Ist Deutschland titeltauglich?
Der Kader für die Europameisterschaft steht fest. Julian Nagelsmann verzichtet auf einige erfahrene Leute. Das muss nicht schlimm sein. Eines aber darf nicht passieren.
Julian Nagelsmann hat sich festgelegt. Der deutsche Fußball-Nationaltrainer hat bei der Nominierung seines EM-Kaders das Leistungsprinzip zum Teil ausgesetzt. Dieses Vorgehen ist nicht unüblich, birgt neben einigen Chancen aber auch Gefahren. Auch seine Vorgänger legten nicht immer Wert darauf, jene Spieler zu berufen, die gerade am besten in Form sind. Hansi Flick und Joachim Löw taten dies aber vor einem anderen Hintergrund. Statt junger Talente nahmen sie gerne noch jene Spieler mit zu Turnieren, von denen sie sich aufgrund ihrer Erfahrung einen Mehrwert für das Team versprachen. Was ihnen unangenehme Entscheidungen ersparte.
Nagelsmann hat nun mit Mats Hummels, Julian Brandt und Leon Goretzka drei Profis nicht nominiert, die erfahren und gut in Form sind. Sie passen zum einen nicht in das vom Trainer präferierte schnelle Spiel, zum anderen sorgen Führungsspieler auf der Bank nur selten für Ruhe rund ums Team. Dass der Kader stark genug ist, um zum erweiterten Favoritenkreis bei der Heim-EM zu zählen, hat er bei den Siegen gegen Frankreich und Holland im März gezeigt. Die klare Rollenzuweisung des Trainers hat ihre Vorzüge. Es gibt nur 13 bis 14 Spieler, die ernsthaft um einen Stammplatz konkurrieren. Die weiteren Akteure sind mit ihren jeweiligen Rollen zufrieden, ohne es sich gemütlich zu machen. Allerdings hat das Team bei den vorangegangenen Spielen eben auch offenbart, dass es an absoluter individueller Klasse fehlt, um Mannschaften zu kontrollieren, die einen klaren Plan verfolgen. Auch das ist kein Ausschlusskriterium für eine erfolgreiche EM. Die Weltmeister von 2014 kaschierten manche Schwäche durch energisches und planvolles Auftreten. Löw hatte in Mario Götze und André Schürrle Männer für bestimmte Minuten. Erik Durm und Kevin Großkreutz hatten sich von Beginn an damit arrangiert, als Top-Trainingspartner zu dienen. Während eines Turniers kommt es nicht nur auf sportliche Qualitäten an. Falls Nagelsmann aber gezwungen sein wird, wegen Verletzungen und Sperren Führungsspieler zu ersetzen, wird ihm das aufgrund seiner Kader-Zusammenstellung schwerfallen. Diese Mannschaft kann für sportlich wunderbare Wochen sorgen – wenn sie nicht auf zu viele Eventualitäten reagieren muss.