Zwei Generationen im Schuhhaus Stark
Mit 79 Jahren arbeitet Karin Stark noch täglich im Nördlinger Schuhgeschäft. Der Familienbetrieb hat schon mehr als einen Generationswechsel geschafft.
Karin Stark setzt sich dazu. Die 79-Jährige nimmt auf einem Hocker vor der Kundin Platz, schnürt ihr die Schuhe zu, tastet nach den Zehen: „In 38 wären sie zu klein“, sagt sie. Und dann zeigt die Nördlingerin der Frau, wie sie einen Doppelknoten schnürt: „Als ich 15 war, war eine Kundin bei mir, die hat gesagt: ‚Mädchen, das machst du nicht richtig. Da laufe ich ein paar Schritte und der Schnürsenkel geht auf.‘“Dann habe sie ihr diesen Knoten gezeigt. Dieses Wissen gibt Karin Stark 64 Jahre später noch weiter, im Nördlinger Schuhhaus Stark. Ein Geschäft, das Karin Starks Eltern aufbauten und das ihr Sohn Marko heute weiterführt. Wie hat das angefangen?
Karin und Marko Stark erzählen ihre Familiengeschichte im Wohnzimmer, ein renoviertes Haus, die Holzbalken stehen aber noch. Im Stockwerk darunter gibt es ein großes Schuhlager und im Erdgeschoss befindet sich das Schuhgeschäft, das viele Nördlingerinnen und Nördlinger kennen. Doch angefangen habe das schon im Sudetenland. Schon dort hatten Karin Starks Eltern ein Schuhgeschäft, „das existiert noch heute“, sagt Marko Stark. Nach dem Zweiten Weltkrieg, 1946, kamen seine Großeltern nach Nördlingen, wohnten in der Beckschen Druckerei.
Schon nach kurzer Zeit machte der Großvater dort in einer kleinen Kammer eine Reparaturwerkstatt auf, fertigte Maßschuhe. Im Jahr 1950 sei dann in der Berger Straße ein Laden frei geworden, erzählt Karin Stark, dort habe ihr Vater ein Schuhgeschäft eröffnet. Zehn Jahre später zog das dann in die Drehergasse um, den heutigen Standort.
„Ich wollte eigentlich einen anderen Beruf“, sagt Karin Stark, gerne wäre sie etwa Erzieherin im Kindergarten geworden. Doch ihre ältere Schwester stieg nicht in den Familienbetrieb ein: „Dann hat’s geheißen: Dann musst du ins Geschäft.“So machte sie ihre Lehre als Einzelhandelskauffrau, arbeitete im Laden und ließ sich eben von einer Kundin den Doppelknoten erklären. „Die Kunden, die zu uns kamen, legten Wert auf einen guten Schuh. Der wird auch repariert.“Das ziehe sich bis heute durch, sagt Sohn Marko Stark: Bei einem hochwertigen Schuh lohne es sich, diesen auch ein oder zwei Mal neu besohlen zu lassen. Schon als Kind half Karin Stark im Geschäft, „man ist so reingewachsen“. Ihr Vater habe ihr oft freie Hand gelassen, etwa im Einkauf. Zwei Mal im Jahr ging es zur Schuhausstellung nach München, aber die Vertreter seien meist ins Geschäft gekommen – heute sei das kaum noch der Fall.
1975 übernahm Karin Stark den Betrieb ganz, aber es habe sich nicht viel verändert – außer dass sie dann nicht mehr die Gehaltsempfängerin war. Einige Jahre später habe sie den Laden vergrößert, zwei Monate lang verkaufte sie die Schuhe dann aus der Eisdiele einige Häuser weiter, die im Winter geschlossen hatte. Über all die Zeit bauten die Starks eine große Zahl an Stammkunden
auf. Dass sie die gut kennt, ist ein großer Vorteil für Karin Stark. Einmal habe die Tochter einer Kundin aus Donauwörth in London geheiratet. Doch die Tochter rief die Mutter an, sie finde dort mit ihrem schmalen Fuß keine Brautschuhe. „Die Mutter hat mich angerufen. Ich kenne den Fuß und habe gesagt: Nehmen’s zwei Paar mit, die gehen in den Koffer rein.“Die Kundin nahm die Schuhe mit zur Hochzeit nach London – sie hätten gepasst.
„Das ist unsere Stärke: Man kennt die Kundschaft, weiß den Geschmack, weiß, wie ein Schuh ausfallen muss“, sagt Marko Stark. Er vergleiche das gerne mit dem „Metzger des Vertrauens“. Denn wer eine Feier plane, finde in der Supermarkt-Kühltheke Massen an Fleisch, von denen man nicht wisse, wo es herkomme. „Beim Metzger des Vertrauens kann ich fragen: Ich habe das und das vor, was können Sie empfehlen?“Ähnlich sei es beim Schuhkauf, gute Beratung zahle sich aus.
2017 übernahm dann Marko Stark das Geschäft, in dem auch seine Frau Nicole tätig ist. Ähnlich wie seine Mutter sei er mit dem Laden aufgewachsen, auf Messen gewesen, schon früh machte er die Buchhaltung. „Es ist dann so, dass es gewisse Lebenspunkte gibt, wo man alles überdenkt. Das war bei mir mit 45 so. Es war die Überlegung: Wie geht es mit dem Geschäft weiter?“
Mutter Karin hat sich gefreut: „Als er eines Tages kam und gesagt hat: ‚Was meinst?‘, habe ich gesagt, es kann mir nur recht sein.“Es sei schön, dass es weitergehe, andere
Familienbetriebe in der Stadt hätten es nicht geschafft. Marko Stark sagt, gerade im Modebereich würden jüngere Generationen nach einer Übernahme alles neu machen. Doch der Kundenstamm sei da, weil es bislang in eine bestimmte Richtung gegangen sei. Darauf müsse man aufbauen und zusätzlich etwas Neues entwickeln. Karin Stark ist weiter im Laden dabei: Sie kann beraten, habe aber keine Verantwortung mehr: „Es macht immer noch Spaß, zu verkaufen. Und es hält hier fit“, sagt sie und zeigt auf ihren Kopf. Einige Kunden wüssten auch noch, wie ihre Mutter mit 90 Jahren im Laden saß. Damals hatte das Schuhhaus Stark den ersten Generationswechsel hinter sich. Der nächste ist heute längst geglückt.