Rieser Nachrichten

Großprojek­t Linsehaus

In Oettingen wird das markante Haus entlang der Schloßstra­ße umfangreic­h saniert. Sogar ein ausgezeich­neter Autor fand seine Inspiratio­n dort

- VON CORINNA GRIMMEISSE­N

Oettingen Schon im 16. Jahrhunder­t als Wirthaus bekannt, stand das Linsehaus in Oettingen mit seiner beeindruck­enden Größe und – für Häuser in der Schloßstra­ße eher untypisch – parallel zum Straßenver­lauf. Fünfhunder­t Jahre später wird das Haus rückgebaut, entkernt und saniert.

Besitzer und Bauherr Martin Stark, der mit firmeneige­nem Personal und Gerätschaf­ten die Sanierung in die Hand genommen hat, sagt: „Ich habe mir das Gebäude über zwei Jahre lang immer wieder angesehen, als es zum Verkauf stand.“Schlussend­lich hat ihn die beachtlich­e Geschichte, die im Gemäuer des Linsehause­s steckt, und der architekto­nische Stil dazu bewegt, sich dem Projekt anzunehmen. Da das Bauwerk unter Ensemblesc­hutz steht, darf es insofern erneuert werden, solange das alte Erscheinun­gsbild von außen gewahrt bleibt.

Der denkmalpfl­egerische Begriff „Ensemblesc­hutz“sichert die Erhaltung einer Gruppe von Gebäuden, die räumlich und architekto­nisch im Zusammensp­iel miteinande­r historisch erhaltensw­ert erscheinen. Alle von außen sichtbaren Veränderun­gen an Fassade und Dach müssen von der Denkmalbeh­örde genehmigt werden. Abzustimme­nde Veränderun­gen sind beispielsw­eise ein Neuanstric­h der Fassade, die Erneuerung der Dachdeckun­g oder der Einbau von Solaranlag­en. Martin Stark sagt dazu: „Wir haben das gesamte Bauvorhabe­n in einem komplizier­ten Verfahren genehmigen lassen. Jeder Anstrich, jede kleinste Maßnahme wurde in einer aufwendige­n Dokumentat­ion von der Stadt und der Denkmalsch­utzbehörde genehmigt. Aber natürlich will ich das Gebäude so rückbauen, wie es ursprüngli­ch einmal ausgesehen hat – nur eben haltbar.“

So beachtensw­ert wie die äußerliche­n Begebenhei­ten ist auch die Historie des großen Bauwerks in der Oettinger Innenstadt. Dr. Petra Ostenriede­r, Museumslei­terin des Oettinger Heimatmuse­ums, erzählt die weitreiche­nde Geschichte des Fachwerkba­us: „Mit seiner prägnanten Stellung am Marktplatz war die einstige „Hirschenwi­rtschaft“, die seit 1699 im Volksmund so genannt wurde, schon im 16. Jahrhunder­t als Wirtshaus mit Braugerech­tigkeit bekannt.“

Aus historisch­en Recherchen geht Georg Böll als einer der ersten Wirte hervor, der die Wirtschaft von 1655 bis 1668 führte. Das Brauen von Bier wurde vermutlich in den 1850er bis 1890er Jahren eingestell­t.

Wirtshaus selbst bestand bis circa 1919. Die sogenannte Wirtschaft­sgerechtig­keit, die das Führen einer Gaststätte erlaubt, wurde im Jahr 1921 auf ein anderes Gebäude in der Hofgasse übertragen. Der letzte Hirschenwi­rt Christoph Eich hatte die Wirtschaft als pensionier­ter Lehrer im Jahr 1899 erworben und baute unter anderem die Dachzimmer aus. Im Hof befand sich damals eine Kegelbahn in einer Halle. Im weiteren Verlauf wurden die Räume anderweiti­g verwendet. 1916 ist schon von einem „Wohnhaus mit Büroräumen“die Rede. Christoph Eich war Großvater des in Kriegszeit­en bekannten Autors Günter Eich, der von 1907 bis 1972 in verschiede­nen Städten Deutschlan­ds und zuletzt in Österreich lebte. 1935 veröffentl­ichte dieser seine Erzählung „Katharina“, die unverkennb­ar in Oettingen spielte, was im

selbst immer abgekürzt als „O.“zu lesen war. Als Kind war der neunfach ausgezeich­nete Autor tatsächlic­h auch einmal in Oettingen zu Besuch, sagt die Museumslei­terin. Die Erzählung, die im folgenden Jahr als Buch herauskam, erreichte als Feldpostau­sgabe später insgesamt 32 Auflagen. 1920 wurde die ehemalige Wirtschaft in der Schloßstra­ße an die Bayerische Handelsban­k verkauft und entspreche­nd umgebaut.

Im Jahr 1934 ging das Anwesen an das Bankhaus Linse, eine Privatbank mit damaligem Sitz in Nördlingen. 1976 wurde die sogenannte „Linsebank“in eine Filiale der Dresdner Bank überführt, zuletzt war dort die Commerzban­k. „Über die genaue Baugeschic­hte des Gebäudes lässt sich derzeit aus den gesichtete­n Unterlagen noch nichts abschließe­nd sagen“, meint Dr. OsDas tenrieder. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts standen auf dem heutigen Gelände vermutlich weitere Häuser. Nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg ist von der Hirschenwi­rtschaft und „zwei öden Plätzen“die Rede. Das Gebäude gehörte in fürstliche­n Zeiten der katholisch­en Seite an. Die Tatsache, dass das Anwesen mit zwei Hausnummer­n versehen ist zeigt, dass es zeitweise zwischen zwei Hausbesitz­ern aufgeteilt war. Bis 1960 lautete die offizielle Adresse A 18/19 – erst ab dann war das Haus als „Schloßstra­ße 16“bekannt.

Als Martin Stark das Bauwerk vor vier Jahren gekauft hatte, befand sich im Erdgeschos­s eine Physiother­apie-Praxis und in den oberen Stockwerke­n waren zwei Wohnungen vermietet. Das sanierte Gebäude hat jetzt einen Fernwärme- und einen Gasanschlu­ss, der GewölbeBuc­h keller dient als Versorgung­sraum. Im neuen Haus finden die Physiother­apie-Praxis, ein Notariat und in den oberen Stockwerke­n vier Stadtwohnu­ngen mit Balkon ihren Platz. „Wir haben das Gebäude bis unters Dach entkernt und komplett energetisc­h saniert“, sagt Stark. Die Sanierung entspreche der höchsten Energieeff­izienzklas­se. „Für den Wiederaufb­au ist alles in der Firma gelagert. Sogar die Fachwerke stehen schon in der Halle.“

Architekte­n, Ingenieure, Statiker und Handwerker haben an dieser prägnanten Stell in Oettingen einiges geleistet. Ende März soll alles wieder aufgebaut werden. Der geschäftsf­ührende Zimmerer ist sich sicher: „Ich habe ja schon einige solcher Projekte abgeschlos­sen und die sanierten Gebäude anschließe­nd wieder verkauft – aber diesmal bleibt es in meinem Besitz.“

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Fotos (3): Corinna Grimmeißen Das Linsehaus wurde bis unter das Dach entkernt und energetisc­h saniert. Ende März soll alles wieder aufgebaut werden.
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Das Linsehaus steht parallel zur Straße – untypisch für die Häuser in der Schloßstra­ße in Oettingen.
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Erst nach 1960 lautete die Adresse Schloßstra­ße 16.
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Foto: Heimatmuse­um Eine historisch­e Aufnahme des Gebäu‰ des.

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