Rieser Nachrichten

CDU droht Debatte um soziales Profil

Beim Parteitag hofft Friedrich Merz auf Rückenwind für seine Kanzlerkan­didatur. Doch nun gibt es Kritik – der Parteichef vernachläs­sige die sozial Schwachen und verabschie­de sich von Helmut Kohls Europapoli­tik.

- Von Peter Müller und Michael Stifter Leitartike­l

Unmittelba­r vor ihrem am Sonntag beginnende­n Parteitag erfasst die CDU eine Debatte um den Stellenwer­t der Sozialpoli­tik. „Die CDU muss sich mit einem konkreten Angebot viel stärker um die arbeitende Bevölkerun­g gerade auch bei den unteren Einkommen kümmern“, fordert der CDU-Sozialpoli­tiker Dennis Radtke im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wenn wir bei Wahlen mehr als 30 Prozent erreichen wollen, brauchen wir ein überzeugen­des Angebot und müssen zeigen, dass die CDU auch die Partei der kleinen Leute ist.“Stattdesse­n aber sei das soziale Profil seit mehr als 20 Jahren

unterbelic­htet. Radtke, Europaabge­ordneter und stellvertr­etender Chef des Arbeitnehm­erflügels der Partei, nimmt damit das neue Grundsatzp­rogramm ins Visier, das erste seit 17 Jahren, das die CDU am Dienstag beschließe­n wird. Mit dem Papier will Parteichef Friedrich Merz der Union nach den Merkel-Jahren wieder ein verstärkt konservati­ves, wirtschaft­sfreundlic­hes Profil geben. Radtke hingegen fürchtet, diese Kurskorrek­tur könnte dazu führen, dass Wähler, die von der Ampel enttäuscht sind, nicht zur CDU wechseln, sondern die AfD oder das Bündnis Sahra Wagenknech­t wählen.

Daher fordert er, Arbeitnehm­erposition­en an der CDU-Spitze stärker sichtbar zu machen. „Wir werden aus Herrn Merz in diesem Leben keinen Arbeiterfü­hrer mehr machen. Er ist Wirtschaft­smann, das ist in Ordnung, das ist sein Profil“, sagt Radtke. „Aber dann muss man denen, die Soziales können, den entspreche­nden Raum geben.“Zwar soll mit Karl-Josef Laumann nun ein Arbeitnehm­ervertrete­r zu einem der Stellvertr­eter von Merz an der Parteispit­ze gewählt werden. Doch das reicht Radtke nicht. „Er ist dann weiterhin der Einzige im CDU-Präsidium, der nicht Mitglied der Mittelstan­dsunion ist.“

Die Äußerungen zur Sozialpoli­tik befeuern auch die Debatte über den Umgang der CDU mit der Linksparte­i. Schleswig-Holsteins Regierungs­chef Daniel Günther hatte am Freitag, auch mit Blick auf die Landtagswa­hlen in Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g im Herbst, für einen offeneren Umgang geworben – und sich umgehend eine Abfuhr von führenden CDU-Kollegen eingefange­n. Unterstütz­ung für seinen Kurs erhält Parteichef Merz ausgerechn­et aus Bayern. „Bei den wichtigen Themen Migration und Wirtschaft passt kein Blatt zwischen CDU und CSU“, sagt CSU-Chef Markus Söder unserer Redaktion. Bayerns Ministerpr­äsident, der auf dem Parteitag in Berlin auftreten wird, sendet damit Friedenssi­gnale. Viele in der Schwesterp­artei tragen ihm noch immer nach, dass seine Sticheleie­n gegen Armin Laschet die Union bei der vergangene­n Bundestags­wahl wohl wertvolle Stimmen gekostet haben.

Auf ihrem Parteitag will die CDU zudem die Weichen für die Europawahl Anfang Juni stellen. Auch hier drohen unangenehm­e Debatten. Nach Informatio­nen unserer Redaktion wenden sich der ehemalige Europapoli­tiker Elmar Brok, Ex-EU-Parlaments­präsident Hans-Gert Pöttering und der frühere Bundesverf­assungsric­hter Peter Müller an Parteichef Merz – mit dem Ziel, einen Passus im Grundsatzp­rogramm zu ändern. Sie wollen, dass die CDU offen dazu steht, dass die Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union bestimmte Kompetenze­n übereignet haben – andernfall­s drohe ein Widerspruc­h zur Europapoli­tik von Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Auch in unserem es heute um Friedrich Merz.

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