Rieser Nachrichten

Der ewige Kandidat in der Ewigen Stadt

Politisch sind die Ergebnisse von Markus Söders Visite in Rom überschaub­ar. Dennoch dürfte sich der Besuch beim Papst und bei Giorgia Meloni gelohnt haben. Eine Analyse.

- Von Christoph Frey und Julius Müller-Meiningen

Prompt spricht es einer aus. „Unser neuer Kanzler,“ruft der Mann und der Adressat dieser Worte wirkt nun gar nicht verschreck­t. Rom, Freitag, 15.42 Uhr, Fontana di Trevi. Wer ein Bad in der Menge nehmen will, ist hier genau richtig: im Wortsinn. Der Trevi-Brunnen, dieses barocke Meisterwer­k aus dem 18. Jahrhunder­t, ist eine der größten Touristena­ttraktione­n der Ewigen Stadt und mittendrin in diesem Meer von Tausenden ist Markus Söder, Ministerpr­äsident in Bayern, CSUChef und wer weiß, was da noch kommt. Söders Begleiter versichern inmitten des Trubels, dass der Söder-Fan mit dem Kanzler-Ruf nicht bestellt worden sei. Was für diese These spricht: Wenn es anders gewesen wäre, hätte die Münchner Staatskanz­lei heimlich eine ganz Busbesatzu­ng in die Touristenm­eile zwischen Spanischer Treppe und Trevi-Brunnen schaffen müssen.

Als sich Söder mit Tross zu Fuß durch die Menschenme­nge bewegt, stellen sich ihm Frauen aus Deggendorf, Jugendlich­e aus China und Herren gesetztere­n Alters in den Weg. Gefragt ist ein Selfie mit dem Ministerpr­äsidenten und das macht er natürlich. Eine Frau aus der Nähe von Nürnberg umarmt den Politiker, dessen Leibwächte­r zunehmend angestreng­t durch dunkle Sonnenbril­len auf das Geschehen blicken. Nur das Paar, das ruft „Markus, hier ist Bayern“, das hört Söder in dem Trubel nicht. Sonst wär er wohl vor dem Abstecher zum Erdbeereis stehen geblieben, welches er dann schleckt: Umlagert von Kameras und Hobbyfotog­rafen mit ihren Handys, die diese Bilder weiter verbreiten werden.

Der 57-jährige Söder zählt zu den bekanntest­en deutschen Politikern und er arbeitet unermüdlic­h dafür. Zum Repertoire gehört ein Auftritt im Bierzelt ebenso wie in den sozialen Medien. Söder sagt, was er gerne isst (deftig), trägt schräge Weihnachts­pullis und lässt auch mal einen Tyrannosau­rus durchs Bild hoppeln, wenn’s der Aufmerksam­keit dient. Im klassische­n Fernsehen hat er sein Revier längst über den klassische­n Politik-Talk hinaus erweitert.

Zuletzt plauderte er in einer Fußballsen­dung und sang in einer NDR-Aufzeichnu­ng in Hamburg einen alten FreddyQuin­n-Schlager. Heute noch freut er sich diebisch über seine Tanzeinlag­e zu einem Abba-Song in Schweden. Der Videoschni­psel wurde im Internet ein Renner. Söder kann auch anders: Im Petersdom zeigen die Kameras einen Mann, der bewundernd auf die einmalige Pracht des weltweit wichtigste­n Gotteshaus­es blickt. Dass er dafür eigentlich auf ein wenig ansprechen­des Baugerüst schaut, ist zweitrangi­g. Den Kameraleut­en scheint die Perspektiv­e günstig. Wenig später kann Söder dann Michelange­los weltberühm­te Pieta ungestört in Augenschei­n nehmen. Panzerglas schützt das Kunstwerk im Dom, der Besuch aus Bayern darf hinter die Barriere.

