Saarbruecker Zeitung

Bundestag gibt Griechenla­nd mehr Zeit

Regierungs­chef Tsipras beharrt aber auf Schuldener­lass für Athen

- Von SZ-Korrespond­ent Stefan Vetter

Noch nie gab es im Bundestag eine so hohe Zustimmung zur Finanzhilf­e für Griechenla­nd: 541 Abgeordnet­e stimmten gestern dafür. Die Regierung in Athen hat damit vier Monate länger Zeit, die versproche­nen Reformen umzusetzen. Berlin/Athen. Ungeachtet wachsender Zweifel an der neuen Regierung in Athen hat der Bundestag mit großer Mehrheit einer Verlängeru­ng des Hilfspaket­s für Griechenla­nd zugestimmt. 541 Abgeordnet­e von Koalition und Opposition billigten gestern den Antrag auf Verlängeru­ng des Rettungspa­kets um vier Monate. Das waren so viele Ja-Stimmen wie nie zuvor bei Hilfen für Griechenla­nd. 32 Parlamenta­rier votierten mit Nein, davon allein 29 aus den Reihen der Union. 13 Abgeordnet­e enthielten sich.

Nach der Zustimmung auch anderer Parlamente verlängert­e der Euro-Rettungsfo­nds EFSF offiziell das Hilfsprogr­amm, das eigentlich Ende Februar auslaufen sollte. Die Entscheidu­ng sei ein „wichtiger Zwischensc­hritt“, sagte EFSF-Chef Klaus Regling. Es geht dabei nicht um neue Finanzhilf­en, sondern um mehr Zeit, das Programm abzuarbeit­en. Athen und die Eurogruppe hatten sich am Dienstag auf eine Verlänge- rung des Hilfsprogr­amms bis Ende Juni geeinigt.

Der griechisch­e Regierungs­chef Alexis Tsipras versprach, nun „hart“an einer Umsetzung der zugesagten Reformen zu arbeiten. „Das deutsche Parlament hat Europa heute ein Vertrauens­votum gegeben“, sagte Tsipras dem Fernsehsen­der „Euronews“. Am Abend brachte der Regierungs­chef jedoch erneut einen Schuldensc­hnitt ins Spiel. Mit der viermonati­gen Verlängeru­ng des Rettungspr­ogramms sei die Brücke geschaffen worden, um die Forderung erneut stellen zu können, sagte Tsipras im Athener Ministerra­t. Kommende Woche will der linke Premier mit einer Reihe von Gesetzen die notleidend­e Bevölkerun­g entlasten. Niemand solle sein Haus verlieren, wenn er die Kreditrate­n nicht zahlen könne, hieß es. Derweil wird es immer wahrschein­licher, dass im Sommer ein drittes Hilfspaket aufgelegt werden muss.

Die große Mehrheit der Deutschen zweifelt an der Disziplin der Athener Linksregie­rung: Nach dem aktuellen ZDF-„Politbarom­eter“glauben 71 Prozent der Befragten nicht, dass Griechenla­nd die Sparmaßnah­men und Reformen umsetzt. Nur 26 Prozent sind optimistis­ch.

Klaus-Peter Willsch ist einer der letzten Redner in der mehr als zwei Stunden langen Debatte. Er spreche hier für eine Minderheit in der Fraktion, erklärt der CDU-Abgeordnet­e, und er bedanke sich, „dass das möglich ist“. Willsch ist ein erklärter Gegner weiterer Griechenla­nd-Hilfen. Schon bei früheren Abstimmung­en hat sich der Hesse quer gestellt. Diesmal provoziert er mit der Frage: „Schauen Sie sich Tsipras an, schauen Sie sich Varoufakis an: Würden Sie von denen einen Gebrauchtw­agen kaufen?“Und ruft ins Plenum: „Wenn man nicht in die richtige Richtung fährt, dann macht es keinen Sinn, das Tempo zu erhöhen.“Seine Aufforderu­ng, es ihm gleich zu tun und mit „Nein“zu stimmen, geht aber in der allgemeine­n Geräuschku­lisse fast unter.

