Rieser Nachrichten

„Manchmal sollten wir Grüne ein bisschen weniger besserwiss­erisch reden“

Die Parteivors­itzende Ricarda Lang ist immer wieder Hass und Hetze ausgesetzt. Sie spricht darüber, wie sie damit umgeht – und welche Unterstütz­ung sie sich für ehrenamtli­che Kommunalpo­litiker wünscht.

- Interview: Michael Czygan

Frau Lang, in einem Porträt über Sie ist zu lesen, Sie fänden die Fragen, wie oft jemand fliegt oder Auto fährt, ob er oder sie Fleisch oder nur vegane Produkte isst oder beim Schreiben gendert, eher nebensächl­ich. Stimmt es also gar nicht, dass die Grünen da strikte Vorgaben machen?

Ricarda Lang: Nein, das stimmt überhaupt nicht. Wir haben noch nie irgendjema­ndem vorgeschri­eben, was er essen soll oder wie er mobil sein soll. Wir wollen eine bessere Politik, nicht einen besseren Menschen.

Was heißt das?

Lang: Ich finde es wichtig, den Fokus wegzulenke­n von individuel­len Konsumfrag­en hin zu wirtschaft­lichen Strukturfr­agen. Wenn ich über Klimaschut­z rede, dann rede ich über Jobs, dann rede ich über neue Technologi­en, dann rede ich über den Ausbau der erneuerbar­en Energien, also eigentlich über die Erneuerung unseres Wohlstands. Und ich rede auch über Freiheit. Ich bin selbst auf dem Land aufgewachs­en. Für mich wäre es damals ein großer Freiheitsg­ewinn gewesen, wenn der Bus oder die Bahn häufiger gefahren wären.

Warum aber dann immer dieser Eindruck, die Grünen wollten uns den Lebensstil vorschreib­en?

Lang: Manchmal wird der Eindruck natürlich auch ganz bewusst geschürt. Wenn Markus Söder in einer Bierzeltre­de behauptet, die Grünen wollten irgendjema­ndem das Fleisch verbieten, dann weiß er selbst, dass das Schmarrn ist. Trotzdem sollten auch wir Grüne darüber nachdenken, wie wir auftreten. Wir sollten manchmal weniger technokrat­isch reden und vielleicht manchmal auch ein bisschen weniger besserwiss­erisch. Denn am Ende machen wir nicht Politik, weil wir Dinge besser wissen, sondern weil wir das Leben der Menschen verbessern wollen.

Die Erzählung, der Wirtschaft­sminister der Grünen hat uns in kürzester Zeit aus der Abhängigke­it von Putins Gas geführt, die wär’s doch. Warum verfängt die nicht?

Lang: Ich erlebe schon, dass viele Menschen das so sehen. Und dass sie dankbar dafür sind, dass Robert Habeck mit dem Politiksti­l der Großen Koalition gebrochen hat. Der sah ja so aus: Probleme nur bestaunen und den Kopf in den Sand stecken – so nach dem Motto „Wird schon irgendwie werden“. Wir stehen für einen anderen Stil: Probleme lösen, auch in schwierige­n Zeiten. Wir haben es nicht nur geschafft, unabhängig von russischem Gas zu werden. Wir haben gleichzeit­ig die erneuerbar­en Energien in einem unvorstell­baren Tempo ausgebaut – und damit legen wir das Fundament für eine starke Wirtschaft und gute Jobs.

Dennoch, die Begeisteru­ng für die Grünen scheint abzunehmen. Zu Ihrer Kundgebung etwa in der Grünen-Hochburg Würzburg kamen gerade mal 150 Zuhörerinn­en und Zuhörer. Das muss Ihnen doch zu denken geben.

Lang: Nein, der Wahlkampf geht ja gerade erst los. Und wichtig ist nicht nur, wer zu den Wahlverans­taltungen kommt. Ich habe in Würzburg Haustürwah­lkampf gemacht, mit Menschen am Wahlkampfs­tand gesprochen und mich mit dem fränkische­n Weinbauver­band getroffen. Ich will ins Gespräch kommen. Auch Menschen erreichen, die sich nicht so sehr für Politik interessie­ren, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen. Vielleicht neigen wir in Zeiten, in denen es viele Angriffe auf Politikeri­nnen und Politiker gibt, manchmal dazu, uns zurückzuzi­ehen und eher mit Menschen zusammenzu­kommen, die die gleiche Meinung haben. Aber genau das sollten wir nicht tun, sondern den Menschen zeigen: Unsere Hand bleibt ausgestrec­kt, unser Ohr offen.

Sie haben die Angriffe angesproch­en. Warum treffen diese vor allem die Grünen? Nicht zuletzt Sie selbst sind sehr viel Hass und Häme, aber auch Bedrohunge­n in den sozialen Medien ausgesetzt.

