Bundestag gibt Griechenland mehr Zeit
Regierungschef Tsipras beharrt aber auf Schuldenerlass für Athen
Noch nie gab es im Bundestag eine so hohe Zustimmung zur Finanzhilfe für Griechenland: 541 Abgeordnete stimmten gestern dafür. Die Regierung in Athen hat damit vier Monate länger Zeit, die versprochenen Reformen umzusetzen. Berlin/Athen. Ungeachtet wachsender Zweifel an der neuen Regierung in Athen hat der Bundestag mit großer Mehrheit einer Verlängerung des Hilfspakets für Griechenland zugestimmt. 541 Abgeordnete von Koalition und Opposition billigten gestern den Antrag auf Verlängerung des Rettungspakets um vier Monate. Das waren so viele Ja-Stimmen wie nie zuvor bei Hilfen für Griechenland. 32 Parlamentarier votierten mit Nein, davon allein 29 aus den Reihen der Union. 13 Abgeordnete enthielten sich.
Nach der Zustimmung auch anderer Parlamente verlängerte der Euro-Rettungsfonds EFSF offiziell das Hilfsprogramm, das eigentlich Ende Februar auslaufen sollte. Die Entscheidung sei ein „wichtiger Zwischenschritt“, sagte EFSF-Chef Klaus Regling. Es geht dabei nicht um neue Finanzhilfen, sondern um mehr Zeit, das Programm abzuarbeiten. Athen und die Eurogruppe hatten sich am Dienstag auf eine Verlänge- rung des Hilfsprogramms bis Ende Juni geeinigt.
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras versprach, nun „hart“an einer Umsetzung der zugesagten Reformen zu arbeiten. „Das deutsche Parlament hat Europa heute ein Vertrauensvotum gegeben“, sagte Tsipras dem Fernsehsender „Euronews“. Am Abend brachte der Regierungschef jedoch erneut einen Schuldenschnitt ins Spiel. Mit der viermonatigen Verlängerung des Rettungsprogramms sei die Brücke geschaffen worden, um die Forderung erneut stellen zu können, sagte Tsipras im Athener Ministerrat. Kommende Woche will der linke Premier mit einer Reihe von Gesetzen die notleidende Bevölkerung entlasten. Niemand solle sein Haus verlieren, wenn er die Kreditraten nicht zahlen könne, hieß es. Derweil wird es immer wahrscheinlicher, dass im Sommer ein drittes Hilfspaket aufgelegt werden muss.
Die große Mehrheit der Deutschen zweifelt an der Disziplin der Athener Linksregierung: Nach dem aktuellen ZDF-„Politbarometer“glauben 71 Prozent der Befragten nicht, dass Griechenland die Sparmaßnahmen und Reformen umsetzt. Nur 26 Prozent sind optimistisch.
Klaus-Peter Willsch ist einer der letzten Redner in der mehr als zwei Stunden langen Debatte. Er spreche hier für eine Minderheit in der Fraktion, erklärt der CDU-Abgeordnete, und er bedanke sich, „dass das möglich ist“. Willsch ist ein erklärter Gegner weiterer Griechenland-Hilfen. Schon bei früheren Abstimmungen hat sich der Hesse quer gestellt. Diesmal provoziert er mit der Frage: „Schauen Sie sich Tsipras an, schauen Sie sich Varoufakis an: Würden Sie von denen einen Gebrauchtwagen kaufen?“Und ruft ins Plenum: „Wenn man nicht in die richtige Richtung fährt, dann macht es keinen Sinn, das Tempo zu erhöhen.“Seine Aufforderung, es ihm gleich zu tun und mit „Nein“zu stimmen, geht aber in der allgemeinen Geräuschkulisse fast unter.
