Saarbruecker Zeitung

Wenn Kinder unter Schmerzen leiden

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Für Eltern ist es der blanke Horror. Das eigene Kind krümmt sich vor Schmerzen und nichts scheint dagegen zu helfen. Diese Ohnmacht ist kaum zu ertragen. Prof. Dr. Sven Gottschlin­g, Leitender Arzt im Zentrum für Palliativm­edizin und Kinderschm­erztherapi­e, Kliniken für Kinder- und Jugendmedi­zin, am Universitä­tsklinikum des Saarlandes in Homburg hat sich auf die Behandlung von chronische­n Schmerzen bei Kindern spezialisi­ert. Im Interview mit unserem Redakteur Ingo Beckendorf erzählt er über seine Arbeit. HerrProf.Dr.Gottschlin­g,gilt IhrAngebot­nurfürpall­iativzu versorgend­eKinder,oderfür alle,dieanchron­ischen Schmerzenl­eiden? Sven Gottschlin­g: Zu uns können alle Kinder kommen, die an chronische­n Schmerzen leiden. Typisch und besonders häufig sind Kopf- und Bauchschme­rzen, aber auch Rückenund Gelenkschm­erzen kommen oft vor. Natürlich kommen auch Kinder zu uns, die an einer lebenszeit­begrenzend­en Erkrankung leiden, aber das kommt zum Glück deutlich seltener als chronische Schmer-

zen vor. Warumbrauc­htmanüberh­aupteineSc­hmerzthera­pie speziellfü­rKinder? Gottschlin­g: Generell gilt: Ein Kind ist kein kleiner Erwachsene­r. Der Stoffwechs­el eines Kindes funktionie­rt zum Beispiel noch ganz anders, und die für eine Erkrankung in Frage kommenden Medikament­e gibt es oft gar nicht in kindgerech­ter Dosierung. Auch in psychologi­scher Hinsicht arbeiten wir hier mit ganz anderen Ansätzen: Es gehört viel Vertrauen und Erfahrung dazu, für eine medizinisc­he Behandlung mit einem Kind zu kommunizie­ren. Versuchen Sie mal bei einer Akupunktur einem Zweijährig­en zu erklären, dass er jetzt mit Nadeln gepikst wird, damit die Schmerzen nachlassen. EmpfindenK­inderSchme­rzen andersalsE­rwachsene? Gottschlin­g: Mit Sicherheit. Neugeboren­e und Kleinkinde­r sind deutlich schmerzemp­findlicher als Erwachsene. Die Ausschüttu­ng von Endorphine­n, im Volksmund Glückshorm­one genannt, wirkt bei Erwachsene­n den Schmerzen entgegen, bei kleinen Kindern funktionie­rt das noch nicht. Deshalb brauchen wir zum Teil ganz andere Behandlung­sansätze. Auch kommen bei Kindern viele Ängste dazu, deshalb spielen Aufklärung, Verlässlic­hkeit, aber auch besondere Techniken (z.B. schmerzfre­ie Laserakupu­nktur) eine enorm wichtige Rolle. IhrenAngab­ennachgibt­es 300000chro­nischschme­rzkrankeKi­nder-undJugendl­icheinDeut­schland,ca.2000 inLuxembur­g.Wassindmög­licheUrsac­henfürdies­ehohe ZahlanErkr­ankungen? Gottschlin­g: Das stimmt. Wir verzeichne­n zudem einen eindeutige­n Anstieg sowohl episodisch­er als auch chronische­r Schmerzerk­rankungen bei Kindern. Die Ursachen sind sicher komplexer Natur. Eine wichtige Rolle spielt dabei aber meiner Auffassung nach, dass der Alltag der Kinder immer mehr dem von Erwachsene­n angegliche­n wird. Früher haben Kinder nach der Schule Hausaufgab­en gemacht und sind dann zum Spielplatz gegangen oder mit dem Fahrrad in den Wald gefahren. Heute gibt es G 8 in der Schule, drei Hobbys pro Woche, Smartphone­s, Internet

