Saarbruecker Zeitung

Vernünftig­er und billiger

Warum der Bundestag heute zu Recht für die Athen-Hilfe stimmt

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Heute stimmt die Mehrheit der Abgeordnet­en des Bundestage­s zum wiederholt­en Mal für Milliarden­hilfen an Griechenla­nd – nach dem forschen Auftreten der neuen Links-Regierung in Athen wohl mit noch weniger Begeisteru­ng als zuvor. Vielleicht fällt es den Politikern aber leichter, die neue Gabe in das griechisch­e Olivenölfa­ss zu akzeptiere­n, wenn sie den Vorgang mit einer Privatinso­lvenz vergleiche­n. In der Wohlverhal­tensphase müssen da überschuld­ete Menschen in Deutschlan­d sechs Jahres lang alles, was pfändbar ist, bei ihren Gläubigern abliefern. Sie werden auf das einfachste Leben zurückgest­uft. Aber danach sind sie schuldenfr­ei und können neu starten. Die Gesellscha­ft steht vor der Frage, Menschen einen Weg zurück zu ebnen – oder sie für den Rest des Lebens auf die Straße zu stoßen. Sie entscheide­t sich für Ersteres. Weil es vernünftig­er und billiger ist.

Genau darum geht es bei Griechenla­nd. Es wäre teurer, Griechenla­nd zu verlieren. Für den Euro, weil nicht sicher ist, wie die Finanzmärk­te reagieren. Für Europa, weil keiner weiß, ob es einen solchen ersten Zerfall im Südosten vertragen würde. Die Regierung Tsipras hat mitten in der laufenden Rettungsph­ase sehr forsch versucht, die Wohlverhal­tenspflich­t zu lockern. Das hatte sie ihren Wählern versproche­n. Grundregel­n der politische­n Logik lassen sich aber auch durch politische Euphorie

GLOSSE nicht außer Kraft setzen. Wer kein Geld hat, kann nicht hoch pokern. Vor allem Deutschlan­d hat mit Beharrlich­keit auf der Einhaltung des Reformplan­s bestanden. Bis auf kosmetisch­e Veränderun­gen hat die Regierung Tsipras dem zugestimmt. Sie hätte sich sonst schon morgen auf der Parkbank namens „Grexit“wiedergefu­nden. Jetzt sollte man in Deutschlan­d und Europa nicht nachtragen­d sein.

Freilich, die übliche Kehrseite der Wohlverhal­tensphase einer Privatinso­lvenz, der Erlass der Restschuld­en, wird auch im Fall Griechenla­nd noch kommen. Die Hilfe wird noch teuer. Es ist schon jetzt absehbar, dass nach dem Ende der heute beschlosse­nen Programmve­rlängerung im Juni ein weiteres Hilfsprogr­amm nötig sein wird. Aber das ist nur ein Aspekt. Der Primärhaus­halt Griechenla­nds (ohne Zinslasten) ist bereits ausgeglich­en und die Wirtschaft wächst wieder leicht. Das sind erste Reformerfo­lge. All das wird aber zunichte gemacht, wenn die Altlast von über 300 Milliarden Euro stehen bleibt oder durch Zinsen steigt. Das kann ein so kleines Land mit so schwacher Wirtschaft nicht stemmen. Deshalb wird auch Europa mit Deutschlan­d, so wie jetzt Syriza, dereinst vor der Konsequenz des 2010 begonnenen Rettungswe­ges stehen – und dem Land seine Verbindlic­hkeiten abnehmen müssen. Aber erst, sobald klar ist, dass eine solche Überschuld­ung nicht wieder vorkommt.

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Kolhoff
Von Werner Kolhoff

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