab, wie das Immunsystem auf diesen Impfstoff reagiert. Aber Krebspatienten tragen ein besonders hohes Risiko, an Covid-19 zu erkranken, und sollten sich daher aus seiner Sicht unbedingt impfen lassen.
Zur Vorsicht mahnt Wendtner dagegen bei Plänen, sich zunächst mit AstraZeneca impfen zu lassen und sich bereits beim zweiten Mal einen anderen Impfstoff verabreichen zu lassen. Hier bewege man sich außerhalb der Zulassung und es bestehe ein nicht absehbares Risiko von unspezifischen Impfreaktionen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte diesen Wechsel vor dem Hintergrund der Debatte um eine geringere Wirksamkeit von AstraZeneca vorgeschlagen. Der Wechsel zu einem anderen Impfstoff ist für Wendtner erst bei der dritten Impfung, also bei einer Auffrischimpfung ab 2022, denkbar.
Mit Blick auf die dritte Welle, die Professor Wendtner herannahen sieht, hält es der Mediziner, der auch dem Expertenkreis angehört, der die bayerische Staatsregierung berät, für dringend nötig, die Impfkapazitäten auszubauen. Er sieht keinen Grund, warum nicht auch Zahnarztpraxen oder andere Facharztpraxen impfen können. Auch ist es für ihn unklar, warum nicht auch alle Hausarztpraxen mit zunehmender Verfügbarkeit des Impfstoffes gegen Corona impfen sollten. Die Kühlung kann nicht mehr als Argument dienen, nicht zuletzt beim Impfstoff von AstraZeneca, der bei Kühlschranktemperatur lange stabil bleibe. Gerade Hausärzte genießen ein hohes Vertrauen und könnten seiner Ansicht nach die Impfbereitschaft in der Bevölkerung erhöhen.
Sollte mit Blick auf die dritte Welle aus medizinischer Sicht der Lockdown also noch über den 7. März hinaus verlängert werden? „Wenn die Zahlen weiter steigen, sollte es leider wenig Spielraum geben“, sagt Wendtner. Er räumt aber auch ehrlich ein, dass er mit keinem Politiker tauschen möchte, der dies verkünden muss.
Im Vergleich: USImpfstoff nur zu 66 Prozent wirksam