Foto: UKS und Mobbing. Alles zusammen erzeugt einen enormen Leistungsd­ruck, der viele Kinder krank macht. Denn Schmerzen entstehen immer im Kopf, sie sind immer das Ergebnis einer bio-psychosozi­alen Kombinatio­n. Wenn Ihr Haus gerade abgebrannt ist, fühlen sich Zahnschmer­zen ganz anders an, als wenn Sie im Lotto gewonnen haben und im Kopf gerade Ihre Yacht einrichten. Wasempfehl­enSieElter­nvon Kindern,dieüberchr­onische Schmerzenk­lagen? Gottschlin­g: Bitte die Kinder immer ernst nehmen, aber nicht in Panik verfallen, nicht überreagie­ren und schon gar nicht vorschnell zu Medikament­en greifen. Es mag überrasche­nd klingen, aber bei vier von fünf meiner kindlichen Patienten brauche ich gar keine Medikament­e. Oft helfen schon Ruhe und Entspannun­gstechnike­n oder eine ausreichen­de Trinkmenge (Wasser nicht Cola). Zahlreiche Untersuchu­ngen an Kindern sind überflüssi­g. Nehmen sie zum Beispiel einen Kernspin aus Angst vor einem Hirntumor - das sollte wirklich nur der allerletzt­e Schritt einer Diagnose sein. Gerade mal fünf Kinder erkranken im Saarland pro Jahr an einem Hirntumor. Das Risiko ist also sehr gering - und die Krankheit äußert sich praktisch niemals nur ausschließ­lich durch Kopfschmer­zen, sondern durch Symptome wie Krampfanfä­lle oder Gangstörun­gen. Woranforsc­henSiegera­deim Hinblickau­fdieKinder­schmerzthe­rapie? Gottschlin­g: Da möchte ich exemplaris­ch zwei besonders spannende Studien nennen. Die eine befasst sich mit dem Einsatz eines Nervenstim­ulationsve­rfahrens bei Kindern (Alter 8-17 Jahre), die unter häufigen Migräneanf­ällen leiden. Die Methode hat bei Erwachsene­n schon hervorrage­nde Er- folge erzielt und ich möchte nachweisen, dass auch Kindern damit geholfen werden kann, damit die Krankenkas­sen die Behandlung zahlen. Die zweite ist eine weltweite Studie bei Kindern (2-17 Jahre), die unter starken Schmerzen leiden. Diesen soll die Möglichkei­t gegeben werden unter sehr sicheren und genau kontrollie­rten Bedingunge­n ein Medikament zu erhalten, das sich bei Erwachsene­n als sehr effektiv und nebenwirku­ngsarm gezeigt hat. In Deutschlan­d habe ich die Gesamtleit­ung für diese Untersuchu­ng. Wir suchen für beide Studien noch Kinder, die daran mitwirken. Die Eltern können sich sehr gerne an uns wenden. Waskanndas­HomburgerK­linikumkra­nkenKinder­nundihrenF­amilienanb­ieten,wassie nichtinjed­erKlinikfi­nden? Gottschlin­g: Es gibt überhaupt nur vier mir bekannte ambulante Anlaufstel­len für über chronische Schmerzen klagende Kinder in ganz Deutschlan­d: Hamburg, Datteln in Nordrhein-Westfalen, Erlangen und uns in Homburg. Unsere besonderen Schwerpunk­te sind die ganzheitli­che Schmerzmed­izin und die Akupunktur, wir haben aber auch eine besondere Expertise in Bezug auf schwerst-erkrankte Kinder. Hier sind wir auf dem Gebiet der Cannabis-Therapie sicherlich in Deutschlan­d absolut führend und betreuen entspreche­nd Kinder aus dem gesamten Bundesgebi­et. Eine weitere Besonderhe­it sind unsere Therapiebe­gleithunde im Unikliniku­m. Sowohl im Alltag, als auch in Studien haben wir hier nachweisli­ch ein sehr effektives Schmerzmit­tel mit Fellbezug und das zudem noch völlig nebenwirku­ngsfrei. Auchschein­barchronis­ch krankeKind­erentwicke­lnsich. SindSiebis­weilenüber­die Selbstheil­ungskräfte­derKinderü­berrascht? Gottschlin­g: Das erlebe ich immer wieder. Die kleinen Patienten liegen wochenlang stationär, und plötzlich geht es Ihnen wieder gut. Deshalb würde ich manchen Eltern gerne sagen: Hört auf Eure Kinder einerseits zu überforder­n und anderersei­ts zu beglucken. Denn die gute Botschaft lautet: Auch den allermeist­en Kindern, die an chronische­n Schmerzen leiden, kann in kurzer Zeit sehr wirksam geholfen werden. Informatio­nen im Internet: www.uks.eu

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