Rieser Nachrichten

„Die Bayern lieben den Tscharlie“

Vor 50 Jahren liefen erstmals die „Münchner Geschichte­n“von Helmut Dietl im Fernsehen. Wie Hauptdarst­eller Günther Maria Halmer heute über die Figur denkt, die er so unnachahml­ich spielte.

- Interview: Josef Karg

Herr Halmer, was fällt Ihnen ein, wenn Sie auf die Serie „Münchner Geschichte­n“zurückblic­ken?

Günther Maria Halmer: Ich bin doch sehr überrascht, dass man mich als alten Mann, der inzwischen über 80 ist, auch nach 50 Jahren noch auf der Straße in München als Tscharlie anredet. Diese Leute waren teilweise noch gar nicht geboren, als die Serie lief.

Sie spielten Tscharlie als unkonventi­onellen Charakter auf der Suche nach dem schnellen Glück. Gibt es solche Typen heute noch?

Halmer: Ich glaube nicht. Mit dieser Figur hat Helmut Dietl einen Nerv gerade bei bayerische­n Männern getroffen. Mir ist aufgefalle­n, dass viele junge Bayern sich mit dem Tscharlie identifizi­eren und glauben, dass sie ihm ähneln.

Die jungen Männer wollen Bonvivants sein.

Halmer: Ich finde zwei Dinge am Tscharlie interessan­t. Erstens die „Dreivierte­lreife“, die ich heute, so glaube ich, trotz meiner 80 Jahre immer noch habe. Und mir gefällt, dass er nicht an ein Ziel im Leben glaubt. Denn er denkt, man verbaut sich viele andere Chancen, wenn man sein Leben zielgerich­tet steuert. Sein Motto lautet: Wenn etwas nicht klappt – egal –, dann macht man etwas anderes. Ich kann das auch über mein Leben sagen.

Sie fühlten sich als Taugenicht­s, flogen vom Gymnasium. Wie viel Tscharlie steckte in Ihnen?

Halmer: Ich glaube schon, dass er sehr meiner damaligen Mentalität entsprach. Schwierig war, dass man mit der Rolle keinen Reichtum anhäufen konnte, denn es waren nur neun Folgen. Und für eine Woche hat man damals 5000 Mark bekommen. Insofern war der Ruhm größer als der finanziell­e Gewinn.

Aber es war der Startschus­s für Ihre Karriere.

Halmer: Ja, aber trotzdem war es auch ein bisschen schwierig. Denn einerseits hat mich die Serie bekannt gemacht, aber dadurch wurde ich auch in eine Schublade gesteckt, die mir zu Beginn meiner Karriere nicht gepasst hat. Denn plötzlich war ich der Münchner Strizzi und bekam dementspre­chende Angebote, nur dass die Drehbücher viel schlechter waren als die vom Dietl. Und andere Rollen kamen zunächst nicht. Es war also nicht leicht, sich davon zu lösen. Da musste auch meine Familie Durchhalte­willen zeigen. Ich habe damals bei Filmangebo­ten grundsätzl­ich gefragt: „Ist es bayerisch?“Lautete die Antwort ja, habe ich abgesagt.

Ab Sonntag wird die Serie im BR wiederholt. Haben Sie sie sich selbst jemals wieder angeschaut?

Halmer: Manchmal schau ich sie aktuell auf dem Handy an. Zwar nicht die ganzen Folgen, aber ich schnuppere gerne noch mal in die Atmosphäre von damals rein.

Es ging zum Beispiel um die Veränderun­g der Stadtteile. Bis heute wird ja alles teurer – und der Charme Münchens schwindet.

Halmer: Ja, es ist alles noch härter geworden. Ein Tscharlie von damals könnte in München wahrschein­lich nicht mehr existieren. Diese gemütliche­n kleinen Balkonszen­en mit Therese Giehse, wo könnte das heute noch stattfinde­n? Auch die Langsamkei­t von damals ist verloren gegangen. Selbst einen Monaco Franze gäbe es in seiner Form nicht mehr.

Wie wäre denn der Tscharlie 2.0?

Halmer: Der wäre vielleicht wie dieser Typ aus Wien, der KarstadtPl­eitier René Benko, also eine knallharte Version des Tscharlie. Ein Zyniker und nicht wie Tscharlie ein Romantiker. Heute müssen bei solchen Typen Gefühle hintansteh­en, sie müssen ganz auf Erfolg fixiert sein.

Sie haben nur ein Mal mit Dietl gearbeitet. Warum?

Halmer: Nein, eigentlich zweimal. Wir haben noch an den Kammerspie­len miteinande­r gearbeitet. Das war keine gütliche Erfahrung für uns beide. Wir haben uns verkracht, denn Dietl konnte kein Theater. Er hat nicht begriffen, dass die Dinge auf der Bühne aus der Stimmung heraus entstehen. Das habe ich ihm mehrmals vorgeworfe­n. Dann gab ein Wort das andere. Von diesem Streit haben wir uns beide lange Zeit nicht mehr erholt. Wir waren wie verfeindet­e Brüder. Aber wir sind uns bis zum Tode vertraut geblieben, auch wenn wir längere Zeit keinen Kontakt hatten.

Kurz vor seinem Tod haben Sie Dietl aber noch einmal getroffen.

Halmer: Ja, zu seinem 70. Geburtstag hat meine Frau gesagt, dass ich Dietl einen Brief schreiben solle. Ich weigerte mich anfangs, weil er mir ja zu meinem Geburtstag auch nicht geschriebe­n hatte. Dann schrieb ich doch und es kam sofort seine Antwort. Er hatte damals schon öffentlich gemacht, dass er Lungenkreb­s hat. Ich habe ihn also besucht, und wir zwei alten Männer saßen da und haben noch einmal unsere Jugend und den Tscharlie aufleben lassen. Das war rührend und traurig zugleich, denn die Figur war ja ein Kind unserer beiden Charaktere und unserer Lust, die Welt zu rocken.

War der Tscharlie Ihre Lebensroll­e?

Halmer: Ja, das kann man aber selbst oft gar nicht erkennen, sondern man bemerkt es an der Reaktion

der Menschen. Und dieser Tscharlie hat die Bayern ins Mark getroffen. Der hat ihnen nicht nur gefallen, sondern es war mehr als das: Die Bayern lieben diese Figur. Insofern ist das schon eine andere Rolle als meine anderen, die man halt konsumiert hat.

Sind Sie Ihrem Lebensmott­o „Der Weg ist das Ziel“immer noch treu?

Halmer: Das würde ich schon sagen. Denn in meinem Alter lebe ich im Grunde ohne Sorgen in den Tag hinein. Wenn ich also ein Angebot bekomme, ist das schön. Wenn nicht, fahre ich nach Italien oder fliege nach Asien und mache Ayurveda. Und ich spiele ohne großen Ehrgeiz Golf. Letzte Woche war ich mit den früheren Bayern-Stars Bulle Roth und Sepp Maier unterwegs. Das war lustig.

 ?? Fotos: BR/Intertel Television GmbH; Ursula Düren, dpa ?? Unvergesse­n: Günther Maria Halmer als „Tscharlie“in einer Szene der Kultserie „Münchner Geschichte­n“.
Fotos: BR/Intertel Television GmbH; Ursula Düren, dpa Unvergesse­n: Günther Maria Halmer als „Tscharlie“in einer Szene der Kultserie „Münchner Geschichte­n“.

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