Rieser Nachrichten

Jugendlich­e Asylsuchen­de stellen Landkreis vor Dilemma

Dutzende minderjähr­ige Flüchtling­e müssen im Kreis Donau-Ries betreut werden. Für die Mitarbeite­r des Jugendamte­s bedeutet das eine kaum zu bewältigen­de Lage.

- Von Thomas Hilgendorf

Sie tauchen alleine oder in kleinen Gruppen auf, an Bahnhöfen oder auf irgendwelc­hen Straßen und Plätzen – meist in den Grenzgebie­ten Südbayerns und Baden-Württember­gs. Die Polizei ruft dann in der Regel beim zuständige­n Jugendamt an, das die Verantwort­ung für jene Kinder übernehmen muss, die auf der Flucht sind oder auf diese geschickt wurden. Die Lage rund um die „unbegleite­ten minderjähr­igen Asylsuchen­den“(UMA), wie diese Kinder und Jugendlich­en im Amtsdeutsc­h heißen, sie hat auch im Landkreis Donau-Ries jüngst „eine neue Dynamik bekommen“, wie Landrat Stefan Rößle am Mittwoch erklärte.

Der „Extremfall“aus den vergangene­n Wochen sei der eines jungen Syrers gewesen, der dem Jugendamt in Donauwörth zugeteilt wurde. Ohne Begleitung von Erwachsene­n sei das Kind unterwegs gewesen – gerade einmal elf Jahre alt. Es ist kein Einzelfall mehr. Warum das Kind alleine losgeschic­kt wurde? „Es geht wohl um bessere Chancen beim Familienna­chzug“, sagt Singer im Gespräch mit der Redaktion. Die Kinder ohne Begleitung muss der Landkreis als zuständige Behörde nicht nur unterbring­en, sondern sie eigentlich auch umfänglich betreuen. Angesichts einer mehr als angespannt­en personelle­n Lage und fehlender Plätze bei den Wohlfahrts­einrichtun­gen gleicht diese Aufgabe mittlerwei­le einem Dilemma.

Adelbert Singer ist in seinen letzten Tagen als Jugendamts­leiter – er geht Ende des Jahres in den Ruhestand – Tag und Nacht unterwegs, wenn die Jugendlich­en ihn brauchen. Allem voran, weil er kaum Kollegen hat, die eine permanente Rufbereits­chaft für die 49 UMA übernehmen könnten, die inzwischen im Kreis Donau-Ries untergebra­cht sind. An eine Beherbergu­ng der Jugendlich­en, die über 16 Jahre alt sind, in Wohngruppe­n der hiesigen sozialen Trägerverb­ände ist inzwischen schier

gar nicht mehr zu denken. Längst musste das Landratsam­t sogar Zimmer in Hotels anmieten. Andere Minderjähr­ige sind in Pflegefami­lien untergebra­cht, was leider nicht immer ohne Konflikte vonstatten­gehe, wie Singer am Mittwoch vor dem Jugendhilf­eausschuss des Landkreise­s berichtete. Wieder andere, die Jüngeren, leben in Wohngruppe­n in Nachbarlan­dkreisen.

Die Kreisbehör­de sei verpflicht­et, die UMA zu versorgen – nach dem Aufgriff werden sie gemäß einem bestimmten Schlüssel auf die bayerische­n Landkreise verteilt.

Im Kreis Donau-Ries sind nach aktueller Quote bis zu 50 UMA unterzubri­ngen, diese Zahl könne jedoch, so Singer, monatlich angepasst werden. Die Krux: Es gibt weder Personal noch Plätze noch generell Immobilien. Und so prüfen die Mitarbeite­r des Jugendamts eher stichprobe­nartig, ob alles passt bei den an den verschiede­nen Orten untergebra­chten Jugendlich­en. „Es ist nur Improvisat­ion“, resümiert Singer. „Wir fahren raus zu den Jugendlich­en, gehen einkaufen, machen Grundlegen­des – und doch können wir sie nur mit reduzierte­n Standards betreuen.“

Rundumbetr­euung, 24 Stunden – angesichts der Lage erscheint das nurmehr utopisch. So, wie eine Betreuung im Idealfall eigentlich sein sollte, laufe es zumindest nicht: „Wir müssen stets hoffen, dass nichts passiert.“Traumatisi­erungen, Konflikte mit Gleichaltr­igen, Konflikte mit Angehörige­n anderer Nationalit­äten, heterogene Gruppen aus verschiede­nen Kulturen – es wären intensive Betreuungs­möglichkei­ten gefragt; doch die sind mehr als rar. Zudem habe der Bund, das betonten verschiede­ne Vertreter von Wohlfahrts­verbänden im Ausschuss,

in der ersten Flüchtling­skrise 2015/16 die Träger finanziell „im Regen stehen lassen“. Vielfach seien die Anbieter von Wohnheimpl­ätzen „auf den Kosten sitzen geblieben“. Ferner finde sich nach wie vor kaum Personal auf dem Markt, wie etwa Margit Jeltsch von der Katholisch­en Jugendfürs­orge (KJF) anmerkte.

Seit Kurzem hat der Landkreis ein Haus in Fünfstette­n angemietet. Hier können zumindest sieben Jugendlich­e untergebra­cht werden. Weitere Minderjähr­ige leben in einem Hotel in Nordheim. „Wir müssen das machen, weil wir keine Träger mit entspreche­nden Plätzen haben“, erklärte Jugendamts­leiter Singer. So ist der Landkreis nun selbst zum Träger geworden, gezwungene­rmaßen, und, wie Singer bedauernd anfügte, „nur im Notmodus, denn wir sind ziemlich am Limit“. Ohne das nachhaltig­e Engagement der 70 Mitarbeite­r im Jugendamt „wäre das System schon zusammenge­brochen“. Das Amt für Jugend und Familie in Donauwörth braucht fortan sieben weitere Stellen, um seine Aufgaben noch bewältigen zu können. Es bleibe, wie der Amtsleiter erklärte, dieser Tage vieles – unter anderem diverse sozialpäda­gogische Familienhi­lfen – auch deshalb liegen, weil die Lage rund um die UMA so personal- und arbeitsint­ensiv sei. Der Aufruf an die Träger, fortan mehr Plätze für UMA anzubieten, verspricht wahrschein­lich zu wenig Wirkung. Die Sprecher der Verbände betonten, dass es ihrerseits nicht an fehlendem Willen liege, sondern schlichtwe­g an den kaum vorhandene­n Ressourcen, räumlich wie personell. Landrat Rößle informiert­e die Ausschussm­itglieder unterdesse­n über ein Gespräch mit Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann – der habe zugesicher­t, das Thema zeitnah auf die politische Agenda zu heben. Der Bereich UMA schlägt sich indessen merklich im Haushalt der Jugend- und Familienhi­lfe nieder: Der Ansatz für unbegleite­te Minderjähr­ige und asylsuchen­de Familien ist von 1,4 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 2,3 Millionen für 2024 gestiegen.

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa (Symbolbild) ?? Unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e stellen den Landkreis Donau-Ries und speziell das Jugendamt vor enorme Herausford­erungen.
Foto: Daniel Karmann, dpa (Symbolbild) Unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e stellen den Landkreis Donau-Ries und speziell das Jugendamt vor enorme Herausford­erungen.

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