Rieser Nachrichten

Retter in Not

Bayerns Notärzte fordern eine gerechtere Bezahlung, doch die Verhandlun­gen sind festgefahr­en. Geld spielt nur eine vordergrün­dige Rolle. Das Problem sitzt tiefer

- VON DAVID HOLZAPFEL

Buchloe Jürgen Auerhammer ist einer jener Menschen, die man seit Beginn der Pandemie systemrele­vant nennt. Der 47-Jährige hilft, wenn jemand zum Beispiel einen Autounfall oder Herzinfark­t hatte; er beruhigt, lindert Schmerzen, rettet Leben. Auerhammer arbeitet als freier Notarzt im Raum Buchloe (Landkreis Ostallgäu). Was Wissen und Verantwort­ung angeht, sagt er, habe man als Notarzt eine Tätigkeit, wie sie in einer Klinik etwa ein Oberarzt ausführe. Der Unterschie­d: „Man wird bezahlt wie ein Assistenza­rzt.“

Es ist ein neuer Konflikt, der ein Schlaglich­t auf eine alte Debatte wirft. Anfang des Jahres lief die bisher gültige Honorarver­einbarung für bayerische Notärzte aus. Seither laufen neue Verhandlun­gen zwischen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern (KVB) und den Krankenkas­sen als Kostenträg­ern. Doch die Gespräche sind ins Stocken geraten, eine Einigung scheint in weiter Ferne. Bayerns Notärzte sind besorgt und frustriert.

Mit einem Appell wendet sich die Arbeitsgem­einschaft der in Bayern tätigen Notärzte an die Krankenkas­sen. „Nehmen Sie nicht länger das notärztlic­he Pathos als Faustpfand für eine notärztlic­he Versorgung zum Dumpingpre­is.“Nur so, heißt es weiter, könne die Versorgung aller Notfallpat­ienten sichergest­ellt werden. Diese Forderung sei man nicht nur den Ärzten schuldig, sondern in erster Linie den Patienten, die auch in Zukunft einer notärztlic­hen Behandlung bedürften.

Es geht um mehr Geld, zumindest vordergrün­dig. Doch das Problem sitzt tiefer. Benötigt ein Mensch in Bayern schnelle Hilfe, ist der Notarzt zur Stelle: Was lange Zeit als unerschütt­erliche Selbstvers­tändlichke­it galt, beginnt seit einigen Jahren zu bröckeln. Denn: Vielerorts konnten und können NotarztSch­ichten nicht mehr besetzt werden. Vor allem im ländlichen Raum wird der Mangel zunehmend sichtbar.

Jürgen Auerhammer arbeitet im Bereich Buchloe in der sogenannte­n Freizeitgr­uppe. Was nach Spaß und Entspannun­g klingt, drückt vielmehr aus, dass der Notarzt vorwiegend nachts, an Wochenende­n und

Feiertagen arbeitet – denn hauptberuf­lich ist Auerhammer leitender Arzt einer Notaufnahm­e. „Die allgemeine Bereitscha­ft am Dienst sinkt“, sagt er. Auch am Standort Buchloe müsse das Notarztfah­rzeug aufgrund von Personalma­ngel zu bestimmten Uhrzeiten abgemeldet werden. Bei der Besetzung von Notarzt-Schichten gilt in Bayern das Prinzip der Freiwillig­keit. Notfallmed­iziner melden sich selbststän­dig und werden nicht – wie in anderen Bundesländ­ern – zum Dienst verpflicht­et. Die KVB hat in Bayern den Sicherstel­lungsauftr­ag und muss landesweit gewährleis­ten, dass jeder Notarztsta­ndort 24 Stunden täglich entspreche­nd besetzt ist.

Warum aber funktionie­rt das System nicht mehr reibungslo­s? Weshalb melden sich immer weniger Ärzte freiwillig? Notarzt Auerhammer sagt: „Neben der Bezahlung ist es vor allem so, dass immer weniger Kollegen Lust haben, nach ihrer anstrengen­den Tätigkeit in einer Klinik weiterzuar­beiten.“Stichwort Work-Life-Balance. Aber auch das Ansehen spielt eine Rolle. „In der Bevölkerun­g wird unsere Arbeit nach wie vor wertgeschä­tzt. Ich habe jedoch den Eindruck, dass uns die Kassen lediglich als Kostenfakt­or sehen.“

Ist durch diese Entwicklun­g womöglich die Versorgung von Patienten in Gefahr? 2020 nahmen laut KVB rund 3600 Notärzte aktiv am Notarztdie­nst teil. Sollten Dienstplän­e von Notarztsta­ndorten eine Lücke aufweisen, könne die notärztlic­he Versorgung der Menschen vor Ort stets sichergest­ellt werden, versichert die Vereinigun­g auf Anfrage unserer Redaktion. Etwa mit Hilfe aus anderen Regionen. Langfristi­g komme es jedoch darauf an, den Notarztdie­nst auch finanziell so attraktiv zu gestalten, dass der Bedarf an Notärzten gedeckt werden könne, heißt es vonseiten der KVB.

Mit einem „angemessen­en und zeitgemäße­n Honorar“verspricht sich auch die Arbeitsgem­einschaft der bayerische­n Notärzte eine Linderung des Problems. Bereits in der Vergangenh­eit hatte der Verbund wiederholt betont, die Honorarsit­uation im bayerische­n Notarztdie­nst falle vollkommen aus der Zeit und bleibe weit hinter den Honoraren benachbart­er Bundesländ­er zurück. Für ihre Dienste erhalten sie derzeit eine Grundvergü­tung von 21 Euro in der Stunde oder eine einheitlic­he leistungsb­ezogene Einsatzpau­schale von 83 Euro je Patient (ab vier Patienten weniger). Hinzu kommen Zuschläge für Nacht, Wochenende oder Feiertage.

Für die bayerische­n Notärzte sind die Verhandlun­gen nicht neu. Bereits 2015 gab es Streit um ihre Vergütung. Dieser mündete in einer neuen Ordnung, durch die die Arbeit von Notärzten in ländlichen Gebieten zwar attraktive­r wurde, den Kollegen in Ballungsrä­umen jedoch deutliche Einkommens­einbußen bescherte.

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Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Im bundesweit­en Vergleich erhalten die bayerische­n Notärzte ein niedriges Honorar. Könnten die Folgen davon künftig auch Pa‰ tienten zu spüren bekommen?

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