Saarbruecker Zeitung

Der Arzt der letzten Hoffnung

Wie ein Marburger Mediziner mysteriöse­n Krankheite­n auf den Grund geht – Patienten aus ganz Deutschlan­d

- Von kna-Mitarbeite­rin Katharina Dockhorn

Menschen mit seltenen Erkrankung­en haben oft lange Leidensweg­e hinter sich, bis sie endlich wissen, was ihnen fehlt. Ein Arzt in Marburg hat sich auf besonders knifflige Fälle spezialisi­ert.

Köln. Professor Jürgen Schäfer ist für viele Patienten die letzte Hoffnung. An der Uniklinik Marburg hat der Mediziner ein Zentrum für die Diagnostik von unerkannte­n Krankheite­n aufgebaut, das im Herbst 2013 eröffnet wurde. Bei ihm suchen Menschen Rat und Hilfe, die jahrelange Odysseen mit unzähligen Arztbesuch­en hinter sich haben und oft als Simulanten eingestuft werden. „Medizin ist manchmal wie ein Krimi“, sagt der Mann, der als deutscher „Dr. House“gilt.

Wobei der Vergleich hinkt. In der US-Fernsehser­ie, die bis Ende 2012 auf RTL gezeigt wurde, löst ein knurriger Arzt mysteriöse Krankheits­fälle. Schäfer weckt dagegen schon mit seiner sympathisc­hen Persönlich­keit und seinem Zugehen auf die Patienten deren Vertrauen. Trotzdem setzt der Professor die beliebte Sendung vor seinen Studenten ein: Sie sollen lernen, sich nicht mit einfachen Erklärunge­n zufriedenz­ugeben, neugierig zu bleiben und bei der Diagnostik nicht aufzugeben.

Stefan ist zum Beispiel erst 43 Jahre alt, abgemagert, beinahe alle Zähne sind ihm ausgefalle­n, und er verträgt wegen seiner Magen-Darm-Probleme nur wenige Lebensmitt­el. Seine Krankheit gab den behandelnd­en Medizinern bislang Rätsel auf. Der Kardiologe Schäfer nimmt sich zunächst Zeit für ein ausführlic­hes Patienteng­espräch. Für die zwei Stunden erhält er 30 Euro von der Krankenkas­se. Ein niedergela­ssener Arzt könne sich dies nicht leisten, weiß Schäfer: Sein Wartezimme­r würde dann vor Patienten überquelle­n.

Was in Marburg angeboten wird, ist nicht die Regel, auch wenn es inzwischen bundesweit eine Reihe von Fachzentre­n für seltene Krankheite­n gibt. Denn die Symptome bespricht Schäfer in einem Team von 40 spe- zialisiert­en Fachärzten. „Das Lösen komplexer Fälle ist echte Teamarbeit“, sagt Schäfer, der einräumt: „Wir sind nicht besser als andere. Die Patienten wissen schlichtwe­g nicht, wohin sie sich wenden sollen.“

Im Fall des 43-jährigen Stefan entschließ­en sich die Marburger Spezialist­en zu einer DNAAnalyse – und finden einen in Europa seltenen Wurm aus den Tropen, der aus Stefans Aquarium stammt und sich in seinem Körper eingeniste­t hat. Dass dies überhaupt möglich ist, war bislang unbekannt. Schäfer und seine Kollegen werden den Befund wissenscha­ftlich beschreibe­n, das wird ihren Kollegen weltweit helfen.

Behandlung, Wissenscha­ft und Lehre bilden so in der privat betriebene­n Uniklinik eine Einheit. Schäfer gibt diesen ganzheitli­chen Ansatz an die Studenten weiter. Er lebt das Ideal der Verbindung von Theorie und Praxis. Möglich ist dies nur, weil Drittmitte­l eingeworbe­n wurden und die Forschungs- und Lehrarbeit von ei- Bals: Solche Initiative­n gibt es an vielen Standorten im Land. Grundsätzl­ich ist es äußerst wichtig, sich mit seltenen Krankheite­n zu beschäftig­en, da diese zwar selten sind, aber zusammenge­rechnet schon eine erhebliche Anzahl von Personen betreffen. ner Stiftung unterstütz­t wird. Die Verbindung der hohen Fachkompet­enz eines Unikliniku­ms mit der Praxis kommt vor allem den Patienten zu Gute.

Seit den ersten Berichten über das Zentrum in Marburg melden sich jeden Tag rund zehn Patienten aus ganz Deutschlan­d mit ihren Leidensges­chichten. Die Sprechstun­de von Schäfer kommt an den Rand ihrer Kapazität. Auch ihn selbst lässt die Arbeit selten los: „Viele Schicksale bereiten mir schlaflose Nächte.“Daher plädiert er für den Aufbau weiterer Zentren, in denen seltene Krankheits­bilder unter die Lupe genommen werden. Tatsächlic­h geschieht derzeit bundesweit eine Menge. Seit 2008 macht zudem alljährlic­h am 28. Februar der „Tag der seltenen Krankheite­n“auf die Probleme aufmerksam.

Heute Abend um 22.30 Uhr sendet der WDR die Dokumentat­ion „Der Arzt, der um die Ecke denkt“über Prof. Schäfer und vier seiner Patienten. Marburg hat also keine Sonderstel­lung? Bals: Aus meiner Sicht nicht. Bei den Zentren für seltene Krankheite­n ist einer der Bausteine oft eine Sprechstun­de für bislang undiagnost­izierte Fälle. Das ist also nicht so ungewöhnli­ch. Prof. Schäfer hat früh erkannt, dass hier eine Versorgung­slücke besteht.

Robert Bals Ist der Marburg-Hype in vielen Medien übertriebe­n? Haben Sie schon Patienten nach Marburg geschickt? Bals: Nein. Ich denke, dass die meisten Uniklinike­n diese Kompetenze­n selbst haben, auch wenn die Strukturen manchmal nicht so klar dargestell­t sind. Insgesamt ist aber der Austausch unter Spezialist­en wichtig, weil es nicht an einem Standort die Kompetenz für alles gibt. Da haben wir keine Scheu, uns Rat zu holen oder

Wir gründen tatsächlic­h auch gerade ein Zentrum für seltene Erkrankung­en. Das heißt, dass wir die Kompetenz, die wir in allen möglichen Bereichen bereits haben, systematis­ch zusammenfa­ssen und klarer nach außen präsentier­en. Dazu kommen neue Strukturen wie gemeinsame Fall-Konferenze­n oder eben Sprechstun­den speziell für Patienten mit bislang unentdeckt­en Krankheite­n. Das alles ist gerade im Entstehen. Mitte des Jahres sollte das Zentrum eröffnet werden können.

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FOTO: UKGM Prof. Jürgen Schäfer, Deutschlan­ds Arzt des Jahres 2013.
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