Die „schönen Dinge“waren gar nicht schön
Er kommt aus privilegierten Verhältnissen und stürzte tief ab: In seinen Memoiren beschreibt Hunter Biden, der Sohn des US-Präsidenten, unverblümt seinen Abstieg in eine düstere Parallelwelt von Alkohol und Drogen – und zurück
Washington Hunter Biden war ganz unten. Wochenlang verbarrikadierte sich der Sohn von Joe Biden in einer Wohnung in Washington und trank eine Flasche Wodka nach der anderen. Er verließ das Apartment nur, um sich zum Kiosk auf der anderen Straßenseite zu schleppen und wieder zurück. Manchmal konnte er nicht warten, bis er zurück war in seiner Wohnung, sondern nahm unterwegs einen Schluck. „In diesem Stil trank ich täglich zwölf bis sechzehn Stunden lang“, erzählt Hunter Biden. „Irgendwann schaffte ich es nicht mehr, mir überhaupt noch etwas ins Glas zu gießen.“Er nahm in jenen Wochen über den Jahreswechsel 2015/2016 fast zehn Kilo ab. „Ich aß eigentlich nur, was es in dem Spirituosengeschäft zu kaufen gab.“Irgendwann habe sein Magen nicht mal mehr Instant-Nudeln vertragen: „Ich ertränkte mich in Alkohol.“Sein Vater Joe Biden war zu jener Zeit US-Vizepräsident.
Mit kleinem Sicherheitsaufgebot kam er in die Wohnung seines Sohnes, sah dessen Zustand und weigerte sich zu gehen, bis Hunter einwilligte, professionelle Hilfe zu suchen. Es war nicht der einzige Absturz in dessen Leben, und nicht der tiefste. In seinen Memoiren mit dem Titel „Beautiful Things“(auf Deutsch: „Schöne Dinge“), die am Dienstag in den USA veröffentlicht wurden und am 13. April in Deutschland bei Hoffmann und Campe erscheinen, berichtet Hunter Biden offen von seinem jahrzehntelangen Kampf mit Alkohol, von Drogen, vom Teufelskreis aus Drogenexzessen, Therapien und immer neuen Rückfällen, von den schweren Schicksalsschlägen in seiner Familie und dem Verhältnis zu seinem Vater. Inzwischen ist Hunter Biden clean, sein Vater Präsident der Vereinigten Staaten. Einen derart unverblümten Einblick in das Leben, die Probleme und die Gedankenwelt des Präsidentensohnes zu bekommen, ist für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich.
Gleiches gilt auch für die Tatsache, dass Hunter Biden in immer tiefere Abgründe stürzte, während sein Vater bis in die höchsten politischen Ämter des Landes aufstieg. Das Leben der Bidens ist geprägt von immensem privaten Kummer. Hunter ist ein Sohn aus Joe Bidens erster Ehe. Bidens Ehefrau Neilia und die gemeinsame Tochter Naomi kamen 1972 bei einem Autounfall ums Leben. Hunter und sein Bruder Beau wurden dabei verletzt – Hunter war drei Jahre alt, Beau vier. Joe Biden erzog die Buben allein, bis er seine heutige Frau Jill kennenlernte. Hunter Biden beschreibt in seinem Buch, wie er nach dem Unfall im Krankenhaus aufwachte – sein Bruder Beau im Bett neben ihm. „Er flüstert immer wieder dieselben drei Wörter in meine Richtung: Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.“So wurde Beau „mit diesen ersten bewussten Momenten meines Lebens mein bester Freund, mein Seelenverwandter, der Stern, der mich führt“. Trotz des Verlusts der Mutter und der Schwester spricht Hunter Biden von einer fast idyllischen Kindheit – im Dreiergespann mit seinem Vater und seinem Bruder, umgeben von einem großen behütenden Familien-Clan. Dennoch begann Hunter Biden schon in der Highschool „ernsthaft zu trinken“: „Es löste meine Hemmungen und Unsicherheiten.