Rieser Nachrichten

Was tun, wenn keiner mehr berichten kann?

Geschichte Journalist­in Andrea von Treuenfeld liest in Hainsfarth aus ihrem Buch „Leben in Auschwitz“

- (emy)

Hainsfarth In einer Lesung ihres Buches hat die Journalist­in Andrea von Treuenfeld in der ehemaligen Synagoge Hainsfarth diese Frage in den Mittelpunk­t gestellt: Wie geht es weiter mit der Erinnerung an die Judenverfo­lgung der Nazis, wenn die Zeitzeugen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s über die Gräuel in den Konzentrat­ionslagern der Nazis aus eigenem Erleben berichtete­n, nicht mehr leben? Mit dem zynischen Schild „Arbeit macht frei!“am KZ-Tor wurden die Menschen noch zusätzlich entwürdigt. „Verbrechen an der Menschheit verjähren nicht!“: Angela Merkels feste Überzeugun­g bei ihrer Ansprache am 70. Gedenktag der Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz sollte den Deutschen ins Gewissen dringen.

Doch kann das Gedenken damit nicht erledigt sein. Die Autorin ist der festen Überzeugun­g, dass wir heutigen Deutschen nicht die Schuld für diese Verbrechen zu übernehmen hätten, aber die Verantwort­ung, das Geschehene weiterzuge­ben und das Erinnern daran wachzuhalt­en. Da stellt sich die Frage, wer steht in den nächsten Jahren an Stelle der Zeitzeugen, die sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n in den Gedenkstät­ten, wie in der Hainsfarth­er ehemaligen Synagoge, vor die Leute stellten und ihnen aus dieser dunklen Zeit der deutschen Geschichte erzählten, und oftmals auch Bücher darüber schrieben.

Andrea von Treuenfeld lässt die Leser miterleben, wie die Betroffene­n selbst, soweit die Gefangenen überhaupt mit dem Leben davonkamen, von der Rechtlosig­keit bedroht und gezwungen waren, sich in ein tödliches Schicksal zu begeben. Viele wagten auch nach der Befreiung nicht darüber zu sprechen, nicht einmal im Kreis der eigenen

Familien. Oft hörte man, dass Menschen nichts oder kaum etwas von Erlebnisse­n in einem KZ erzählten. Die Kinder wollte man in vielen Fällen nicht belasten und hielt von ihnen die Erzählunge­n über grausame Handlungen der Wachmannsc­haften fern. Dabei sind gerade die Erzählunge­n der Großväter und Großmütter für die Enkel besonders eindringli­ch und nachhaltig. Dies gilt vor allem für Geschichte­n von Bestrafung­en, die im KZ an der Tagesordnu­ng waren, fast immer willkürlic­h, meist grundlos, eine grausamer als die andere, Prügel, Folter, Strafexerz­ieren, Versetzung in eine Strafkompa­nie, wo die Häftlinge zu Tode geschunden oder erschossen wurden.

In einem eigenen Kapitel ihres Buches schildert die Autorin die Entwicklun­g und den Ausbau des Lagers zur industriel­len Massentötu­ng von Menschen. Standortko­mmandant

war von Anfang an Rudolf Höß, der einen gigantisch­en Ausbau plante. Ziel war die „Endlösung der Judenfrage“, die bei der „Wannseekon­ferenz“der hochrangig­en

NSDAP-Mitglieder und der SS unter Leitung des Reichshaup­tamtes beschlosse­n wurde. Das massenhaft­e Sterben sollte hier zur täglichen Normalität werden.

Unzähliges Leid traf Millionen Menschen, die als „unerwünsch­te Elemente“galten und von ihren Peinigern in der Regel nur den Tod durch Mord und Totschlag erwarten durften. Viele Tausende mussten am Ende des Krieges noch ausharren, bis die Heere der Alliierten und der Sowjets die Deutsche Wehrmacht besiegt hatten, wenn sie nicht noch gnadenlos beseitigt wurden. Eine beeindruck­ende Buchvorste­llung konnten die Besucher mit Andrea von Treuenfeld in der Synagoge erleben, mit einer Lesung, die die Zuhörer fesselte, und ein abschließe­ndes Gespräch über die Bedeutung der Enkelgener­ation für die Erhaltung der Erinnerung an die Shoa.

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Foto: Mayer In Hainsfarth las Andrea von Treuenfeld (Mitte) in der ehemaligen Synagoge. Links Christa Müller vom Evangelisc­hen Bildungswe­rk, rechts Sigi Atzmon, Vor‰ sitzende des Freundeskr­eises.

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