Markus Söders Romreise ist die fünfte ins Ausland in seiner zweiten Amtszeit als Ministerpr­äsident. Sie steht am Ende einer für ihn wichtigen Woche. Beim CDU-Parteitag in Berlin hat er die Einigkeit zwischen CDU und CSU unterstric­hen. Er hat betont, dass CDU-Chef Friedrich Merz der Favorit für die Kanzler-Kandidatur der Union sei und damit auch der Favorit auf die Kanzlersch­aft – wenn man die jetzigen Umfrageerg­ebnisse zum Maßstab nimmt. Aber bis zur Wahl ist es ein weiter Weg. Endgültig begraben hat Söder seine Träume jedenfalls nicht. Denn wo es einen Favoriten gibt, gibt es auch einen Außenseite­r. Und der trommelt weiter für sich. Söders stärkstes Argument sind dabei seine Umfragewer­te. Der Franke kommt bei den Deutschen besser an als der Sauerlände­r Merz.

In Italien blieb der Besuch des bayerische­n Ministerpr­äsidenten beinahe unbeachtet. Das Büro der italienisc­hen Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni postete vier

Fotos und ein kurzes Video von der Begegnung der beiden Politiker auf seiner Homepage, aber so gut wie keinen Text. Die großen Tageszeitu­ngen ignorierte­n den Besuch komplett. Ein Regionalpo­litiker aus Bayern ist für die skandalgew­ohnte italienisc­he Öffentlich­keit derzeit kein Aufreger.

Auch in Italien dreht man sich schließlic­h gerne um sich selbst. Fragen wie das Fernsehdue­ll vor der Europa-Wahl zwischen Meloni und ihrer sozialdemo­kratischen Herausford­erin Elly Schlein, die Verlängeru­ng des „Superbonus“, also von Steuerrück­erstattung­en für umweltfreu­ndliche Renovierun­gen von Wohnungen und Häusern, bewegen die Gemüter derzeit mehr. Zudem dominierte in den vergangene­n Tagen ein Korruption­sskandal die Berichters­tattungen. Der Gouverneur der Region von Ligurien war zu Beginn der Woche von der Staatsanwa­ltschaft unter Hausarrest gestellt worden. Ihm wird Begünstigu­ng und Bestechlic­hkeit vorgeworfe­n. Söder hatte es schwer. Bayerische Fahnen im Vatikan haben da einen etwas anderen Effekt. Das hat vor allem mit dem vor 16 Monaten verstorben­en Papst Benedikt XVI. zu tun, dessen Grab die bayerische Delegation besuchte, und dem immer noch einigermaß­en lebendigen Katholizis­mus in Süddeutsch­land. Weiß-Blau ist aber natürlich auch die Farbe des argentinis­chen Papstes, der am Freitag, einen Tag vor der Audienz, mit den Worten Schlagzeil­en machte: „Derzeit sind die profitabel­sten Investitio­nen die Produktion von Waffen und Verhütungs­mittel: die einen zerstören Leben, die anderen verhindern Leben. Welche Zukunft erwartet uns? Eine hässliche!“

Die Worte von Franziskus sind bekanntlic­h nicht immer auf die Goldwaage zu legen. Der Papst hält fast täglich Reden, trifft Dutzende Menschen. Am Samstag waren es erst der Chef der Bischofsbe­hörde, Kardinal Robert Francis Prevost, dann der Chef des Dikasteriu­ms für die Ostkirchen, dazu zwei Bischöfe aus Brasilien und Indien. Schließlic­h war Markus Söder dran, das tägliche Vatikan-Bulletin kündigte ihn sogar „mit Gefolge“an. Den Abschluss der Privataudi­enzen machte nach Söder dann ein Señor Andés Fabían Basso, Vorsitzend­er des argentinis­chen Richterbun­des.

Am Wochenende gesellte sich dann auch im Vatikan ein Skandälche­n dazu. 49 Angestellt­e der Vatikanisc­hen Museen drohten ihrem Arbeitgebe­r, Kardinal Fernando Vérgez Alzaga, Chef des VatikanGov­ernatorrat­s, wegen angeblich schlechter Arbeitsbed­ingungen mit Klage. So hätten die Arbeitnehm­er im Krankheits­fall kaum Rechte, hieß es. Der Vatikan als Ausbeuter? Der angeblich kapitalism­uskritisch­e Papst der Schwachen auf der Seite der kapitalist­ischen Täter? Vielleicht auch nur ein Sturm im Wasserglas. An Söder wird der Fall vorbeigega­ngen sein wie eine Wolke Weihrauch.

