Die erste SeniorenWG im Ries
Pflege In Nördlingen eröffnete die erste ambulant betreute Wohngemeinschaft im Ries. Weil die Nachfrage groß ist, denkt der initiierende Pflegedienst über eine Expansion nach
Nördlingen In der Gemeinschaftsküche wird gerade gekocht, es ist Mittagszeit und die Köchin schiebt ein Blech mit Fischstäbchen in den Ofen. Sie kocht dort für die fünf Bewohnerinnen und Bewohner der ersten Nördlinger Senioren-Wohngemeinschaft in der Deininger Straße. Point of Care, der mobile Pflegedienst, der sein Büro gleich nebenan hat, initiierte das Projekt und mietete die Wohnung, wie Geschäftsführer Johannes Schenk erklärt. Die Senioren haben einen Untermietvertrag. Die fünf derzeitigen Bewohnerinnen und Bewohner sind zwischen 61 und 92 Jahre alt, haben die Pflegegrade eins bis drei und sind fast alle, zumindest leicht, dement.
Die ursprüngliche Idee der Senioren-WG sei es, sagt Pflegebereichsleiterin Melanie Schenk, dass ältere Menschen sich zusammentun, selbst eine Wohnung mieten und einen Pflegedienst beauftragen. Da so viel Selbstständigkeit aber im Alter nicht immer möglich ist, ergriff Point of Care die Initiative und mietete die Wohnung für die Senioren, die, in diesem Fall, alle zuvor bereits Patienten des Pflegedienstes waren und deren nächtliche Pflegebedürftigkeit zugenommen hatte. Aufgrund der Vertrautheit mit den Pflegekräften sei den Senioren die Eingewöhnung in der Wohngemeinschaft auch leichter gefallen, sagt Melanie Schenk.
Die Wohnung in der Deininger Straße ist 150 Quadratmeter groß, sie liegt im ersten Stock, die Stufen lassen sich mit einem Treppenlift überwinden. In der Wohnung hat jeder Bewohner sein eigenes Zimmer und es gibt eine Gemeinschaftsküche, wo sich das eigentliche Leben abspielt, sowie einen Aufenthaltsbereich mit Sesseln und Fernseher – sonntags werde auch gerne mal „Tatort“geschaut, erzählt Johannes Schenk. Zudem gibt es ein großes, behindertengerechtes Badezimmer, in dem auch Waschmaschine und Trockner stehen, und ein Gäste-WC.
Bei dieser Wohn- und Pflegeform handelt sich um keine stationäre Pflege, sie fällt auch nicht unter das Heimgesetz. Das multiprofessionelle Team ist nur Gast in der WG. In der Deininger Straße besteht es aus einer Pflegekraft, die 24 Stunden in einem Drei-Schicht-Betrieb präsent ist, einer Betreuungs- und einer Hauswirtschaftskraft, die ausgebildete Köchin ist.
Aufgrund dieses Personalschlüssels hätten die Fachkräfte wesentlich mehr Zeit für die Bewohnerinnen und Bewohner als in einem stationären Heim, sagt Johannes Schenk, weshalb er darin sowohl einen Vorteil für die Senioren als auch für die Fachkräfte sieht, die bessere
Arbeitsbedingungen als anderswo in der Pflege haben: eine Win-Win-Situation.
Die Senioren bestimmen über alle Angelegenheiten des Zusammenlebens selbst und haben hierfür ein eigenes Gremium. Das beginnt bei der Auswahl der Mitbewohner, die sich in der WG vorstellen und auch zur Probe wohnen müssen, um zu sehen, ob es harmoniert. Andere Alltags-Entscheidungen des Gremiums reichen von der Gestaltung der Gemeinschaftswohnräume über den Essensplan bis hin zur Anschaffung von neuen Haushaltsgeräten oder der Auswahl des Waschmittels. Bei Bewohnern, die geistig bereits zu sehr abgebaut haben, entscheiden die Bevollmächtigten mit, meist die Angehörigen. Das eigene Zimmer, in dem jeder sein Pflegebett habe, könne von den Bewohnern ganz individuell eingerichtet werden und sie könnten Dinge von zu Hause mitbringen, sagt Johannes Schenk. Seiner Meinung nach ist die Wohngemeinschaft „mit Abstand die modernste und tollste Wohnform, die es gibt, wenn man von zu Hause ausziehen muss“. Die Nachfrage nach Plätzen sei groß, daher denke er bereits über eine Expansion des Projekts nach.
Im Landkreis gab es bislang nur eine weitere ambulant betreute Wohngemeinschaft: in Holzheim, nahe Thierhaupten. Nach Auskunft der Regierung von Schwaben gibt es im gesamten Regierungsbezirk 75 Senioren-WGs, davon allein 15 im Stadtgebiet Augsburg.
Das Landratsamt Donau-Ries unterstützt, informiert und berät auf Anfrage Interessierte, Pflegebedürftige, Angehörige und Initiatoren bei der Gründung einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft, wie ein Sprecher des Landratsamts mitteilt. Eine Fachstelle prüfe jährlich, ob die Kriterien einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft erfüllt seien und ob die Ergebnisqualität dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse entspreche. Im Rahmen des Seniorenpolitischen Gesamtkonzepts für den Landkreis können ambulante Pflegedienste eine Förderung von rund 92.000 Euro für die Investitionskosten erhalten.
Die Vereinigung der Pflegenden in Bayern, das Organ der beruflichen Selbstverwaltung der Pflegeprofession, sieht, dass ambulant betreute Wohngruppen durchaus Chancen bieten: „Diese Versorgungsform kann insbesondere für kleinere Kommunen interessant sein und Teil eines regionalen Versorgungssettings darstellen“, sagt Präsident Georg Sigl-Lehner. Bewährt hätten sich auch Genossenschaftsprojekte, die beispielsweise von den Kommunen selbst organisiert werden.