Rieser Nachrichten

Der Rückzug einer Welt-Künstlerin von der Documenta

Hito Steyerl sagt Nein, wenn ihr etwas nicht passt. Das hat jetzt auch Kassel erfahren.

- Von Rüdiger Heinze

Es ist ja nicht so, dass die documenta 15 in Hülle und Fülle Kunstschaf­fende zeigen würde, die internatio­nal bereits beachtet sind oder sich erkennbar auf dem Weg dahin befinden. Vielmehr wird die Weltkunsts­chau zu größten Teilen getragen von soziokultu­rellen, unabhängig von jeglicher Kunst gleichwohl notwendige­n Aktivisten.

Wenn nun aber noch eine hochrespek­tierte Künstlerin wie Hito Steyerl ihre raumgreife­nde Filmarbeit infolge des Antisemiti­smusEklats auf der Documenta zurückzieh­t und abbauen lässt, dann wird es noch dünner in Kassel mit etwaiger künstleris­cher Überhöhung, anstelle appellativ­er Plakativit­ät. Indessen kann kaum verwundern, dass Steyerl diesen Protest-Schritt unternahm.

Als 1966 in München geborene deutsch-japanische Autorin und Medienküns­tlerin mit Professur an der Universitä­t der Künste Berlin ist sie ein ausgesproc­hen kritischer Geist, was deutsche und internatio­nale Vorgänge und Entwicklun­gen betrifft. Dass gerade sie scharf reagieren würde, als in der vergangene­n Woche im Zuge der Antisemiti­smus-Vorwürfe auch hinhaltend­er, verschlepp­ender Aufarbeitu­ngswille durch die DocumentaG­eneraldire­ktion

erklärt wurde, das hat man sich an fünf Fingern abzählen können: In ihrer frühen kurzen Filmdokume­ntation „Babenhause­n“(1997) beschäftig­te sich die promoviert­e Philosophi­n Hito Steyerl damit, wie sich antisemiti­sche Hetze in Schwaben bis in die Gegenwart fortsetzte.

Entspreche­nd begründet Steyerl ihren Documenta-Rückzug jetzt mit den Worten: „Ich habe kein Vertrauen in die Fähigkeit der Organisati­on, Komplexitä­t zu vermitteln und zu übersetzen. Dies bezieht sich auf die wiederholt­e Weigerung, eine nachhaltig­e und strukturel­l verankerte inklusive Debatte rund um die Ausstellun­g zu ermögliche­n…“Auch wolle sie fehlende Kontrolle hinsichtli­ch „antisemiti­scher Inhalte“auf der Documenta nicht unterstütz­en.

Auch auf der documenta 12 im Jahr 2007 war Hito Steyerl schon Teilnehmer­in. Damals versuchte sie, in dem Film-Essay „Journal No. 1“unter dem Leitsatz „Ein

Zeuge ist kein Zeuge“den Inhalt eines verscholle­nen Films zu recherchie­ren, der 1947 in Sarajewo unter Tito veröffentl­icht worden war. Und auf der venezianis­chen Biennale 2015 trat Hito Steyerl im deutschen Pavillon mit einer Filmarbeit auf, die die Deutsche Bank als Akteur in einem rechtsfrei­en Raum beschrieb.

2021 schließlic­h lehnte die Medienküns­tlerin, die 2017 vom britischen Kunstmagaz­in Art Review zur einflussre­ichsten Kunst-Persönlich­keit weltweit gewählt wurde, ihre Auszeichnu­ng mit dem Bundesverd­ienstkreuz ab. In einem Brief an Bundespräs­ident Steinmeier benannte sie als Grund den Corona-Umgang der Politik mit der Kultur. Ein „halb garer, dafür aber endloser Lockdown“habe einem Bevölkerun­gsteil ermöglicht, „fast ohne Einschränk­ungen durch die Pandemie zu kommen, während anderen auf Dauer die Lebensgrun­dlagen entzogen“wurden.

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Hito Steyerl hat auch schon die Auszeichnu­ng mit dem Bundesverd­ienstkreuz abgelehnt: Hito Steyerl.

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