“Später im Leben – mit Familie, Kindern und Job, inmitten von Arbeitsstress und finanziellen Zwängen – wurde er zu einem echten Alkoholiker. Er machte mehrere Therapien, hatte mehrere Rückfälle, verhedderte sich im Gestrick aus Scham, Schuldgefühlen, Versteckspielen. Die Sucht zertrümmerte seine erste Ehe. Als 2015 die nächste Katastrophe passierte, riss es Hunter Biden den Boden unter den Füßen weg: Sein Bruder Beau starb im Alter von 46 Jahren an einem Hirntumor. „Ich habe mich nie so einsam gefühlt wie nach Beaus Tod. Ich verlor jede Hoffnung.“Mit Beaus Tod zerbrach das Dreierbündnis von Vater und Söhnen. Die Alkoholexzesse gingen weiter, Hunter driftete in eine Crack-Sucht ab, strauchelte durch das Land auf der Suche nach Stoff, umgab sich mit zwielichtigen Gestalten. Zeitweise zog eine obdachlose Kleinkriminelle bei ihm ein, als Drogen-Kompagnon. Hunter Biden war im freien Fall. „Die Mengen Alkohol und Crack, die ich zu mir nahm, waren verblüffend.“Später begann er, selbst Crack zu kochen, tingelte erst von schicken Hotels zu Hotel, dann von schäbigen Motels zu Motel. Noch während sich Joe Biden 2019 auf seine Präsidentschaftsbewerbung vorbereitete, war Hunter Biden im Crack-Nebel. „Es spielt keine Rolle, wie viel Geld man hat, mit wem man befreundet ist, aus welcher Familie man kommt“, schreibt er. Der Schmerz, die Scham, die Hoffnungslosigkeit der Sucht seien für alle gleich. Hunter Biden widmet seinem Bruder Beau in dem Buch viel Raum – jener Lichtgestalt in seinem Leben, die ihn auch beim Kampf gegen die Alkoholsucht unterstützte. Zeitweise suchte er nach Halt in einer Beziehung mit Beaus Witwe, was Hunter Biden in die Klatschspalten brachte.
Von seinem Sohn Beau spricht Joe Biden häufig. Immer voller Stolz auf dessen Vorzeigekarriere als Generalstaatsanwalt, als Offizier der Nationalgarde. Hunter findet selten Erwähnung. Als Joe Bidens Amtsvorgänger, Donald Trump, in einer Wahlkampfdebatte Hunter wegen der Drogensucht angriff, nahm Biden seinen Sohn aber ohne Umschweife in Schutz: „Mein Sohn hatte ein Drogenproblem, aber er hat es überwunden und ich bin stolz auf ihn.“Dann brachten Hunters Ukraine-Geschäfte den Vater in Erklärungsnot. Hunter hatte einen lukrativen Posten im Verwaltungsrat des Gaskonzerns Burisma – zu einer
Zeit, als Joe Biden als Vizepräsident federführend für die Ukraine zuständig war. Hunter Biden macht keinen Hehl daraus, dass sein Name eine entscheidende Rolle für die Berufung spielte und „die pro Monat ausbezahlte fünfstellige Entschädigung“attraktiv gewesen sei. Er sei aber qualifiziert gewesen. „Ich habe nichts Unmoralisches getan.“
Hunter Biden räumt ein, er würde es im Nachhinein nicht noch einmal machen – angesichts der Angriffsfläche für seinen Vater. Sein Vater habe ihn nie im Stich gelassen. „Er gab mich nie auf, er wies mich nie ab, er urteilte nie über mich, ganz egal, wie schlimm es um mich stand.“Einmal, nach einem Familientreffen, das in einem Eklat endete, sei sein Vater mit ihm aus dem Haus gestürmt. „Er lief mir auf die Auffahrt nach, packte mich, riss mich herum, nahm mich in die Arme, hielt mich im Dunkeln fest und weinte eine Ewigkeit.“Erst etwa zu der Zeit, als Joe Biden 2019 im Frühling seine Präsidentschaftsbewerbung verkündete, verliebte sich Hunter Biden auf einen Schlag in eine Frau, die ihm half, die Drogen hinter sich zu lassen. Kurz darauf heirateten die beiden. Nun haben sie ein Kind – und gaben ihm den Namen Beau.
Hunter über Joe Biden: „Er gab mich nie auf“