Die Haaranalyse: Fatale Pannen des FBI
Haaranalysen galten lange Zeit als entscheidendes Beweismittel vor US-Gerichten. Doch jetzt kommt an den Tag, dass die FBI-Forensiker in der Regel falsch lagen.
Washington. Das Verbrechen, für das Kevin Martin büßen musste, ereignete sich im November 1982 in Anacostia, einem sozialen Problemviertel im Süden Washingtons. Eine 19-Jährige namens Ursula Brown war vergewaltigt und schließlich erschossen worden; ihre Leiche lag am Rande eines Schulhofs. Jemand hatte ihr Auto von hinten gerammt und sie entführt, als sie ausstieg, um sich zu beschweren. Der Verdacht fiel auf Martin, einen drogenabhängigen Teenager.
Ein Schamhaar, das man an einem von Ursula Browns Turnschuhen fand, wurde – angeblich zweifelsfrei – ihm zugeordnet. Zu 35 Jahren Haft verurteilt, setzte er sich erst zur Wehr, als sich Juristen fanden, die wirklich für ihn kämpften – anders als der Pflichtverteidiger, der ihn anfangs beraten hatte. Im vergangenen Jahr wurde er freigesprochen, denn eine im Nachhinein veranlasste DNA-Analyse ergab, dass Martin mit dem Mord an Ursula Brown nichts zu tun hatte. Tatsächlich war es nicht sein Haar gewesen, das an ihrem Schuh klebte.
Haare unterm Mikroskop zu untersuchen und sie einer bestimmten Person zuzuordnen: Über nahezu drei Dekaden, von 1972 bis 1999, verließ sich das FBI praktisch blind auf das Verfahren. Nun gibt die amerikanische Bundespolizei zu, dass sie einem kolossalen Irrtum aufgesessen war. In fast allen Verfahren, in denen Gerichtsmediziner des FBILabors Haarproben als Beweise vorlegten, waren ihre vermeintlich gesicherten Erkenntnisse fehlerhaft. 32 Mal wurden Menschen aufgrund falscher Expertisen zum Tode verurteilt. 14 sind hingerichtet worden oder aber hinter Gittern eines natürlichen Todes gestorben.
Fragwürdige Gutachten Drei Jahre ist es her, dass sich die Behörden veranlasst sahen, die Haaranalysen jener Zeit noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Das „Innocence Project“hatte Druck gemacht: Es ist eine von Rechtsanwälten ins Leben gerufene Initiative, die versucht, schwere Justizirrtümer zu korrigieren. Nicht selten handelt es sich um Fälle, die im Land beinahe schon in Vergessenheit geraten waren. 268 Strafverfahren wurden inzwischen wegen fragwürdiger Haar- Gutachten nachträglich aufgerollt. In 95 Prozent dieser Verhandlungen, so die „Washington Post“, präsentierten Spezialisten der Bundespolizei ihre Labor-Ergebnisse mit einer Selbstgewissheit, als könne es keinerlei Zweifel an der Schuldfrage geben.
Die FBI-Leute umwehe nun mal eine gewisse Aura, versucht Larry Kobilinsky, ein New Yorker Forensik-Experte, das Phänomen zu erklären. „Sie sind scharfsinnig, sie sind vertrauenswürdig. Wenn so jemand im Gerichtssaal auftritt, hört eine Geschworenenjury hin.“Nur ändere es nichts daran, dass diese Koryphäen ihre Arbeit nicht richtig gemacht hätten, dass sie hundertprozentige „Treffer“sahen, wo Fragezeichen angebracht gewesen wären. Mikroskopische Haaruntersuchungen, so Kobilinsky, hätten einmal als wissenschaftliche Spitzenmethode gegolten, bevor die verlässlichere DNA-Analyse ihren Siegeszug angetreten habe.
Peter Neufeld, Mitbegründer des „Innocence Project“spricht von einem kompletten Desaster und betont, dass man tiefer graben müsse. Nun gelte es herauszufinden, warum fast 30 Jahre vergehen mussten, ehe das Ruder herumgeworfen wurde. her