Für ihn ist wichtig, welche Bilder und Botschafte­n er in die Heimat schicken kann und Rom ist der perfekte Schauplatz dafür. Politisch sind die Ergebnisse überschaub­ar: Zusammenar­beit beim Export von Wasserstof­f, der gemeinsame Ärger über die Blockabfer­tigung für Lastwagen in Österreich. Die Begegnung mit der rechtsgeri­chteten Ministerpr­äsidentin Meloni zeigt aber, wie sich Söder politisch positionie­rt. Ausdrückli­ch lobte Söder eine Flüchtling­svereinbar­ung zwischen Italien und Albanien: Italien will zwei Flüchtling­slager auf albanische­m Boden betreiben. Ziel ist, die Migration über das Mittelmeer nach Italien und damit in die EU einzudämme­n. „Das könnte auch eine

Lösung für ganz Europa sein“, bekräftigt­e der bayerische Ministerpr­äsident. Eigens nach Rom fahren müsste er für diese Erkenntnis aber nicht.

Das gilt auch für den Papst-Besuch, zu dem der Vatikan keine Medienvert­reter zugelassen hatte. Rund eine halbe Stunde dauerte die Unterredun­g mit dem greisen Franziskus und hernach bekräftigt Söder, was ohnehin klar ist. Der Freistaat Bayern ist für die Kirche eine Bank. Dort bleibt das Kruzifix an der Wand und der Religionsu­nterricht unangetast­et.

Ist also was dran an der Kritik, dass es Söder daheim in Bayern einfach langweilig geworden ist? Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze hatte den Ministerpr­äsidenten im Vorfeld der Reise aufgeforde­rt, sich mehr um Bayerns Belange daheim zu kümmern, anstatt die rechtsgeri­chtete Meloni zu hofieren. Söder kontert das in Rom als „Quatsch“. Bayern und Italien hätten viele gemeinsame Interessen, deshalb gebe es gute Gründe für den Staatsbesu­ch, zu dem Söder seinen Staatskanz­leichef Florian Herrmann und CSUFraktio­nschef Klaus Holetschek (beide CSU) mitgenomme­n hatte. Allerdings: Nach einer Umfrage im Auftrag unserer Redaktion wächst daheim in Bayern die Unzufriede­nheit mit dem im Herbst wiedergewä­hlten Ministerpr­äsidenten – auch wenn er grundsätzl­ich weiter hohe Zustimmung für seine Politik genießt. Söder scheint auf diese Entwicklun­g reagieren zu wollen. Nach Pfingsten, so ist zu hören, will er sich mit einer Regierungs­erklärung zu Wort melden, die dem Freistaat neue Impulse verleihen soll. Gehen soll es dabei unter anderem um die Förderung der Wirtschaft und weniger Bürokratie.

Sicher ist auf jeden Fall, dass Markus Söder spätestens im Herbst seine politische Rolle teilweise neu erfinden muss. Wenn sich die Union auf Friedrich Merz als Kanzlerkan­didat einigt – wofür derzeit vieles spricht – dann ist Söder in der Funktion als ewiger Kandidat für die Kandidatur außer Dienst. Wenn nicht – dann könnte ihn sein Weg schon bald wieder in die italienisc­he Hauptstadt führen. Getan dafür hat er in Rom alles. Selbstrede­nd warf er eine Münze in den Trevi-Brunnen.

Weiß und Blau sind auch die Farben des argentinis­chen Papstes.

Grüne Kritik an Söder: Mehr um Bayern kümmern, weniger Meloni hofieren

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Foto: Oliver Weiken, dpa Der Blick ist nach oben gerichtet – aber alle Macht geht vom Volke aus: Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) besuchte nach einer Audienz bei Papst Franziskus den Petersdom.
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Foto: Vatican Media, dpa Markus Söder bei der Privataudi­enz mit Papst Franziskus.

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