Saarbruecker Zeitung

Wie böse ist der Wolf?

Isegrim erobert Europa zurück – Während die einen seine Rückkehr begrüßen, schlagen andere Alarm

- Von dpa-Mitarbeite­r Peer Körner

Sie kamen zurück aus dem Osten, und sie werden immer mehr: Wölfe. Bislang haben die grauen Jäger aber noch keine Menschen bedroht. Dennoch wird die Rückkehr der Wölfe sehr hitzig debattiert. Warum?

Lüneburg. Sieben neugierige Wölfe folgen in Niedersach­sen einer Spaziergän­gerin und ihren beiden Hunden. Die aufdringli­chen Verfolger lassen sich auch durch Schreie nicht vertreiben. Bis auf wenige Meter kommen sie heran, berichtet die Frau später im Fernsehen. Der zuständige Wolfsberat­er Uwe Martens nimmt den Fall vom 6. Februar zu Protokoll. Die Frau ist fertig mit den Nerven, ein Nachbar ruft den Notarzt, passiert ist aber nichts. „In dieser Jahreszeit sind die Jungwölfe vom letzten Jahr ohne Aufsicht unterwegs und erkunden ihre Umgebung“, sagt Martens. Wenig später streift ein Wolf am helllichte­n Tag durch Wildeshaus­en, ebenfalls Niedersach­sen. In Mölln in SchleswigH­olstein reißt ein anderer Schafe, ihn zu vertreiben gelingt nicht. Auch dieser Wolf zeigt keinerlei Aggression, aber auch keinerlei Scheu. Die beiden Tiere von Wildeshaus­en und Mölln sollen vertrieben oder im äußersten Notfall sogar getötet werden, erlauben die Umweltmini­ster in Kiel und Hannover. Die Behörden sprechen in beiden Fällen von „verhaltens­auffällige­n Tieren“. Damit gibt es plötzlich so etwas wie zwei Problemwöl­fe in Deutschlan­d.

Beide Minister, Stefan Wenzel (Niedersach­sen) und Robert Habeck (Schleswig-Holstein), sind Grüne und fern von dem Verdacht, Wolfsgegne­r zu sein. Dennoch stößt der Schritt auf heftige Kritik bei Tierschütz­ern, im Internet geht es hoch her.

„Es gibt zwei tief verwurzelt­e Wolfsbilde­r. Das eine ist der böse Wolf aus Märchen wie Rotkäppche­n“, sagt Buchautor Eckhard Fuhr. Das spiegele uralte Erfahrunge­n wieder, dass Frauen und Kinder von Wölfen bedroht oder gar getötet werden, wie das heute noch in Indien oder dem Iran geschehe. „Das andere Bild ist das vom Wolf als Heiligen der Wildnis, als Vertreter der Natur. Dahinter versteckt sich die Haltung, dass der Wolf etwas heil macht, was der Mensch zerstört hat.“

Fuhr hat in seinem Buch „Die Rückkehr der Wölfe auch die historisch-soziologis­chen Aspekte untersucht. Er begrüßt die Rückkehr der Tiere aus dem Osten durchaus, doch er warnt vor Prognosen über das Verhalten: „Die Rückkehr des Wolfes und anderer großer Beutegreif­er wie Luchs oder Bär ist ein gigantisch­es Freiland-Experiment der Natur mit offenem Ausgang“, betont er. Die Wölfe fänden hierzuland­e völlig andere Verhältnis­se vor, als vor ihrer Ausrottung. Sie würden nicht verfolgt, der Tisch sei reich gedeckt.

Man müsse die Ursache finden, warum die Wölfe ihre Scheu verlieren, sagt NabuWolfse­xperte Markus Bathen. „Für mich kann es da zwei Ursachen geben – entweder sind die Wölfe krank oder jemand hat sie angefütter­t.“Besonders Jungwölfe könnten leicht ihre Scheu verlieren – das gelte wohl auch für die Tiere in Mölln und Wildeshaus­en. So habe es durchaus schon Todesfälle gegeben, sagt Bathen. „Nach einer norwegisch­en Studie sind in Europa zwischen 1950 und dem Jahr 2000 neun Menschen von Wölfen getötet worden, fünf durch tollwütige und vier durch zuvor angefütter­te Tiere“, berichtet er.

Die freilebend­en Wölfe in Deutschlan­d sollten getötet werden, fordert Gerd Steinberg. Der 75-Jährige hält selber Schafe und hat schon 2002 ein „Bündnis gegen den Wolf“gegründet. „Die Duldung ist eine Dummheit, auch weil er ganze Herden umbringt“, warnt Steinberg. Ohne Jagddruck seien auch Menschen in Gefahr.

Und was meinen die Jäger? „Wir begleiten die natürliche Rückkehr des Wolfes mit Interesse, wehren uns aber gegen eine Romantisie­rung“, sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverban­des. „Der Wolf ist ein großes Raubtier, und die Menschen haben verlernt, mit ihm umzugehen.“Auf keinen Fall dürften die Tiere gefüttert werden, warnt auch Reinwald. „Der Wolf ist als Mitjäger eine Bereicheru­ng unserer Landschaft“, sagt dagegen Wildbiolog­in Britta Habbe, die sich im Auftrag der Landesjäge­rschaft Niedersach­sen um die Wölfe kümmert. Habbe geht wie das Wildbüro Lupus davon aus, dass inzwischen etwa 31 Rudel in Deutschlan­d leben. „Es dürften 240 bis 300 Tiere sein“, schätzt sie. Das wären etwa doppelt so viele wie noch vor zwei Jahren.

„Wir brauchen dringend eine sachliche Diskussion“, sagt Frank Faß. Er leitet das Wolfcenter Dörverden. „In Deutschlan­d ist es ohne eine Regulierun­g der Wolfsbestä­nde nicht realistisc­h, eine dauerhafte Akzeptanz der Tiere bei allen Bevölkerun­gsgruppen zu schaffen“, meint Faß. „Es muss erlaubt sein, auch die Bejagung zu diskutiere­n.“

Eine reguläre Bejagung darf aber erst erfolgen, wenn es etwa tausend erwachsene Wölfe in Deutschlan­d und dem westlichen Polen gibt, wie Faß betont. Dann sei der sogenannte Selbsterha­ltungszust­and erreicht, wie ihn europäisch­e und nationale Regelungen verlangten. Auch die Einrichtun­g wolfsfreie­r Regionen sei denkbar. Es brauche ein länderüber­greifendes Wolfsmanag­ement, fordert Faß.

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FOTO: IMAGO Furchterre­gend und aggressiv – so erscheint der Wolf in Märchen wie Rotkäppche­n. Doch gibt es auch ein anderes Bild von Isegrim, wie das Tier in der Fabel heißt: das des Heiligen der Wildnis.

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