32 Bundestagsabgeordnete haben es am Ende doch getan. Die allermeisten kommen aus den Reihen der Union. In der Lobby des Bundestages geben sie hernach bereitwillig Auskunft über ihre Motive. Wolfgang Bosbach, der wohl bekannteste CDU-Rebell, führt den dramatischen Vertrau- ensschwund gegenüber der neuen griechischen Regierung ins Feld. Peter Ramsauer, der ehemalige Verkehrsminister von der CSU, beklagt die fehlende Solidität der Hellenen, gegen die man „ein Zeichen setzen“müsse. Und sein Parteifreund Hans Michelbach sieht in weiteren Hilfen für Athen den „Weg in die Transfer- und Schuldenunion“geebnet.
Dabei hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Auftakt der Debatte noch einmal alle Register gezogen, um die Zahl der Abweichler in Grenzen zu halten. In Sachen Griechenland besitzt Schäuble zweifellos eine Menge Rettungsroutine. Der Kassenwart weiß vermutlich selbst nicht so genau, wie oft er schon zu diesem Thema im Bundestag gesprochen hat. Ganz zu schweigen von der Überzeugungsarbeit hinter den Kulissen. Tingeln durch die zuständigen Ausschüsse, Lektionen in den Fraktionen, Einzelgespräche – all das gehört zu Schäubles politischem Geschäft. Denn auch die Ja-Sager, obgleich am Ende eine erdrückende Mehrheit, sind ja nicht frei von Zweifeln. Ganz im Gegenteil. Viele haben ebenfalls Bedenken. Zumal Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras und sein Finanzminister Gianis Varoufakis bereits gemachte Zusagen für weitere Reformen immer auch gleich wieder relativieren. Schäuble greift das Unbehagen geschickt auf. Er verteidigt die Verlängerung der Unterstützung für Athen, spricht aber auch von einer Entscheidung, „die keinem Abgeordneten leichtfällt“. Sein eingängigstes Argument lautet zusammengefasst: Es geht ja nicht um neue Milliarden, sondern sozusagen um altes Geld und um mehr Zeit, in der Griechenland die Mittel gegen Reformauflagen nutzen kann.
Nach außen hin geschlossen auf den Koalitionsbänken ist nur die SPD. Ein Probevotum ergab schon am Vortag eine Zustimmung von 100 Prozent. Die Grünen kommen noch einmal kurz vor Beginn der Debatte im Bundestag zusammen, um ihre Linie festzulegen. Am Ende gibt es ein Gruppenfoto, auf dem die Grünen weiße Zettel mit der Aufschrift „Ja zu Europa“in die Kameras halten. Es soll ein optischer Kontrapunkt zur Kampagne der „Bild“-Zeitung sein, die schon den zweiten Tag hintereinander ein großes „Nein“zu weiteren Milliarden für Griechenland gedruckt hat.
Und die Linken? Sie fühlen sich dem Linksbündnis Syriza von Tsi- pras brüderlich verbunden und stimmen ebenfalls mit großer Mehrheit zu. Allerdings nicht ohne dabei rhetorische Pirouetten zu drehen. Fraktionschef Gregor Gysi geißelt die EU-Rettungsauflagen in gewohnter Manier als „Kamikaze-Politik“, sieht aber zugleich einen „Neuanfang“für Griechenland, obwohl es sich im Kern um das alte, von der Linken stets verteufelte Hilfsprogramm handelt. Als der SPD-Abgeordnete Carsten Schneider Letzteres mit Zitaten aus einer früheren Bundestagsrede von Linken-Fraktionsvize Dietmar Bartsch verdeutlicht („Dass wir dabei mitma- chen, werden sie niemals erleben“), kennt der Spott auf den Regierungsbänken kaum Grenzen.
Die Szene ist eine der wenigen heiteren Momente in dieser Debatte. Den allermeisten Abgeordneten schwant bereits, dass schon im Juni das nächste Votum über die pleitebedrohten Griechen anstehen könnte. Dann über ein drittes Hilfspaket, das Experten für unausweichlich halten. Damit freilich ginge es wirklich um neues Geld für die Hellenen – und ein neues Kapitel in Schäubles Überzeugungsarbeit. In seiner Rede spart er diesen heiklen Punkt vorsichtshalber noch aus.