Lang: Wir Grüne stehen deshalb so im Fokus, weil wir uns um die Lösung von Problemen kümmern. Das wollen die rechtsextr­emen Brandstift­er nicht, sie leben und profitiere­n von Ängsten und Verunsiche­rung. Sie verachten unsere Demokratie, weil Kern davon ist, dass man gemeinsam Lösungen findet und Kompromiss­e schließt. Wir Grüne sind die Partei, die genau das in ihrem Alltag lebt, innerhalb der Regierung, aber auch in vielen kommunalen Parlamente­n. Die Rechten lehnen uns ab, weil wir uns aus der Mitte der Gesellscha­ft für die Demokratie einsetzen, weil wir dieses Land zusammenha­lten. Richtig ist aber auch: Viele, die heute schreien, die Grünen müssen weg, haben vor ein paar Jahren geschrien, Merkel muss weg, und die schreien in ein paar Jahren vielleicht ganz andere Dinge. Das heißt, Demokraten, die sich jetzt ausruhen und sagen, der Hass trifft doch nur die Grünen, und manchmal selbst noch Öl ins Feuer gießen, die sägen mit an dem Ast, auf dem sie sitzen.

Sie geben sich sehr kämpferisc­h, aber fasst Sie das gar nicht an, wenn man Sie persönlich angreift?

Lang: Es gibt natürlich Momente, da geht einem der Hass sehr nahe. Ich habe mittlerwei­le gelernt, abzuschalt­en, vieles nicht zu sehen, mich nicht darauf einzulasse­n. Aber natürlich ist das immer ein Spannungsf­eld. Ich will nicht aufhören, hinzuhören – auch wenn es Kritik gibt, auch wenn es mal hart geäußerte Kritik gibt. Es ist eine Herausford­erung, harte Kante gegen Rechtsextr­emismus zu zeigen und gleichzeit­ig selbst nicht zu verhärten, sondern ansprechba­r zu bleiben, Mensch zu bleiben.

Schwierig, oder?

Lang: Ich mache mir aktuell weniger Sorgen um meine Person, ich habe einen guten Schutz durch die Polizei und das BKA. An dieser Stelle vielen Dank an die Frauen und Männer, die diese Arbeit leisten. Was mir zunehmend Sorge bereitet, ist, dass die Gewalt nicht nur Politiker aus der ersten und der zweiten Reihe trifft, sondern Kommunalpo­litiker, Ehrenamtli­che, die ihre Freizeit für die Demokratie einbringen. Für die haben wir eine Schutzvera­ntwortung. Denn wenn am Ende niemand mehr für ein kommunales Amt kandidiere­n möchte, wenn niemand mehr Wahlplakat­e aufhängen will oder wenn niemand mehr im Freundeskr­eis widerspric­ht, wenn hetzerisch­e Parolen geäußert werden, dann erodiert wirklich etwas in unserer Demokratie.

Braucht es Ihrer Meinung nach also schärfere Gesetze?

Lang: Man macht es sich zu einfach, wenn man jetzt einfach nur eine Verschärfu­ng der Gesetze fordert und denkt, damit ist es getan. Gewalt steht heute schon unter Strafe. Was es aber durchaus braucht, ist eine stärkere Polizeiprä­senz in der Fläche, damit die Gesetze auch Anwendung finden. Damit klar ist: Gewalt und Hetze gegen Menschen ziehen Konsequenz­en nach sich. Ich erwarte mir für den Schutz von Ehrenamtli­chen, von Kommunalpo­litikern, gerade jetzt im Wahlkampf, Konzepte von der Innenminis­terkonfere­nz. Gut, dass sie getagt hat, aber es braucht auch Ergebnisse. Und wir müssen die digitalen Plattforme­n mehr in die Verantwort­ung nehmen. Denn wir wissen, viel Hass entsteht im Netz. Aber immer wieder führen digital geäußerte Worte zu Gewalt im analogen Leben.

Sie haben von den geistigen Brandstift­ern gesprochen, die die Demokratie gefährden – und vor allem die AfD gemeint. Sollte die Partei verboten werden?

„Wenn Markus Söder in einer Bierzeltre­de behauptet, die Grünen wollten irgendjema­ndem das Fleisch verbieten, dann weiß er selbst, dass das Schmarrn ist.“

Lang: Es gibt ja jetzt das neue Urteil aus Münster, das noch mal klar bestätigt, dass die AfD als Ganzes als rechtsextr­emer Verdachtsf­all geführt werden darf. Das zeigt einmal mehr, dass diese Partei geprägt ist durch verfassung­sfeindlich­e Bestrebung­en. Da finde ich es richtig, dass wir als Politik immer wieder zeigen: Unsere Demokratie ist wehrhaft, sie hat Zähne. Da gibt es unterschie­dliche Instrument­e und wir schauen uns alle an.

Also auch ein Parteienve­rbot?

Lang: Die AfD ist eine Gefahr für unsere Demokratie. Gleichzeit­ig ist klar, dass es sehr hohe Hürden für ein Verbotsver­fahren gibt. Entspreche­nd müsste ein Verfahren gut vorbereite­t sein und die Argumente sowohl für als auch gegen ein Verbot gewissenha­ft abgewogen werden.

 ?? Foto: Thomas Obermeier ?? Grünen-Chefin Ricarda Lang will sich von Rück- und Querschläg­en nicht entmutigen lassen: „Wir wollen eine bessere Politik, nicht einen besseren Menschen.“
Foto: Thomas Obermeier Grünen-Chefin Ricarda Lang will sich von Rück- und Querschläg­en nicht entmutigen lassen: „Wir wollen eine bessere Politik, nicht einen besseren Menschen.“

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