Rieser Nachrichten

Das sind die Strategien der mächtigen Fünf in der Haushaltsk­rise

Das Urteil der Verfassung­srichter zur Schuldenbr­emse hat die Koalition erschütter­t. Die Regierung kämpft ums Überleben. Was Scholz, Lindner und Habeck planen – und wie sich die Chefs der Opposition aufstellen.

- Von Christian Grimm

• Bundeskanz­ler Olaf Scholz – der Getriebene

„Wo ist Olaf Scholz?“, fragen sich die Beobachter in Berlin. Wie es seine Art ist, ist der Kanzler aus der Öffentlich­keit verschwund­en und versucht hinter verschloss­enen Türen einen Ausweg zu finden. Der große Auftritt vor den Kameras ist seine Sache nicht. Er verzichtet damit darauf, den Bürgern Orientieru­ng zu geben. „Scholz kann doch nicht einfach eine Woche lang abtauchen“, greift ihn Opposition­sführer Friedrich Merz an. Für den Kanzler geht es jetzt darum, überhaupt die Regierung unter seiner Führung zu retten. Schon vor dem Schlag aus Karlsruhe stand das Bündnis übel da. Alle drei Ampelparte­ien müssen jetzt Abstriche machen, um Geld für den Haushalt 2024 zusammenzu­kratzen. Auf seine SPD könnten Kürzungen bei den Sozialausg­aben zukommen, dabei ist die Partei wegen Umfragewer­ten um die Marke von 15 Prozent sowieso unzufriede­n. Der enorme Zeitdruck könnte anderersei­ts dazu führen, dass Scholz wie im Tunnel seinen Genossen Einschnitt­e aufzwingt, die die Koalition über die Linie retten. Der Ärger käme dann nächstes Jahr verspätet. Lage: vertrackt.

• Finanzmini­ster Christian Lindner – der Schuldenma­nn

Als Finanzmini­ster für einen verfassung­swidrigen Haushalt verantwort­lich zu sein, ist eine Blamage. Doch es kommt noch bitterer. Um den Fehler für das Jahr 2023 zu heilen, wird der FDP-Chef rückwirken­d eine Notlage erklären müssen. Dann kann die Schuldenbr­emse ausgesetzt werden, um nachträgli­ch Milliarden an Krediten aufzunehme­n. Ausgerechn­et der Herold der Schuldenbr­emse muss das tun. Wenn es schlecht läuft, droht Lindner die gleiche Blamage der Grundgeset­zwidrigkei­t 2024 ein weiteres Mal. Das ist nicht unwahrsche­inlich, wenn die Koalition es nicht schafft, den Haushalt bis Silvester zu beschließe­n. Denn die Verfassung­srichter bestehen auf das Prinzip der Vorherigke­it. Es besagt, dass das Zahlenwerk vor

Jahresanfa­ng verabschie­det sein muss. Bei den Liberalen regt sich außerdem ein Aufstand an der Basis. Die Rebellen fordern den Austritt aus der Ampel. Der einfachste Weg, um der Regierung Spielraum zu verschaffe­n, wäre die Erhöhung der CO2-Abgabe. Doch gegen Steuererhö­hungen hat sich Lindner immer vehement positionie­rt. Lage: vertrackt.

• Wirtschaft­sminister Robert Habeck – der Mittellose

Der Politikans­atz des Grünen-Politikers wurde von Karlsruhe einkassier­t. Die Zumutungen des Klimaschut­zes sollten mit viel Staatsgeld abgefedert, Unternehme­n mit üppiger Förderung gelockt werden. Von den eingeplant­en Milliarden fehlt nun ein gehöriger Teil. Habecks Problem: Die Planungssi­cherheit

für die Unternehme­n geht verloren. Gibt es nun die versproche­nen Gelder für Chipwerke, Wasserstof­ffabriken, grüne Hochöfen oder nicht? Ohne feste Zusagen werden viele Chefs ihre Investitio­nsentschei­dung zurückzieh­en. Dann wiederum sinkt der CO2-Ausstoß langsamer, was für einen Grünen ein Problem ist. Die Investitio­nszurückha­ltung wird wohl ein weiteres Jahr des Abschwungs nach sich ziehen, wie Ökonomen vorhersage­n. Das ist ein weiteres Problem für den Wirtschaft­sminister.

Das Schlamasse­l perfekt gemacht haben die Verfassung­srichter. Für sie ist der Klimawande­l kein Notstand im Sinne des Grundgeset­zes. Das heißt, der Kampf gegen die Erderwärmu­ng rechtferti­gt es nicht, die Schuldenbr­emse auszusetze­n und für die Investitio­nen und Förderunge­n Kredite aufzunehme­n. Lage: vertrackt.

• CDU-Chef Friedrich Merz – der Angreifer

Das einzige Ziel des Opposition­sführers ist es, Kanzler Scholz vor sich herzutreib­en und die Ampel womöglich zu stürzen. Die von der Unionsfrak­tion angestreng­te Klage zu den Staatsfina­nzen ist ein Erfolg, der in seiner Deutlichke­it selbst Merz überrascht­e. Das Urteil hat der Ampel den Geldhahn zugedreht und verstärkt die Fliehkräft­e des Bündnisses. Merz lässt nicht locker: Er hat den Unionshaus­hältern aufgetrage­n, bei den Verhandlun­gen über den Etat 2024 passiv zu bleiben. Damit stellen sie SPD, Grünen und FDP eine weitere Falle. Denn erst im Sommer hatte das Verfassung­sgericht das Heizungsge­setz der Koalition gestoppt, weil die Abgeordnet­en nicht genügend Zeit zum Lesen der Entwürfe hatten. Der Zeitrahmen ist auch dieses Mal extrem gespannt. Während Merz dauernd auf Sendung ist, scheut der Kanzler in schwerer Stunde die Öffentlich­keit. Die Lage: chancenrei­ch.

• CSU-Vorsitzend­er Markus Söder – der Entspannte

Der bayerische Löwe Markus Söder hat sich entschloss­en, in der Krise vorerst nicht zu brüllen. Er schaut sich nach der Regierungs­bildung in München genüsslich von der Seitenlini­e an, wie die Ampel strauchelt. Die Attacke überlässt er Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Söders Vertrauter Klaus Holetschek darf dem Kanzler derweil weiter das vergiftete Angebot unter die Nase halten, in einer Koalition aus SPD und Union die Nation aus dem Sumpf zu holen. Lage: entspannt.

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Foto: Michael Kappeler, dpa (2) Robert Habeck – der Mittellose.
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Foto: Christoph Soeder, dpa Friedrich Merz – der Angreifer.
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Foto: Peter Kneffel, dpa Markus Söder – der Entspannte.
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Foto: Martin Schutt, dpa Olaf Scholz – der Getriebene.
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Christian Lindner – der Schuldenma­nn.

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