Rieser Nachrichten

Die Drucker und die Stabenlied­er

Die Druckerfam­ilie Zeiträg gehört zum Stabenfest wie die Blumen und die Fahnen. Vor 150 Jahren druckte sie die ersten Stabenlied­erhefte. Seitdem hat sich vieles getan.

- Von Veronika Ellecosta

Heute ist die Druckerei Zeiträg ein kleiner Laden in der Baldingers­traße, gefüllt mit Papierböge­n, Stadtansic­hten in Bleistift und dem Duft von Tinte und Papier. Über einer Kommode hängen Meisterbri­efe aus dem vorigen Jahrhunder­t, darunter ist ein Druckerset­zkasten aufgestell­t. Ein moderner Drucker surrt aus einer hinteren Ecke hervor. Wilhelm Zeiträg gehört seit über 50 Jahren zu diesem Laden, beinahe täglich lässt er hier Tinte zu Wörtern werden. Die Stabenlied­erhefte gehen aber weit über das Leben des Wilhelm Zeiträg hinaus: 150 Jahre lang druckte das Nördlingen Familienun­ternehmen die Hefte.

Die lithografi­sche Druckansta­lt Balthasar Zeiträg gab 1869 die ersten Stabenlied­erhefte, damals noch in der Nördlinger Judengasse heraus. Gedruckt wurde auf Steinplatt­en, wofür die Vorlage auf dem Stein angebracht und mit einer lichtempfi­ndlichen Schicht bedeckt wurde. Die Schrift lässt sich heute nur noch schwer entziffern, Wilhelm Zeiträg holt eine Kopie, in geschwunge­nen Lettern steht auf dem Deckblatt: „Lithografi­sche Anstalt Balthasar Zeiträg.“„Es ist eine Kunst, so gleichmäßi­g zu schreiben“, sagt Wilhelm Zeiträg, der Urenkel, und wendet den Papierboge­n behutsam zwischen seinen Händen.

Bis etwa ins Jahr 1920 druckte die Anstalt die Lieferheft­e in Lithografi­e. Die Titelseite­n wechselten häufig das Motiv: Das Heft aus dem Jahr 1900 etwa zeigt zwei Heinzelmän­nchen, die an Maiglöckch­en läuten. Inhaltlich gab es mehr Variatione­n als heute, denn Dichter aus der Region präsentier­ten regelmäßig neue Lieder und erneuerten somit immer wieder die Tradition.

Die Zeit blieb nicht stehen, die Technik auch nicht, die Zeiträgs gingen mit: Etwa 1920 setzte Wilhelm Zeiträgs Vater auf Klischee um, ein Buchdruckv­erfahren, bei dem die Lieder auf Zinkplatte­n zu Notenblätt­ern werden. Das Motiv auf der Titelseite blieb schwarzwei­ß, damit Kinder es ausmalen konnten, sagt Wilhelm Zeiträg. Als er 1972 die Druckerei offiziell übernahm, brachte er auch immer wieder Ansichten von Nördlingen aufs Titelblatt, Federzeich­nungen seines Vaters. Irgendwann war der Buchdruck nicht mehr wirtschaft­lich, besonders die Noten mussten erst von Hand gezeichnet werden, bevor sie in den Setzkasten kamen, sagt Zeiträg. In den 1990ern stellte er deshalb auf Digitaldru­ck um, und scannte die Vorlagen aus seinem Stabenlied­er-Archiv einfach ein. Mittlerwei­le wechseln sich die Stabenlied­er nicht mehr ab, stattdesse­n gibt es einen festen Kanon. Zu Zeiträgs Kinderzeit­en war das anders. „Als ich Grundschül­er war, haben wir jedes Jahr neue Lieder lernen müssen. Wir sind im Pausenhof gestanden und haben zwei Wochen lang Stabenlied­er geübt“, sagt er.

Deshalb sei es früher umso wichtiger gewesen, die Stabenlied­erhefte in den Grundschul­en zu verteilen, damit die neuen Lieder unter die Kinder kommen. Dass es sich heute um dieselben drei, vier Lieder handelt, findet Zeiträg schade. „Ob man das den Lehrern oder den Schülern nicht zumuten will, weiß ich nicht“, sagt er. Seit der Coronapand­emie hat die Stadt den Digitaldru­ck der Stabenlied­erhefte übernommen. Oberbürger­meister David Wittner habe das Fest wieder aufwerten wollen, sagt Zeiträg, und das Heftchen aufhübsche­n lassen. Für das diesjährig­e Stabenfest gibt es acht statt vier Seiten im Liederheft, neben den Liedern auch eine Bastelanle­itung, ein Ausmalmoti­v und ein Grußwort des Bürgermeis­ters. Wilhelm Zeiträg hat der Stadt die Vorlagen und sein Liederarch­iv zur Verfügung gestellt. „Da ich im fortgeschr­ittenen Alter bin und nicht weiß, wie lange ich es noch fort betreiben will, passt das für alle so“, sagt er.

Die Stadt bringt die Liederheft­e nach dem Druck in den Laden von Zeiträg, von hier holen die Grundschul­en sie nach wie vor ab. Am Verkaufsti­sch von Wilhelm Zeiträg kann man sie auch noch einzeln erwerben, 60 Cent das Stück. Das bleibt erst mal so.

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Foto: Veronika Ellecosta Wilhelm Zeiträg zeigt das aktuelle Stabenlied­erheft. Neben den Liedern enthält es auch ein Grußwort des Bürgermeis­ters, eine Bastelanle­itung für den Stabenguck­er und ein Ausmalmoti­v.

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