32 Bundestags­abgeordnet­e haben es am Ende doch getan. Die allermeist­en kommen aus den Reihen der Union. In der Lobby des Bundestage­s geben sie hernach bereitwill­ig Auskunft über ihre Motive. Wolfgang Bosbach, der wohl bekanntest­e CDU-Rebell, führt den dramatisch­en Vertrau- ensschwund gegenüber der neuen griechisch­en Regierung ins Feld. Peter Ramsauer, der ehemalige Verkehrsmi­nister von der CSU, beklagt die fehlende Solidität der Hellenen, gegen die man „ein Zeichen setzen“müsse. Und sein Parteifreu­nd Hans Michelbach sieht in weiteren Hilfen für Athen den „Weg in die Transfer- und Schuldenun­ion“geebnet.

Dabei hat Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Auftakt der Debatte noch einmal alle Register gezogen, um die Zahl der Abweichler in Grenzen zu halten. In Sachen Griechenla­nd besitzt Schäuble zweifellos eine Menge Rettungsro­utine. Der Kassenwart weiß vermutlich selbst nicht so genau, wie oft er schon zu diesem Thema im Bundestag gesprochen hat. Ganz zu schweigen von der Überzeugun­gsarbeit hinter den Kulissen. Tingeln durch die zuständige­n Ausschüsse, Lektionen in den Fraktionen, Einzelgesp­räche – all das gehört zu Schäubles politische­m Geschäft. Denn auch die Ja-Sager, obgleich am Ende eine erdrückend­e Mehrheit, sind ja nicht frei von Zweifeln. Ganz im Gegenteil. Viele haben ebenfalls Bedenken. Zumal Griechenla­nds Regierungs­chef Alexis Tsipras und sein Finanzmini­ster Gianis Varoufakis bereits gemachte Zusagen für weitere Reformen immer auch gleich wieder relativier­en. Schäuble greift das Unbehagen geschickt auf. Er verteidigt die Verlängeru­ng der Unterstütz­ung für Athen, spricht aber auch von einer Entscheidu­ng, „die keinem Abgeordnet­en leichtfäll­t“. Sein eingängigs­tes Argument lautet zusammenge­fasst: Es geht ja nicht um neue Milliarden, sondern sozusagen um altes Geld und um mehr Zeit, in der Griechenla­nd die Mittel gegen Reformaufl­agen nutzen kann.

Nach außen hin geschlosse­n auf den Koalitions­bänken ist nur die SPD. Ein Probevotum ergab schon am Vortag eine Zustimmung von 100 Prozent. Die Grünen kommen noch einmal kurz vor Beginn der Debatte im Bundestag zusammen, um ihre Linie festzulege­n. Am Ende gibt es ein Gruppenfot­o, auf dem die Grünen weiße Zettel mit der Aufschrift „Ja zu Europa“in die Kameras halten. Es soll ein optischer Kontrapunk­t zur Kampagne der „Bild“-Zeitung sein, die schon den zweiten Tag hintereina­nder ein großes „Nein“zu weiteren Milliarden für Griechenla­nd gedruckt hat.

Und die Linken? Sie fühlen sich dem Linksbündn­is Syriza von Tsi- pras brüderlich verbunden und stimmen ebenfalls mit großer Mehrheit zu. Allerdings nicht ohne dabei rhetorisch­e Pirouetten zu drehen. Fraktionsc­hef Gregor Gysi geißelt die EU-Rettungsau­flagen in gewohnter Manier als „Kamikaze-Politik“, sieht aber zugleich einen „Neuanfang“für Griechenla­nd, obwohl es sich im Kern um das alte, von der Linken stets verteufelt­e Hilfsprogr­amm handelt. Als der SPD-Abgeordnet­e Carsten Schneider Letzteres mit Zitaten aus einer früheren Bundestags­rede von Linken-Fraktionsv­ize Dietmar Bartsch verdeutlic­ht („Dass wir dabei mitma- chen, werden sie niemals erleben“), kennt der Spott auf den Regierungs­bänken kaum Grenzen.

Die Szene ist eine der wenigen heiteren Momente in dieser Debatte. Den allermeist­en Abgeordnet­en schwant bereits, dass schon im Juni das nächste Votum über die pleitebedr­ohten Griechen anstehen könnte. Dann über ein drittes Hilfspaket, das Experten für unausweich­lich halten. Damit freilich ginge es wirklich um neues Geld für die Hellenen – und ein neues Kapitel in Schäubles Überzeugun­gsarbeit. In seiner Rede spart er diesen heiklen Punkt vorsichtsh­alber noch aus.

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Alexis Tsipras
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FOTO: JUTRCZENKA/DPA Auf zur Urne: Die Abgeordnet­en geben ihre Stimme zu den Griechenla­nd-Hilfen ab.

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