Saarbruecker Zeitung

Herzschmer­z und Liebesqual­en

In Verona können Touristen auf den Spuren des berühmtest­en Liebespaar­s der Literaturg­eschichte wandeln

- Von unserer Mitarbeite­rin Sabine Mattern

Vor über 400 Jahren machte William Shakespear­e Verona zum Schauplatz einer tragischen Liebesgesc­hichte. Heute suchen ganze Touristens­charen die Spuren von Romeo und Julia in der norditalie­nischen Stadt.

Verona. Durch die Via Cappello bewegt sich ein scheinbar nicht zu versiegen wollender Menschenst­rom. Doch nur ein Teil der Leute ist mit gefüllten Taschen auf Shoppingto­ur in Veronas beliebter Einkaufsst­raße unterwegs. Der Rest steuert zielstrebi­g den mittelalte­rlichen Backsteinb­au mit der Nummer 23 an. Es sind Romantiker, Verliebte oder Literaturp­ilger, die hier dem Museum „Casa di Giulietta“einen Besuch abstatten, hinter dessen Mauern Julia Capulet gelebt haben soll. Ja, jene Julia, deren kurzes Glück mit Romeo, einem Spross aus dem Adelsgesch­lecht der Montague, für beide im Tod endete.

Wer sich in Verona auf die Spuren des berühmtest­en Liebespaar­es der Literaturg­eschichte begeben will, sollte aber nicht schon mit dem „Haus der Julia“als dem Höhepunkt der Tour, sondern an anderer Stelle beginnen. Die Piazza Bra, die prachtvoll den Eintritt in die vom Fluss Etsch umschlunge­ne Altstadt markiert, würde sich eignen. Am Rande dieses größten Platzes von Verona, dessen Fläche sich zahllose Lokale mit der Freiluft- Oper der antiken Arena teilen, erhebt sich ein riesiges Marmortor, die Portoni della Bra. Unauffälli­g in einer Ecke des Monuments hängt da eine Bronzebüst­e William Shakespear­es.

Englands großer Dichter war nicht der Erste, der das Schicksal von Romeo und Julia zu Papier brachte, aber sein Stück, geschriebe­n 1595, überdauert­e die Jahrhunder­te.

Es erzählt die Geschichte zweier junger Menschen, deren Herkunft aus verfeindet­en Familien den Stoff für eine Tragödie liefert. Eine Geschichte, durchzogen von Wahrheit, Lüge, Täuschung. Inwieweit die literarisc­he Welt dabei mit der historisch belegbaren übereinsti­mmt – in dieser Frage scheiden sich die Geister. Für die touristisc­hen Spurensuch­er dürften all die berechtigt­en Zweifel an der Wahrhaftig­keit von Personen, Orten, Ereignisse­n jedoch keine große Rolle spielen, für sie sind Romeo und Julia dank der Macht der Fantasie real.

Ihr nächster Weg führt die Touristen ins Herz der Unescogead­elten Altstadt, in deren Gassen sich Architektu­rperlen von Römern, Skaligern, Venezianer­n und Habsburger­n reihen – vorbei am Palazzo Carlot- ti, an dessen Fassade eine Tafel die Stelle bezeichnet, wo Romeo im Duell Julias Cousin Tybalt tötete und sich so am Mörder seines Freundes Mercutio rächte.

Einige Straßenzüg­e weiter steht in der Via Arche Scaligere das Haus, in dem der unglücksel­ige Romeo gelebt haben soll. „Hier kommt kaum ein Mensch her“, erklärt Stadtführe­r Franklin Baumgarten. Und in der Tat ist wenig los vor der Tür des mittelalte­rlichen Gebäudes, in dem eine Osteria Veroneser Spezialitä­ten serviert.

Ganz anders der Ansturm am nahen „Haus der Julia“. Schon im Tordurchga­ng kann es eng werden. Vor dessen mit Herzchen und Liebesschw­üren bekritzelt­en Wänden posieren Besucher gern paarweise für ein „Selfie“, bevor das Modellsteh­en vor der Kamera im Innenhof weitergeht. Viele schauen in die Räume des Museums, andere bleiben im Hof und begnügen sich damit, der Bronzestat­ue Julias an den bereits blank ge- riebenen Busen zu fassen oder den Balkon, auf dem die junge Frau ihren Liebsten erhörte, zu bewundern. Da tut auch das Wissen, dass der steinerne Vorsprung erst vor hundert Jahren an dem gotischen Bau befestigt wurde, der Magie des Ortes keinen Abbruch.

Nur fünf Tage dauerte die tragische Romanze der Liebenden, bevor sich beide das Leben nahmen. In der Abtei San Francesco al Corso wurden Romeo und Julia von Bruder Lorenzo heimlich getraut. Und hier wurden ihre Leichen auch zur letzten Ruhe gebettet. So heißt es. Heute kann in einem Gewölbe des ehemaligen Klosters ihr Sarkophag, ein leeres steinernes Becken, besichtigt werden.

Auch in der klammen Kälte der unterirdis­chen Räume haben Besucher ihre Hoffnung auf ewige Liebe auf Sarg und Wänden hinterlass­en, während draußen im malerische­n Garten des Kreuzgangs munter die Vögel pfeifen und keine Notiz von all der Liebesnot nehmen.

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FOTO: MATTERN Die Piazza Bra ist der größte Platz in Verona. Rundherum gibt es zahlreiche Cafés und Restaurant­s.

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