Mehr als 300 Besucher wollen bei Lesung von Wilhelm Schmid dabei sein
Der bekannte Philosoph kommt nach Möttingen und spricht über das Sterben, den Tod und welche Bedeutung die Liebe für ihn hat.
Philosophieren heißt sterben lernen, lautet ein bekanntes Diktum Montaignes. Der Tod, wie auch das Glück, standen schon in der Antike im Zentrum der philosophischen Lebenskunst, der es um das gute Leben geht. Der renommierte Philosophieprofessor Wilhelm Schmid steht wie kaum ein anderer zeitgenössischer Philosoph für die Aktualisierung dieser alten philosophischen Tradition. Im heutigen akademischen Philosophiebetrieb ist dies jedoch eine randständige Position. Der Hospizgruppe Donau-Ries und dem Evangelischen Bildungswerk war es gelungen, Schmid für eine Lesung aus seinem neuen Buch „Den Tod überleben. Vom Umgang mit dem Unfassbaren“am Mittwochabend in Möttingen zu gewinnen. Das Bürgerzentrum war voll besetzt mit 300 Besuchern. Zahlreiche und auch angemeldete Besucher konnten keinen Einlass mehr erhalten, wofür sich die Hospizgruppe entschuldigte. Schmids kleines Buch, das bei Insel erschienen ist, vereint, wie es für den Publikumsverlag typisch ist, literarische und buchkünstlerische Ansprüche. Schmid strebt damit eine breite Wirkung an. So bringt der Autor verständliche philosophische Betrachtungen und Wissen über den Tod und das Sterben mit autobiografischen Erzählpassagen über seine Ehefrau Astrid zusammen,
die vor wenigen Jahren an einem Speiseröhrentumor verstarb und die selbst als ehrenamtliche Hospizbegleiterin tätig war. Es ist auch ein Liebesbuch. „Amor vincit omnia“(die Liebe besiegt alles), heißt es im Vorwort, das Schmid eingangs vortrug, über die Erinnerungen an das gemeinsame LateinLernen mit seiner Ehefrau als junges Liebespaar. Eine Antwort auf den Umgang mit dem Tod heißt bei Schmid also Liebe. Die tief empfundene Liebe zu seiner Frau zu Lebzeiten überdauert für ihn deren Tod. Das macht es ihm möglich, auch nach ihrem Tod zu sagen: „Ich habe sie nicht verloren.“
Schmids zweite Antwort heißt Energie. Im Kapitel „Wo ist meine Frau?“, das der Autor vortrug, betrachtet er das Sterben als Umwandlung physikalischer Energie: Die Wärme des Körpers und die elektrische Energie der Herzimpulse und Hirnströme entweichen zwar bei Sterbenden. Entscheidend für Schmid ist aber, dass Energie physikalisch nicht verloren gehen kann. Sie verflüchtigt sich nur und wird umgewandelt in andere Energie. Schmid bezieht sich dabei auf den Energieerhaltungssatz (1. Hauptsatz der Thermodynamik) und er schlägt eine Brücke zwischen Energie (Naturwissenschaft) und
Liebe (Leben), wenn er schreibt: „Die große Liebe ist keine Illusion. Es gibt sie wirklich. Ich habe sie erlebt. Die Kinder haben die große Mutterliebe erlebt. Liebe ist Energie. Sie macht stark und hält sich über den Tod hinaus, ewige Liebe. Das Versprechen, das ich meiner Frau auch noch im allerletzten Moment gab, ‚wir bleiben zusammen‘, gilt bis zur künftigen Wiederbegegnung im Meer der Energie.“Eine echte „Wiederbegegnung“des „wir“würde freilich zwei personale Existenzen voraussetzen. Wie Schmid selbst an anderer Stelle weiß, wären dafür aber eine körperliche Existenz, ein Gehirn und ein Bewusstsein, das sich als „ich“wahrnimmt, die Voraussetzung.
Das zuletzt vorgetragene 4. Kapitel befasst sich mit den Phasen im Umgang mit der Trauer: 1. Verzweiflung, 2. Hadern, 3. Gespräche, 4. Gewöhnung, 5. Magie, 6. Dankbarkeit, 7. Diesseitigkeit und 8. Heiterkeit als Versöhnung mit der Endlichkeit. Im anschließenden, durchaus heiteren, Gespräch mit den Besuchern machte Schmid deutlich, dass er den Kosmos als geschlossenes System betrachte, innerhalb dessen die Gesamtenergie erhalten bleibe. Diese kosmische Energie könne man als ein anderes Wort für die „Allmacht Gottes“auffassen und der Gedanke vom energetischen Kreislauf des Werdens und Vergehens könne einen mit der Endlichkeit versöhnen.
Aber mehr noch: Schmid wagte sich mit seinen heiteren energetischen Transformations-Spekulationen in einen Grenzbereich des Rationalen. Etwa wenn er erzählte, dass die Sicherheitsschleuse am Berliner Flughafen nach dem Tod seiner Frau trotz abgelegter Gegenstände bei ihm angeschlagen habe, und wenn er sich überzeugt gab, dass dies an der Energie seiner Frau gelegen habe, die bei ihm gewesen sei. Auch der Verkettung von Zufällen in diesem Zusammenhang schrieb er eine höhere Bedeutung zu.
Schmid sagte öfter, dass wir vieles nicht wüssten und dass er bestimmte Gedanken nicht ausschließen wolle. Gefragt nach seiner Ansicht zu Reinkarnation spekulierte er über „Energieballungen“, die ursächlich für das Phänomen sein könnten, dass manche Menschen glauben, schon einmal auf der Welt gewesen zu sein. Die Idee einer Wiedergeburt als identische Person lehnte der Philosoph zwar ab, aber den Gedanken, dass einzelne Erinnerungen an ein früheres Leben sich reinkarnieren könnten, wollte er nicht ausschließen.
Der Philosoph erzählte auch, wie seine verstorbene Frau ihn auf seiner Urlaubsreise nach Teneriffa „begleitete“und sie ihm „sagte“, dass sie sich freue, dass er sich um die Busfahrpläne und anderes kümmere. So diffundierten die Gedanken des Autors an diesem Abend gelegentlich zwischen Poesie und rationalem Diskurs.