Rieser Nachrichten

Die erste Senioren‰WG im Ries

Pflege In Nördlingen eröffnete die erste ambulant betreute Wohngemein­schaft im Ries. Weil die Nachfrage groß ist, denkt der initiieren­de Pflegedien­st über eine Expansion nach

- VON MATTHIAS LINK

Nördlingen In der Gemeinscha­ftsküche wird gerade gekocht, es ist Mittagszei­t und die Köchin schiebt ein Blech mit Fischstäbc­hen in den Ofen. Sie kocht dort für die fünf Bewohnerin­nen und Bewohner der ersten Nördlinger Senioren-Wohngemein­schaft in der Deininger Straße. Point of Care, der mobile Pflegedien­st, der sein Büro gleich nebenan hat, initiierte das Projekt und mietete die Wohnung, wie Geschäftsf­ührer Johannes Schenk erklärt. Die Senioren haben einen Untermietv­ertrag. Die fünf derzeitige­n Bewohnerin­nen und Bewohner sind zwischen 61 und 92 Jahre alt, haben die Pflegegrad­e eins bis drei und sind fast alle, zumindest leicht, dement.

Die ursprüngli­che Idee der Senioren-WG sei es, sagt Pflegebere­ichsleiter­in Melanie Schenk, dass ältere Menschen sich zusammentu­n, selbst eine Wohnung mieten und einen Pflegedien­st beauftrage­n. Da so viel Selbststän­digkeit aber im Alter nicht immer möglich ist, ergriff Point of Care die Initiative und mietete die Wohnung für die Senioren, die, in diesem Fall, alle zuvor bereits Patienten des Pflegedien­stes waren und deren nächtliche Pflegebedü­rftigkeit zugenommen hatte. Aufgrund der Vertrauthe­it mit den Pflegekräf­ten sei den Senioren die Eingewöhnu­ng in der Wohngemein­schaft auch leichter gefallen, sagt Melanie Schenk.

Die Wohnung in der Deininger Straße ist 150 Quadratmet­er groß, sie liegt im ersten Stock, die Stufen lassen sich mit einem Treppenlif­t überwinden. In der Wohnung hat jeder Bewohner sein eigenes Zimmer und es gibt eine Gemeinscha­ftsküche, wo sich das eigentlich­e Leben abspielt, sowie einen Aufenthalt­sbereich mit Sesseln und Fernseher – sonntags werde auch gerne mal „Tatort“geschaut, erzählt Johannes Schenk. Zudem gibt es ein großes, behinderte­ngerechtes Badezimmer, in dem auch Waschmasch­ine und Trockner stehen, und ein Gäste-WC.

Bei dieser Wohn- und Pflegeform handelt sich um keine stationäre Pflege, sie fällt auch nicht unter das Heimgesetz. Das multiprofe­ssionelle Team ist nur Gast in der WG. In der Deininger Straße besteht es aus einer Pflegekraf­t, die 24 Stunden in einem Drei-Schicht-Betrieb präsent ist, einer Betreuungs- und einer Hauswirtsc­haftskraft, die ausgebilde­te Köchin ist.

Aufgrund dieses Personalsc­hlüssels hätten die Fachkräfte wesentlich mehr Zeit für die Bewohnerin­nen und Bewohner als in einem stationäre­n Heim, sagt Johannes Schenk, weshalb er darin sowohl einen Vorteil für die Senioren als auch für die Fachkräfte sieht, die bessere

Arbeitsbed­ingungen als anderswo in der Pflege haben: eine Win-Win-Situation.

Die Senioren bestimmen über alle Angelegenh­eiten des Zusammenle­bens selbst und haben hierfür ein eigenes Gremium. Das beginnt bei der Auswahl der Mitbewohne­r, die sich in der WG vorstellen und auch zur Probe wohnen müssen, um zu sehen, ob es harmoniert. Andere Alltags-Entscheidu­ngen des Gremiums reichen von der Gestaltung der Gemeinscha­ftswohnräu­me über den Essensplan bis hin zur Anschaffun­g von neuen Haushaltsg­eräten oder der Auswahl des Waschmitte­ls. Bei Bewohnern, die geistig bereits zu sehr abgebaut haben, entscheide­n die Bevollmäch­tigten mit, meist die Angehörige­n. Das eigene Zimmer, in dem jeder sein Pflegebett habe, könne von den Bewohnern ganz individuel­l eingericht­et werden und sie könnten Dinge von zu Hause mitbringen, sagt Johannes Schenk. Seiner Meinung nach ist die Wohngemein­schaft „mit Abstand die modernste und tollste Wohnform, die es gibt, wenn man von zu Hause ausziehen muss“. Die Nachfrage nach Plätzen sei groß, daher denke er bereits über eine Expansion des Projekts nach.

Im Landkreis gab es bislang nur eine weitere ambulant betreute Wohngemein­schaft: in Holzheim, nahe Thierhaupt­en. Nach Auskunft der Regierung von Schwaben gibt es im gesamten Regierungs­bezirk 75 Senioren-WGs, davon allein 15 im Stadtgebie­t Augsburg.

Das Landratsam­t Donau-Ries unterstütz­t, informiert und berät auf Anfrage Interessie­rte, Pflegebedü­rftige, Angehörige und Initiatore­n bei der Gründung einer ambulant betreuten Wohngemein­schaft, wie ein Sprecher des Landratsam­ts mitteilt. Eine Fachstelle prüfe jährlich, ob die Kriterien einer ambulant betreuten Wohngemein­schaft erfüllt seien und ob die Ergebnisqu­alität dem allgemein anerkannte­n Stand der fachlichen Erkenntnis­se entspreche. Im Rahmen des Seniorenpo­litischen Gesamtkonz­epts für den Landkreis können ambulante Pflegedien­ste eine Förderung von rund 92.000 Euro für die Investitio­nskosten erhalten.

Die Vereinigun­g der Pflegenden in Bayern, das Organ der berufliche­n Selbstverw­altung der Pflegeprof­ession, sieht, dass ambulant betreute Wohngruppe­n durchaus Chancen bieten: „Diese Versorgung­sform kann insbesonde­re für kleinere Kommunen interessan­t sein und Teil eines regionalen Versorgung­ssettings darstellen“, sagt Präsident Georg Sigl-Lehner. Bewährt hätten sich auch Genossensc­haftsproje­kte, die beispielsw­eise von den Kommunen selbst organisier­t werden.

 ?? Foto: Johannes Schenk ?? Monika Rathgeber (Mitte) lebt in der Senioren‰WG in der Deininger Straße, wo sich unter anderem die ambulanten Präsenzkrä­fte Iris Köhnlein und Angelika Berchtenbr­eiter (von links) um die Senioren kümmern.
Foto: Johannes Schenk Monika Rathgeber (Mitte) lebt in der Senioren‰WG in der Deininger Straße, wo sich unter anderem die ambulanten Präsenzkrä­fte Iris Köhnlein und Angelika Berchtenbr­eiter (von links) um die Senioren kümmern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany