Entschlossene Worte, zaghafte Taten
Die Anti-Korruptionsregeln für Abgeordnete wurden nach Skandalen immer nur so weit verschärft, wie es unbedingt nötig war. Nun steckt die CSU mal wieder in einer Misere, die sie selbst zu verantworten hat
München Entschlossene und selbstkritische Worte wurden gesprochen im Juli des Jahres 2013. „Der Dienst für die ,res publica‘, also für die Öffentlichkeit, ist eine öffentliche Veranstaltung und erfordert von uns allen Offenheit und Transparenz“, sagte Christa Stewens, damals Vorsitzende der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. Ihr Kollege Florian Streibl, mittlerweile Fraktionschef der Freien Wähler, räumte ein, dass Abgeordnete „keine heroischen Lichtgestalten, keine Heiligen“seien, sondern genauso wie alle anderen Menschen Stärken und Schwächen hätten. Deshalb brauche es Regeln, um Transparenz zu schaffen, „damit man sieht, wer was macht, und um eine gewisse Kontrolle zu ermöglichen“.
Dass das Thema Transparenz damals ganz oben auf der Tagesordnung stand, hatte einen simplen Grund: Die Verwandtenaffäre im Bayerischen Landtag hatte mächtig für Wirbel gesorgt und die Landtagswahl stand unmittelbar bevor.
Besonders CSU-Abgeordnete standen wegen der Beschäftigung von Verwandten auf Staatskosten in der Kritik. Einzelfälle aber gab es auch bei SPD, Freien Wählern und Grünen. Es musste reiner Tisch gemacht werden. Das Abgeordnetenrecht und die Verhaltensregeln wurden reformiert, Beschäftigung naher Verwandter untersagt. Weitergehende Vorstöße, für mehr Transparenz und Offenheit zu sorgen, aber verpufften – allen anderslautenden Bekenntnissen zum Trotz.
Wer wissen will, worüber fortan nicht mehr geredet wurde, braucht lediglich in das Protokoll der Sitzung des Rechts- und Verfassungsausschusses vom 4. Juli 2013 zu schauen. Die streitbare Grünen-Abgeordnete Susanna Tausendfreund, mittlerweile Erste Bürgermeisterin im oberbayerischen Pullach, prangerte das Wirrwarr der geltenden Regeln für Abgeordnete an. Die Vorschriften verteilen sich auf das Abgeordnetengesetz, das Fraktionsgesetz, die Verhaltensregeln des Landtags und die Ausführungsbestimmungen zu den Verhaltensregeln des Landtags. Tausendfreund schlug vor, alle Regeln im Abgeordnetenrecht zusammenzufassen, damit für die Bürger Klarheit herrsche. Sie konnte sich nicht durchsetAuch ihre konkreten Forderungen, etwa nach mehr Klarheit bei Nebeneinkünften, ein Verbot von Spenden an Abgeordnete oder mehr Transparenz bei Geschäften, die Abgeordnete als Anwälte tätigen, fanden lediglich Eingang ins Protokoll. Ad acta und Schluss.
So läuft es oft. Die Bekämpfung von Selbstbereicherung, Korruption und verstecktem Lobbyismus ist eine langwierige Angelegenheit. Ganze elf Jahre hat es gedauert, bis Deutschland im Jahr 2014 das bereits 2003 verabschiedete Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption ratifizierte. Zeitgleich wurde nach langem Hin und Her im deutschen Strafgesetzbuch jene Bestimmung ergänzt, aufgrund der jetzt gegen den Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ermittelt wird. Im einschlägigen Kommentar der Rechtsgelehrten heißt es, die Regelungen enthielten „Lücken, deren praktische Bedeutung erheblich“sei. Nüßlein habe deshalb, so sagen Juristen, gute Chancen, einer Verurteilung wegen
Verbesserungsvorschläge landen in der Schublade
Bestechlichkeit zu entgehen, selbst wenn sich bestätigen sollte, dass er eine Provision kassiert habe, die als unanständig empfunden werde.
Ein augenscheinlich grandioser Murks zieht sich durch alle Bestimmungen. Wer sich oder einem Dritten als Volksvertreter einen „ungerechtfertigten Vorteil“verschafft, kann wegen Bestechlichkeit belangt werden, Spenden nach dem Parteiengesetz aber sind zulässig – nicht nur an Parteien, sondern auch direkt an Abgeordnete.
Die Grünen standen 2013 mit ihren Forderungen nicht allein. Auch der SPD-Abgeordnete Volkmar Halbleib formulierte entschlossene Worte. Die gerade erst überarbeiteten Verhaltensregeln des Landtags blieben, so Halbleib, „unzureichend, lückenhaft und unausgegoren, leider auch mit offenbaren gefährlichen Schlupflöchern, die uns hier im Landtag, wovon ich fest überzeugt bin, noch beschäftigen werden“. Konsequenzen freilich gab es keine. Auch aus der Opposition gab es in den Folgejahren keine neuen Initiativen. „Es geht halt imzen. mer nur etwas voran, wenn mal wieder ein Skandal aufploppt“, sagt Halbleib heute. Tausendfreund, die 2013 aus dem Landtag ausschied, kommentiert: „Das war zu befürchten, dass das wieder in der Schublade verschwindet. Das ist ein Effekt, der häufig zu beobachten ist.“
Den politischen Schaden hat in der aktuellen Masken-Affäre die CSU – und sie kann die Verantwortung dafür auf niemand anders abwälzen. Gemeinsam mit SPD, FDP und Freien Wählern verteidigte sie im Landtag die Verschwiegenheitspflicht von Anwälten, die gleichzeitig Abgeordnete sind, auch für jene Fälle, in denen die Anwälte Firmen vertreten, die mit dem Staat Geschäfte machen. Tausendfreund hatte vergeblich gefordert, dass Abgeordnete zumindest angeben sollten, für welche Branche sie anwaltlich tätig sind.
Wenn die CSU jetzt also meint, den Anwalt und Landtagsabgeordneten Alfred Sauter auffordern zu müssen, sich von der Verschwiegenheitspflicht im Zusammenhang mit einem dubiosen Masken-Geschäft entbinden zu lassen und alle Details und Summen offenzulegen, dann steht ihr just jene Regelung im Weg, die sie bisher verteidigte wie ihren eigenen Augapfel. Sauter beteuert, sich an Recht und Gesetz gehalten und Beruf und Mandat korrekt getrennt zu haben. Sollen jetzt unter dem Eindruck des Skandals andere Maßstäbe gelten? Oder sollte man nicht doch mal darüber nachdenken, Abgeordnete so zu behandeln wie Minister und Bürgermeister, die während ihrer Amtszeit ein anderes besoldetes Amt, einen Beruf oder ein Gewerbe nicht ausüben dürfen?
Die Zeit für entschlossene Worte jedenfalls ist wieder angebrochen. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) sagte zum geplanten Lobbyregister: „Wir müssen prüfen, ob es effektiv genug, aber auch noch praktikabel ist.“Mit Blick auf die aktuelle Masken-Affäre fügte sie hinzu: „Genauso wichtig ist es, dass wir uns die Verhaltensregeln für Abgeordnete anschauen und sie gegebenenfalls anpassen. Nicht alles, was womöglich legal ist, ist auch moralisch legitim.“