Retter in Not
Bayerns Notärzte fordern eine gerechtere Bezahlung, doch die Verhandlungen sind festgefahren. Geld spielt nur eine vordergründige Rolle. Das Problem sitzt tiefer
Buchloe Jürgen Auerhammer ist einer jener Menschen, die man seit Beginn der Pandemie systemrelevant nennt. Der 47-Jährige hilft, wenn jemand zum Beispiel einen Autounfall oder Herzinfarkt hatte; er beruhigt, lindert Schmerzen, rettet Leben. Auerhammer arbeitet als freier Notarzt im Raum Buchloe (Landkreis Ostallgäu). Was Wissen und Verantwortung angeht, sagt er, habe man als Notarzt eine Tätigkeit, wie sie in einer Klinik etwa ein Oberarzt ausführe. Der Unterschied: „Man wird bezahlt wie ein Assistenzarzt.“
Es ist ein neuer Konflikt, der ein Schlaglicht auf eine alte Debatte wirft. Anfang des Jahres lief die bisher gültige Honorarvereinbarung für bayerische Notärzte aus. Seither laufen neue Verhandlungen zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) und den Krankenkassen als Kostenträgern. Doch die Gespräche sind ins Stocken geraten, eine Einigung scheint in weiter Ferne. Bayerns Notärzte sind besorgt und frustriert.
Mit einem Appell wendet sich die Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte an die Krankenkassen. „Nehmen Sie nicht länger das notärztliche Pathos als Faustpfand für eine notärztliche Versorgung zum Dumpingpreis.“Nur so, heißt es weiter, könne die Versorgung aller Notfallpatienten sichergestellt werden. Diese Forderung sei man nicht nur den Ärzten schuldig, sondern in erster Linie den Patienten, die auch in Zukunft einer notärztlichen Behandlung bedürften.
Es geht um mehr Geld, zumindest vordergründig. Doch das Problem sitzt tiefer. Benötigt ein Mensch in Bayern schnelle Hilfe, ist der Notarzt zur Stelle: Was lange Zeit als unerschütterliche Selbstverständlichkeit galt, beginnt seit einigen Jahren zu bröckeln. Denn: Vielerorts konnten und können NotarztSchichten nicht mehr besetzt werden. Vor allem im ländlichen Raum wird der Mangel zunehmend sichtbar.
Jürgen Auerhammer arbeitet im Bereich Buchloe in der sogenannten Freizeitgruppe. Was nach Spaß und Entspannung klingt, drückt vielmehr aus, dass der Notarzt vorwiegend nachts, an Wochenenden und
Feiertagen arbeitet – denn hauptberuflich ist Auerhammer leitender Arzt einer Notaufnahme. „Die allgemeine Bereitschaft am Dienst sinkt“, sagt er. Auch am Standort Buchloe müsse das Notarztfahrzeug aufgrund von Personalmangel zu bestimmten Uhrzeiten abgemeldet werden. Bei der Besetzung von Notarzt-Schichten gilt in Bayern das Prinzip der Freiwilligkeit. Notfallmediziner melden sich selbstständig und werden nicht – wie in anderen Bundesländern – zum Dienst verpflichtet. Die KVB hat in Bayern den Sicherstellungsauftrag und muss landesweit gewährleisten, dass jeder Notarztstandort 24 Stunden täglich entsprechend besetzt ist.
Warum aber funktioniert das System nicht mehr reibungslos? Weshalb melden sich immer weniger Ärzte freiwillig? Notarzt Auerhammer sagt: „Neben der Bezahlung ist es vor allem so, dass immer weniger Kollegen Lust haben, nach ihrer anstrengenden Tätigkeit in einer Klinik weiterzuarbeiten.“Stichwort Work-Life-Balance. Aber auch das Ansehen spielt eine Rolle. „In der Bevölkerung wird unsere Arbeit nach wie vor wertgeschätzt. Ich habe jedoch den Eindruck, dass uns die Kassen lediglich als Kostenfaktor sehen.“
Ist durch diese Entwicklung womöglich die Versorgung von Patienten in Gefahr? 2020 nahmen laut KVB rund 3600 Notärzte aktiv am Notarztdienst teil. Sollten Dienstpläne von Notarztstandorten eine Lücke aufweisen, könne die notärztliche Versorgung der Menschen vor Ort stets sichergestellt werden, versichert die Vereinigung auf Anfrage unserer Redaktion. Etwa mit Hilfe aus anderen Regionen. Langfristig komme es jedoch darauf an, den Notarztdienst auch finanziell so attraktiv zu gestalten, dass der Bedarf an Notärzten gedeckt werden könne, heißt es vonseiten der KVB.
Mit einem „angemessenen und zeitgemäßen Honorar“verspricht sich auch die Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Notärzte eine Linderung des Problems. Bereits in der Vergangenheit hatte der Verbund wiederholt betont, die Honorarsituation im bayerischen Notarztdienst falle vollkommen aus der Zeit und bleibe weit hinter den Honoraren benachbarter Bundesländer zurück. Für ihre Dienste erhalten sie derzeit eine Grundvergütung von 21 Euro in der Stunde oder eine einheitliche leistungsbezogene Einsatzpauschale von 83 Euro je Patient (ab vier Patienten weniger). Hinzu kommen Zuschläge für Nacht, Wochenende oder Feiertage.
Für die bayerischen Notärzte sind die Verhandlungen nicht neu. Bereits 2015 gab es Streit um ihre Vergütung. Dieser mündete in einer neuen Ordnung, durch die die Arbeit von Notärzten in ländlichen Gebieten zwar attraktiver wurde, den Kollegen in Ballungsräumen jedoch deutliche Einkommenseinbußen bescherte.